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Moving on (Buchbesprechung)

von Elisabeth Voß, erschienen in Ausgabe #41/2016
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»Moving On« dokumentiert das erste Jahr des »Alarmphone« sowie seine Entstehungsgeschichte. Seit vielen Jahren ist das Mittelmeer ein Massengrab, und Europa schaut zu. Am 3. Oktober 2013 ertranken 366 Menschen vor der italienischen Insel Lampedusa. Die meisten von ihnen stammten aus Afrika. Wenige Tage darauf, am 11. Oktober, ertranken über 250 Menschen aus Syrien. Seit 2012 dokumentiert die Gruppe »Watch the Med« (»Beobachte das Mittelmeer«) das Sterben auf dem Meer. Einige der Aktiven wollten nun auch lebensrettend eingreifen. Sie orientierten sich dabei an dem aus Eritrea stammenden Mussie Zerai. Der Priester lebt in der Schweiz und leitet bereits seit 2004 Notrufe von Flüchtlingen an die Küstenwachen weiter. Inspirieren ließen sie sich auch von der »Untergrundeisenbahn«, einem Netzwerk zur Befreiung von Sklaven in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA.
Nach einem Jahr Vorbereitung startete das Alarmphone im Oktober 2014. In diesem selbstorganisierten Callcenter arbeiten rund um die Uhr mehr als 120 Menschen in vielen Ländern Europas und Nordafrikas in ehrenamtlichen Acht-Stunden-Schichten. Auch Flüchtlinge, denen auf diese Art geholfen wurde, beteiligen sich hier. Über eine einheitliche Rufnummer nehmen die Aktivistinnen Informationen über Bootsrouten sowie Notrufe entgegen. Bei Bedarf alarmieren sie die Küstenwachen, und wenn diese nicht reagieren, bauen sie über das Internationale Flüchtlingshilfswerk UNHCR und Pressekontakte Druck auf. Oft kommen pro Woche mehr als hundert Notrufe an.
Das reich bebilderte Buch enthält informative Beiträge sowie Berichte von den Arbeitsschichten, aus denen die Unsicherheit, Angst und Verzweiflung spürbar werden, die alle Beteiligten aushalten müssen. Die Intention des Alarmphone ist es auch, das Grenzregime zu delegitimieren und für Bewegungsfreiheit für alle Menschen einzutreten. Watch The Med fordert »Ferries for all« – Fähren sollen das gefahrlose Überqueren des Mittelmeers ermöglichen, so dass die Menschen nicht mehr den Schleppern und ihren lebensgefähr­lichen Booten überlassen sind.
Wer all dies wirklich an sich herankommen lässt, wird sich Gefühlen von Trauer, hilfloser Wut oder Verzweiflung kaum entziehen können. Mir sind beim Lesen mehrmals die Tränen gekommen. Gleichzeitig empfinde ich diese Solidarität und das Engagement zur Rettung von Flüchtlingen sehr ermutigend. Das Alarmphone-Buch hat größte Verbreitung verdient und sollte Pflichtlektüre in der Oberstufe jeder Schule sein. Im Buchhandel ist es nicht erhältlich; es wird auf Veranstaltungen gegen Spende abgegeben; zudem steht es komplett zum Download frei. ◆

Erratum: In der gedruckten Ausgabe lautet der letzte Satz »Außerdem kann man es aus dem Internet frei herunterladen.« Dieser Satz stammt nicht von der Autorin, sondern wurde von der Redaktion unabgesprochen so formuliert. Elisabeth Voß bemüht sich um eine geschlechtergerechte Sprache und würde das Wort »man« nie verwenden.


Moving On
Ein Jahr Alarmphone.
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (Hg.)
Selbstverlag, 2016
152 Seiten
Download: www.kurzlink.de/alarmbuch

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