Fabber und Stricknadeln
FabLabs sind nicht nur Orte für Computerfreaks, sondern können können Keimzellen alternativer Ökonomie werden.
Samstagmittag im Kempodium. Aus der Holzwerkstatt hört man das Kreischen der großen Säge. Dann wieder Stille. Unter Anleitung von Fachberater Mario Strobel wechseln Kurt Pichel und Monika Platz das zwei Meter lange Schleifband der Schleifmaschine. Monika Platz ist Lehrerin und bearbeitet hier Bretter, die sie aus der alten Buche in ihrem Garten hat sägen lassen. Daraus möchte sie einen Wohnzimmertisch machen, der sie auch in Zukunft an die Buche erinnern soll. Kurt Pichel geht ihr zur Hand. Das ist hier so üblich. Danach will er seine Bretter für die neue Einbauküche an der Maschine bearbeiten. Er ist Architekt im Ruhestand und hat zu Hause eine kleine Werkstatt, aber ab und zu braucht er eine der großen Maschinen hier. Der Schreiner Mario Strobel benutzt die Werkstatt einmal in der Woche für Auftragsarbeiten. Eine eigene Werkstatt lohnt sich für ihn nicht. Darüber hinaus ist er manchmal als Fachberater tätig, betreut die Maschinen und berät andere bei der Umsetzung: »Ich bin immer wieder erstaunt, was für tolle Ideen die Menschen hier haben, auf die würden Profis gar nicht kommen. Mir gefällt der Gedankenaustausch und das Plaudern beim Warten oder beim Kaffee.« Er weiß aus Erfahrung: »Es gibt so viele Menschen, deren Fähigkeiten brachliegen. Sie werden als Arbeitslose oder Migranten abgeschrieben.«
Eine kreative Welt
Die geräumige Holzwerkstatt ist so etwas wie die Seele des Hauses. Hier gibt es alles, was man so braucht, vom Hammer bis zum Hobel. Aber auch große Maschinen, die unter Anleitung benutzt werden können. Seit drei Jahren werden Arbeitslose in einer neunmonatigen Ausbildung qualifiziert. In Kursen lernen Erwachsene, Kinder und Jugendliche, das Material Holz zu bearbeiten, kleine Gebrauchsgegenstände, aber auch Massivholzmöbel oder eine Hollywoodschaukel zu bauen. Von Mittwoch bis Samstag kann jeder ohne Anmeldung vorbeikommen und gegen ein paar Euro die Werkstatt nutzen.
Karina Rauch, die freundliche und hilfsbereite Managerin vom Empfang, zeigt mir, dass es noch mehr gibt: eine Metall- und Fahrradwerkstatt und Werkstätten zum Filzen, Töpfern, Malen und Basteln und nicht zuletzt zum Kochen. Nach dem Motto »Selbst hergestelltes gutes Essen gehört zu einem guten Leben!« wartet die Kochwerkstatt für Männer und Frauen mit einem umfangreichen Angebot von der Pralinenherstellung bis zum gesunden Essen auf.
Besonders den Kindern und Jugendlichen wird in dieser Hinsicht viel geboten. Ganze Schulklassen kommen die Woche über und füllen die Räume mit ihren aufgeregten Fragen. Oft ist es so, dass eine Gruppe das Essen vorbereitet, während eine andere in der Holzwerkstatt die Vesperbrettchen dafür herstellt. Großer Beliebtheit erfreuen sich die betreuten Geburtstagsfeiern. Überhaupt wird Feiern hier großgeschrieben. Von Anfang an gibt es die monatliche Nichtraucher-Disco »Ü30« unter dem Motto »Move your Body«. Karinas Lieblingsprojekt, das sie vor drei Jahren ins Leben gerufen hat, ist das jährliche Afrika-Fest. Über 2000 Interessierte kamen im vergangenen Jahr zu diesem speziellen Event mit afrikanischen Musikern und Ständen.
Die großzügigen Räumlichkeiten des Kempodiums stehen für Tagungen oder familiäre Feste zur Verfügung. Das kommt Menschen aus anderen Kulturen entgegen, weil sie zugleich die Kochwerkstatt nutzen können. So fanden hier schon türkische Polterabende und russische Hochzeiten statt.
Man kann viele der Angebote auch in »Cambos«, das sind Verrechnungspunkte des Kemptener Tauschrings, bezahlen, die das Kempodium dann gegen Garten-, Reparatur- oder Malerarbeiten eintauscht.
Erfolg der praktischen Vernunft
In dem gemütlichen, kleinen Café gleich neben dem Empfang treffe ich den Geschäftsführer des Kempodiums, Martin Slavicek. Von ihm will ich wissen, wie es zur Gründung des Projekts vor zehn Jahren kam und was seitdem geschehen ist. Ganz wesentlich seien die Ideen und die Initiative des Philosophen Jens Mittelsten Scheid gewesen (siehe Gespräch Seite 18), der dieses Jahr den Deutschen Stifterpreis erhalten hat. »Er kritisiert die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und ist überzeugt, dass der Mensch mit all seinen Fähigkeiten und seinen sozialen und kulturellen Bezügen in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gehört.« Mittelsten Scheids erste Stiftung, die »anStiftung«, rief in den 80er Jahren das »Haus der Eigenarbeit« (HEI) in München ins Leben. Dann sollte ein ähnliches Projekt mit regionaler Vernetzung in einer Kleinstadt gestartet werden. Kempten wurde schließlich ausgewählt, weil es hier eine starke Agenda21-Gruppe gab, die das Projekt ehrenamtlich mittragen wollte. Es fand sich – leider ein wenig außerhalb – eine große Schreinerei, die zum Verkauf stand. Sie wurde von Jens Mittelsten Scheids Stiftung erworben und an den »Kempodium e. V.« verpachtet. Am 30. September 2000, am Tag der Regionen, wurde das Kempodium offiziell eröffnet.
Stolz berichtet Martin Slavicek von der weiteren Entwicklung. Am Anfang hätten sie sich nur zu 25 Prozent selbst finanzieren können, jetzt seien es über 80 Prozent – für so ein Projekt einmalig in Deutschland. Die restlichen Mittel kämen für die nächsten fünf Jahre von der Stadt, vom Landkreis und von Sponsoren. Noch immer wird die Arbeit wesentlich von 45 ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen getragen, doch mittlerweile gibt es auch 17 Angestellte für die organisatorischen Arbeiten. 30 Honorarkräfte leiten die Kurse und geben Beratung.
Eine glänzende Idee war offenbar die Einrichtung des Gebrauchtwarenkaufhauses »Allerhand«. Hier gibt es eine große Auswahl an gut erhaltenen oder in den Werkstätten renovierten Möbeln, Teppichen, Geschirr, Büchern und vielen anderen Dingen, die man sonst nur auf Flohmärkten findet. »Dieser Laden macht mich glücklich«, freut sich ein kleiner Junge mit glänzenden Augen, und die Eltern sind glücklich, weil sie für schöne Dinge nicht viel bezahlen müssen. Das Kaufhaus trägt wesentlich zur Finanzierung der Kempodianer bei.
Eine in vielerlei Hinsicht erfolgreiche Bilanz nach zehn Jahren. Das fand auch Jens Mittelsten Scheid – und schenkte dem Verein auf der Jubiläumsfeier Gebäude und Grundstück des Kempodiums zur eigenverantwortlichen Weiterführung.
Immer wieder feiern
Im Café sehe ich eine Frau Maggikraut zupfen. Es ist Kerstin Duchardt, Mitglied des Vereinsvorstands. Die ausgebildete Schneiderin und Kfz-Mechanikerin ist seit sechs Jahren ehrenamtlich im Kempodium tätig. Was reizt sie daran? »Ich finde einfach die Idee Klasse, andere in ihrer Kreativität zu unterstützen und selbst etwas Neues zu lernen. Es ist ja nicht die Frage, wie produktiv ich im Vergleich zu anderen bin, sondern ich messe mich an meinem Potenzial. Da gibt es so viel zu entwickeln.« Und wofür zupft sie das Maggikraut? »Ach, das ist für die Erbsensuppe heute abend. Es gibt ein Treffen aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, auch der ehrenamtlichen. Eigentlich arbeiten ja alle auch ehrenamtlich über ihre vertragliche Arbeitszeit hinaus. Wir feiern uns heute abend selbst, das machen wir öfter. Ehrenamtliche Tätigkeit muss belohnt werden. Und was gibt es Schöneres, als zusammenzusitzen, Resümee zu ziehen und neue kreative Ideen auszuhecken? Man muss nur aufeinander hören. Jeder kann beitragen, dass es besser wird. Und ›besser‹ heißt nicht in erster Linie effizienter, sondern vor allem menschlicher, schöner, ruhiger. Wir haben für heute abend auch eine Künstlerin eingeladen, die den Abend moderieren wird.«
Gab es in der letzten Zeit ein besonderes Ereignis im Kempodium, an das sie sich gerne erinnert? Kerstin meint: »Vor kurzem sagte mir ein ehrenamtlicher Mitarbeiter, es sei eine Ehre für ihn, hier zu arbeiten. Er sei mit einem Burnout-Syndrom gekommen, und sein Leben habe durch den offenen Umgang der Menschen miteinander wieder Antrieb und Orientierung bekommen. Da habe ich gespürt, dass Arbeit wirklich eine Ehre sein kann, wenn der Prozess und nicht die Leistung oder das Geld im Mittelpunkt stehen.«
Was sind die Perspektiven für die nächsten Jahre? Geschäftsführer Martin Slavicek möchte am liebsten, dass sich das Kempodium in Zukunft vollständig selbst finanzieren kann. Dazu hat er auch schon einige Ideen, wie »Rollende Werkstätten« oder ein Managertraining, z. B. in der Holzwerkstatt. Gewiss werden die Mitarbeiter noch einiges mehr ausbrüten.
Außerdem wird sich das bis jetzt eher lockere »Netzwerk der offenen Werkstätten«, das von Berlin bis Tirol reicht, als Verband neu organisieren, um die Öffentlichkeitsarbeit, den Austausch und Neugründungen effektiver zu unterstützen.
Kerstin Duchardt fügt hinzu: »Wir werden weiterhin den Spagat zwischen ökonomischer Effizienz und unseren menschlichen und ökologischen Grundsätzen schaffen. Dann können wir zeigen, dass auch eine Einrichtung, in der der Mensch im Mittelpunkt steht und menschlich behandelt wird, sich selber tragen kann.«
Der Weg zur Eigenarbeit
www.kempodium.de
www.hei-muenchen.de
www.anstiftung-ertomis.de
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Die an amyotropher Lateralsklerose leidende Angela Jansen initiierte einen Selbsthilfeverein für an ALS erkrankte Menschen.