Titelthema

Grünes Evangelium

Eine neues Buch zeigt das immense Veränderungspotenzial auf, das entsteht, wenn sich viele Menschen um die Mehrung der Bodenfruchtbarkeit kümmern.von Jochen Schilk, erschienen in Ausgabe #43/2017

»Der Stopp der Klimakrise und die Regeneration der planetarischen Ökosysteme binnen weniger Jahrzehnte ist möglich – einfacher und schneller, als die meisten annehmen.« Diese frohe Botschaft verkündet der erste Satz eines Klappentext-»Manifests« zum neu erschienenen Titel »Die Humusrevolution – Wie wir den Boden heilen, das Klima retten und die Ernährungswende schaffen«. Verfasst hat das wegweisende Buch die taz-Mitgründerin sowie mehrfache Buch- und Oya-Autorin Ute Scheub (»Terra Preta«, »Glücksökonomie«, »Ackergifte? Nein Danke!«) zusammen mit Stefan Schwarzer. Der Geograf und Permakulturdesigner befasst sich seit einigen Jahren in der Ökodorf-Gemeinschaft von Schloss Tempelhof ganz praktisch mit der Schaffung einer regenerativen Landwirtschaft – und genau diese Form der rücksichtsvollen, naturgemäßen, humusaufbauenden Agrikultur stellt uns das Buch als wahrhaft revolutionäre Möglichkeit zur Überwindung mehrerer lebensbedrohlicher Globalkrisen vor.
Pflanzen und Bäume sind demnach unsere wichtigsten Verbündeten bei der Heilung der bedrängten Ökosysteme. Um der drohenden Erdüberhitzung sowie dem Artensterben zu begegnen und um eine wachsende Erdbevölkerung satt zu bekommen, seien kein gefährliches Geo-Egineering, kein globaler CO2-Handel, keine Gentechnik und auch keine Agrarchemie aus Konzernlaboren nötig. Eine viel bessere, vielfach erfolgreich angewandte Lösung liege uns buchstäblich zu Füßen: »Die Natur hilft uns mit dem Wunder der Photo­synthese, den Kohlenstoff aus dem atmosphäri­schen Kohlendioxid dort hinzubringen, woher er stammt und nun dramatisch fehlt: in den Boden. Humus­aufbau entzieht der Atmosphäre Treibhausgase, macht den Boden fruchtbar, sichert die Ernährung, erneuert das Grund- und Trinkwasser, sorgt für gesunde Pflanzen, Tiere und Menschen, regeneriert ganze Landschaften, drängt Versteppung und Verwüstung zurück, schafft Millionen sinnvoller Arbeitsstellen …« Bei globaler Anwendung könnte regenerative Agrikultur die ­Klimakrise je nach Schätzung binnen 10 bis 70 Jahren zur Geschichte ­machen und die Erde in einen frucht­baren Garten Eden verwandeln.
Zwar gibt es auf allen Kontinenten bereits unzählige erfolgreich wirtschaftende Ansätze im Sinn dieser Vision (das Buch führt eine ganze Reihe kleiner und großer praktischer Beispielinitiativen an, um zu zeigen, dass seine Vision im Kern alles andere als ein Luftschloss ist). Bevor aber die globale »Humusrevolution« ihr ganzes segensreiches Potenzial entfalten kann, muss ein schwerwiegendes Hindernis überwunden werden – was vermutlich eine weitere, vorgeschaltete Revolution nötig macht: Denn der Blick auf den Boden der Tatsachen zeigt bekanntlich, dass der landrauben­de Agrarindustrie-Komplex – Scheub und Schwarzer nennen ihn schlicht »Goliath« – sich einen guten Teil des weltweiten Agrarbodens einverleibt hat und mit humusfressender Arbeitsweise viel schnelles Geld verdient. Weil die Goliaths in der Regel für die Argumente der Davids nur schwer empfänglich sind, dürfte es nicht leicht werden, ihnen das Gesundschrumpfungs-Rezept der beiden Autoren nahezubringen: »Heute muss ein Bauer mit seinem Maschinenpark ungefähr 100 Hektar Monokulturen bewirtschaften, um ökonomisch zu überleben. In Zukunft könnte eine ganze Gruppe von Menschen mit Pferd und Handgeräten vielleicht 10 Hektar oder weniger vielfältig beackern. Statt ausgeräumter Landschaften könnten sich wunderschöne, kleinräumige, essbare Landschaften und Waldgärten ausbreiten, mit kleinen Feldern, Beeten, Hecken, Rändern und Säumen, Bäumen, Bächen und Teichen.« Eine neue Synthese aus altem Bauernwissen und modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen ermögliche eine unglaubliche Produktivität und mache selbst kleine Einheiten wirtschaftlich überlebensfähig; durch das Schrumpfen der Ackerfläche würde wieder Raum für Wald und Wildnis frei, und die Abkehr von der Industrie-Landwirtschaft ermögliche auch eine Regeneration des sozialen Gefüges …
Noch nicht die ganze Welt mag heute von der Notwendigkeit dieser Regenerations-Revolution überzeugt sein. Ute Scheub und Stefan Schwarzer tun mit ihrem Buch jedoch viel dafür, die Skeptiker umzustimmen. Sie unterfüttern alle ihre Thesen anhand funktionierender Beispiele oder mit wissenschaftlichen Daten. Wer offen genug ist, sich von dem klug gemachten, gut aufgemachten Buch begeistern zu lassen, den laden Ute Scheub und Stefan Schwarzer ein, schon einmal im Kleinen mit der aufbauenden Bodenarbeit zu beginnen. Für die Umsetzung der eingestreuten Praxistipps – etwa zur Pflanzenkohle-, EM- und Terra-Preta-Herstellung, zu »mobilen Hochbeeten mit Komposttee-Ablauf« oder mehrjährigem Gartengemüse – sind nicht unbedingt große Flächen nötig; ein Garten oder ein Balkon genügen, um zu üben, die Fruchtbarkeit der Planetin mit der eigenen Lebenspraxis zu mehren.   


Die Humusrevolution
Wie wir den Boden heilen, das Klima retten und die Ernährungswende schaffen.

Ute Scheub, Stefan Schwarzer
oekom, 2017
240 Seiten
ISBN 978-3865818386
19,95 Euro

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