Alex Capistran sprach mit Michaela Christ und Bernd Sommer, den beiden Initiatoren des im Wintersemester beginnenden Masterstudiengangs »Transformationsstudien« an der Europa-Universität Flensburg.von Alex Capistran, Michaela Christ, Bernd Sommer, erschienen in Ausgabe #43/2017
Alex Capistran Liebe Michaela Christ, lieber Bernd Sommer: Lässt sich Transformation studieren?
Bernd Sommer Wenn im September der Masterstudiengang »Transformationsstudien« in Flensburg startet, wird es dazu eine Möglichkeit geben: Im Studiengang geht es darum, ausgehend von einer Krisendiagnose in diversen gesellschaftlichen und ökologischen Bereichen, profund und aus verschiedenen Perspektiven über eine Neugestaltung unserer gesellschaftlichen Naturverhältnisse nachzudenken.
AC »Transformationsstudien« klingt sehr technisch – könnte ein Achtjähriger verstehen, um welche Fragen es hier geht?
Michaela Christ Grundsätzlich sind diese Fragen komplexer als das Wissen über die Welt, das Kindern meistens zur Verfügung steht. Mein Sohn ist sieben Jahre alt, und er fragt natürlich, womit ich mich beschäftige. Ich versuche mit jeder Antwort, die Welt nicht zu sehr zu entzaubern, aber auch nicht zu lügen – was nicht so leicht ist.
AC Aber sind die Probleme unserer Welt nicht ganz einfach zu verstehen?
MC Ja und nein. Nehmen Sie zum Beispiel den Klimawandel. Auch wenn seine Folgen deutlich sichtbar sind, reden wir hier über komplexe Zusammenhänge, für die unter anderem historische, ökonomische, ökologische und kulturelle Aspekte bedeutsam sind. Das schlägt sich in unserem Studiengang nieder: Es reicht beim Thema »Transformation in Richtung Nachhaltigkeit« zum Beispiel nicht aus, allein auf eine individuelle Veränderung zu setzen.
AC In der Redaktion fragen wir uns, inwiefern »nach Hause gehen und sich um die Bienen kümmern« politisch ist, also, ausgehend von der eigenen Lebenswirklichkeit wirksam tätig zu sein. In ihrem Studiengang setzen Sie eher anders an.
BS Ja, es geht um systemische Zwänge und darum, wie diese verändert werden können. Ein zentraler Punkt ist der Wandel der Ökonomie. Ob das dann eine »Postwachstumsgesellschaft« oder »ethische Marktwirtschaft« sein wird, weiß ich nicht. Auch politische Organisationen haben großen Einfluss auf Transformationsprozesse und Vorstellungen, die diesen Strukturen zugrunde liegen.
MC Angesichts von Menschen im globalen Süden, die sich den Rückzug in ein ökologisches kleines Umfeld nicht leisten können, lautet die Frage: Inwieweit kommt uns als Einzelnen eine Verantwortung dafür zu, dass sich die Welt strukturell und nicht nur im persönlichen Umfeld ändert?
BS Ich sehe dies auch nicht als Entweder-Oder. Individuelle und strukturelle Veränderungen bedingen sich gegenseitig. Der Wandel wird niemals allein von oben nach unten durchgesetzt.
BS Wir versuchen, mit dem Studiengang Praxisbezug zu vermitteln. So ist zum Beispiel kein obligatorisches Auslandssemester vorgesehen, sondern ein Praktikumsmodul, in dessen Rahmen Studierende auch in der solidarischen Landwirtschaft im Nachbarort aktiv werden können.
MC Ziel des Studiengangs ist es, alternative Perspektiven zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Praktiken und Problemen zu zeigen und mit Studenten zu diskutieren. Was Sie daraus machen, ob sie sich um ihren Bienenstock kümmern, sich an einem urbanen Gartenprojekt beteiligen oder Referentin im Umweltministerium werden, wird bewusst offengelassen.
BS Das ergibt sich allein schon aus den vielen Themen, die im Studiengang angeschnitten werden: Ernährung, Geschlechterverhältnisse, Wohnen, Nord-Süd-Verhältnisse, Mobilität, Beschleunigung, Ökonomie, um nur einige zu nennen.
AC War es bei so einer Vielzahl von Inhalten und Disziplinen nicht schwierig, einen roten Faden zu finden?
MC Die grundsätzliche Idee war, dass wir dem Studiengang eine Zeitstruktur zugrundelegen: Wir beginnen mit Gegenwartsdiagnosen, weil es derzeit sehr viele Krisen gibt, die zum Teil nebeneinander bestehen, sich sehr oft aber überlagern: Klimawandel, Ressourcenknappheit, politische Konflikte, Wachstumszwänge etc. Die Studierenden sollen gleich zu Beginn den Zusammenhängen und Unterschieden zwischen diesen Phänomenen näherkommen.
BS Im zweiten Semester geht es es stärker um historische Perspektiven, denn wir sind der Überzeugung, dass sich die Gesellschaft nur verändern lässt, wenn man eine Ahnung davon hat, wie das, was wir heute vorfinden, geworden ist. Aus unterschiedlichen disziplinären Blickwinkeln wird dann im dritten Semester über mögliche Perspektiven von Zukunft gesprochen, auch indem wir mit Utopien aus der Literaturgeschichte arbeiten. Flankiert wird das Ganze durch eine umfangreiche Methodenausbildung.
AC Literatur, Ökonomie, Soziologie und Genderthemen: Wer kann das alles auf einmal unterrichten?
MC Der Studiengang wird von Lehrenden aus acht Disziplinen gestaltet. Auch bei den Studierenden haben wir keine fachspezifischen Zugangsvoraussetzungen. Diese Vielfalt bei Lehrenden und Lernenden wird zudem in einem Kolloquium während des gesamten Studiums reflektiert: Was bedeutet es, mit so vielen unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven konfrontiert zu sein?
BS Unsere Studenten können bei uns von Anfang an lernen, wie eigenverantwortliche Forschung aussieht: Sie sollen den Prozess einer wissenschaftlichen Studie von Anfang bis Ende praktisch ausprobieren; wie man eine Fragestellung findet, Material sammelt, Interviews führt, sie auswertet und in der Gruppe arbeitet.
AC Bernd Sommer, Sie haben mit Harald Welzer zusammen ein Buch über Transformationsdesign geschrieben. Dazu wird es auch ein Modul im Studiengang geben.
BS Im Transformationsdesign wird ein Praxisprojekt im Sinn einer ökologisch-sozialen Transformation entwickelt und umgesetzt – oder zumindest wird ein Konzept erarbeitet, wie es in die Praxis gebracht werden könnte. Das ist weniger Wissenschaft, sondern eher Gesellschaftswandel zum Anfassen.
AC Inwieweit kann ein Studiengang zu Transformation darauf verzichten, den persönlichen Bildungsprozessen der einzelnen Studierenden viel Raum einzuräumen? Also der Arbeit an der Frage: Wer bin ich, und wie kann ich zum Wandel beitragen?
MC Transformation geht gewiss auch immer mit persönlichen Bildungsprozessen einher. Diese können aber nicht verpflichtender Teil des Studiums sein. Uns geht es eher um eine wissenschaftlich begründete Reflexion vorgefundener Wirklichkeiten und um das Einüben der Fähigkeit, verschiedene Perspektiven auf Wandel einzunehmen; das Persönliche können wir – auch aus Kapazitätsgründen – nur begleiten, nicht aber in den Vordergrund stellen.
BS Es gibt im Studiengang keinen systematischen Ort, wo das behandelt wird. Aber wenn Menschen zwei Jahre lang so einen Prozess durchlaufen, ist klar, dass sie nicht mehr dieselben sein werden wie diejenigen, als die sie sich auf den Weg gemacht haben.
AC Mir erscheinen die Inhalte des Studiengangs einzigartig und zum Wandel anregend, die Form kommt mir hingegen recht konventionell vor.
BS Es gibt eine Reihe ähnlicher Studiengänge. Uns zeichnet vor allem die kritische, sehr grundsätzliche Art zu fragen aus. Degrowth und alternative Wirtschaftsmodelle wie Gemeinwohl-Ökonomie können bei uns studiert werden; grundsätzliche Aspekte rücken schon bei der Problemdiagnose in den Fokus. Bei den anderen Studiengängen geht es oftmals viel mehr um die ökologische Sanierung im Rahmen des Bestehenden.
AC Hoffentlich gelingt es dem Studiengang, die wichtige Brücke zwischen Wissenschaft und transformativen Projekten und Akteuren zu schlagen. Ich wünsche Ihnen einen wandlungsvollen Studienstart und danke für das Gespräch.
Michaela Christ (43) studierte Soziologie, Politikwissenschaft und Pädagogik in Göttingen und Hannover. Seit 2013 leitet sie den Bereich »Diachrone Transformationsforschung« am »Norbert Elias Center for Transformation Design & Research« der Europa-Universität Flensburg
Bernd Sommer (41), Sozialwissenschaftler, arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag und ist seit 2012 Leiter des Bereichs »Klima, Kultur und Nachhaltigkeit« am Norbert Elias Center in Flensburg.