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Gaviotas (Buchbesprechung)

von Jochen Schilk, erschienen in Ausgabe #43/2017
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Als wäre er von Anfang an dabeigewesen, so lebensnah beschreibt der US-amerikanische Journalist Alan Weisman die faszinierende Geschichte des kolumbianischen Ökodorfs »Gaviotas«.
Seit 1971 hatte Paolo Lugari Tüftler und Wissenschaftler zusammengetrommelt, um Wege zu finden, naturverträglich in der wasserreichen, aber praktisch humuslosen Savanne zu siedeln, die einen riesigen Landesteil östlich der Anden einnimmt. Schon vor 40 Jahren gelang dem Kollektiv die Entwicklung von Techniken, die nicht nur für aktuelle Bedürfnisse in Drittwelt- sondern auch für Industriestaaten in der Zeit nach dem billigen Öl wegweisend sein können: Windräder, Solar­kollektoren, kraftschonend zu bedienende und einfach zu wartende Wasserpumpen, eine mit heißem Öl arbeitende Solarküche und vieles andere mehr.
Die Forschungsarbeit wurde in den Anfangsjahren durch Gelder der Vereinten Nationen gefördert. Zu den Erfolgsgeschichten von Gaviotas gehört, dass diese ungewöhnliche Siedlung lange Jahre mitten im kolumbianischen Bürgerkriegsgebiet friedlich zwischen den verfeindeten Regierungstruppen, Paramilitärs, FARC-Rebellen und Drogenkartellen existierte. (Im Juni 2016 wurde der Abschluss eines endgültigen Waffenstillstands zwischen der FARC und den Vertretern der kolumbianischen Staatsgewalt bekanntgegeben.) Grund für den quasi neutralen Status des Dorfs war unter anderm der – auch in architektonischer Hinsicht bemerkenswerte – Bau eines Krankenhauses, auf das alle Konfliktparteien gleichermaßen angewiesen waren.
Am bekanntesten sind die »Gavioteros« aber vielleicht dafür, dass sie es schafften, auf dem ausgesprochen dünnen, nährstoffarmen Savannen-Boden, in dem von Hunderten ausprobierten Kulturpflanzen keine einzige anwachsen wollte, schließlich doch Karibische Kiefern zu etablieren. Die erste kleine Baumplantage wurde zum Schauplatz eines veritablen ökologischen Wunders, denn in dem von den Kiefern vorbereiteten Mikroklima begann bald wieder jene Regenwaldflora zu sprießen, die vor Entstehung der Savanne (vermutlich durch Waldbrände, die vor Tausenden von Jahren gewütet hatten) dort heimisch war. Während die Siedler Harz und Holz der Kiefern ökonomisch nutzen, verwandeln sie Tausende Hektar Wüste in Urwald – ein Hoffnungsfunke für die so schändlich behandelte Biosphäre!
Abgesehen von den für manche möglicherweise allzu ausführlichen technischen Ausführungen liest sich Alan Weismans bereits 2012 erschienener Bericht sehr leicht. Es ist bewundernswert, wie es dem Autor gelungen ist, auf der Grundlage von mutmaßlich wochenlangen Gesprächen mit Zeitzeugen die Geschichte des Dorfs – in der sich auch die tragische Geschichte Kolumbiens spiegelt – so aufzuschreiben, als habe er all diesen Szenen selbst beigewohnt!
 

Gaviotas
Ein Dorf erfindet die Nachhaltigkeit.
Alan Weisman
Piper, 2012
384 Seiten
10,99 Euro

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