Permakultur

Die Wildnis ganz nah

Artenschutz beim Bauen und Sanieren, Teil 1.
von Ulrike Meißner, erschienen in Ausgabe #45/2017
Photo
© Ulrike Meißner

Betrachtet man die Geschichte der kultivierten Landschaft und die Entwicklung der Anzahl von Tier- und Pflanzenarten, so zeigt sich, dass der Mensch – zumindest bis zur Industrialisierung – sich durchaus positiv auf das Vorkommen anderer Lebensformen ausgewirkt hat. Viele Arten konnten sich erst durch die vielfältige kleinräumige Besiedelung und Bewirtschaftung des Landes ausbreiten.
Heute stehen wir vor der Tatsache, dass die gängigen Bau- und Wirtschaftsweisen die quasi nebenbei über Generationen geschaffene Artenvielfalt in kürzester Zeit zerstören. In der ­Permakultur wird daher angeregt, auf jedem Grundstück einen Teil für die »Zone 5«, also für (zukünftig) völlig ungenutzte Fläche, gerne »Wildnis« genannt, zu reservieren. Nach meiner Beobachtung finden die Kulturfolger des Menschen – also Tiere und Pflanzen, die in seiner Umgebung bzw. in den von ihm geschaffenen Strukturen leben wollen – meist recht leicht ihr Habitat ganz in der Nähe; sie brauchen gar nicht sonderlich viel Platz oder Ungestörtheit.
Ich lebe auf einem kleinen Bauernhof, der viel Gelegenheit zum Beobachten und Ausprobieren bietet: Unser Resthof mit verschiedenen unsanierten Gebäudeteilen – insgesamt 1350 Quadratmeter – und rund 1,2 Hektar großer, zum Teil recht wilder Fläche ringsherum stand vor unserem Einzug zwar leer, war aber dennoch ein Ort voller Leben. In den letzten drei Jahren konnten wir zahlreiche unserer Mitbewohner entdecken und beobachten.
Mein eigener ethischer Anspruch lässt sich gut mit den Permakultur-Ethikprinzipien beschreiben: »Sorge tragen für die Menschen; Sorge tragen für die Erde; gerecht teilen.« Wer Eigentümer einer Immobilie ist, hat die große Chance, konkret für Lebendigkeit, Natürlichkeit und Vielfalt eintreten zu können.
Bei der Sanierung und der Geländegestaltung unseres Hofs zerbrach ich mir oft den Kopf über die Frage, wie wir es uns hier schön machen und trotzdem unsere Wohn- und Arbeitsgebäude so gestalten können, dass sie auch für die Tiere lebenswert bleiben. Wir leben hier in einer Vielfalt, die in neu gebauten Siedlungen nur mit dem Willen der Gestalter einziehen wird – und die bei mangelnder Rücksichtnahme auch allzu schnell kaputtsaniert wird.

Solitär lebende Insekten
Sobald im Frühjahr die Sonne die Mauern unserer Häuser erwärmt, summt und brummt es auch vor den alten Feldsteinmauern unseres Hofs. In den alten Lehm- und Kalkmörtelfugen zwischen den Steinen nisten verschiedene solitär lebende – das heißt nicht-staatenbildende – Wildbienen, Hummeln und Wespen. Manche von ihnen graben sich selbst schmale Gänge, um darin ihre Eier inklusive Futter abzulegen, andere nutzen vorhandene Gänge. Diese friedfertigen Mauerbewohner stechen von sich aus nie – es sei denn, man bringt sie in äußerste Bedrängnis.
Um den Lebensraum dieser Arten zu erhalten, verfugen wir dort, wo die Statik es erlaubt, die Feldsteinmauern mit Lehm. Damit nicht zu viele bestehende Niströhren auf einmal verschwinden, gehen wir abschnittweise vor. An manchen Stellen stechen wir auch mit dünnen Holzstäben Röhren vor.
Der in diesem Frühsommer neu verfugte Bereich wurde schon im Spätsommer von einigen gängebauenden Wespen neu besiedelt.
Wer keine unverputzten Mauerwerke zur Verfügung hat, kann ähnliches natürlich neu bauen oder einfach Nisthilfen aufstellen. Beim Nachbau vieler gängiger »Insektenhotels« ist allerdings Vorsicht geboten, denn diese weisen in vielen Fällen leider nur geringen ökologischen Wert auf. Sehr gute Hinweise für den Bau von Insekten-Nisthilfen finden sich in den beiden unten angegebenen Büchern. Die wichtigsten Tipps aus dem Buch von Paul Westrich fasse ich hier zusammen:
Die rund 550 verschiedenen heimischen Insektenarten haben ganz unterschiedliche Ansprüche an ihre Nistplätze. Da gibt es einige, die gern vorhandene Hohlräume nutzen; diesen können wir Schilf- oder Bambusröhrchen oder auch Pappröhren (mit einem Durchmesser von 8 mm) anbieten. Auch Stücke von Hartholz lassen sich mit 5 bis 10 cm tiefen Löchern von 2 bis 9 mm Durchmesser versehen. Wichtig ist es, das Holz quer zur Faserrichtung zu bohren, da so kaum Risse entstehen. Außerdem müssen die Bohrlöcher glatt sein, da bei ausgefransten Holzfasern Verletzungsgefahr für die zarten Insektenflügel besteht und solche Löcher nicht besiedelt werden. Gleiches gilt auch für Bambus- und Schilfröhrchen.
Bei Lehmelementen für grabende Insektenarten ist darauf zu achten, dass das Material nicht zu fest ist; der Tonanteil darf also nicht zu hoch sein. Das Substrat sollte sich mit dem Fingernagel leicht abschaben lassen, ansonsten ist es für die Insekten zu hart.
Andere Wildbienen legen ihre Nistgänge in Totholz an. Diesen Arten ist geholfen, wenn abgestorbene Laubbäume stehengelassen werden. Auch kann man abgestorbene Äste oder Baumstämme an sonnigen Stellen der Witterung ausgesetzt liegen lassen.
Weitere Arten nutzen natürlicherweise die abgestorbenen, stehengelassenen Stengel markhaltiger Pflanzen wie Königskerze, Himbeere, Distel oder Beifuß. Ersatzweise können die trockenen Stengel senkrecht aufgestellt werden. Ähnlich wirken auch stehende Schilfmatten, die z. B. als Schutz um junge Bäume gewickelt werden. Hier sahen wir auch schon Bienen ein- und ausfliegen.
Gleich, welches Nistmaterial die Tiere benötigen – allen gemeinsam ist das Bedürfnis nach Wärme und Trockenheit. Eine Nisthilfe für Insekten sollte also immer in Ausrichtung nach Süd oder Ost stehen und lange von Sonne beschienen werden.
Besiedelt werden die Nisthilfen nur dort, wo die Insekten auch Nahrung finden. Arten, die für ihren Nachwuchs Pollen eintragen, brauchen die entsprechenden Futterpflanzen, also vielfältig blühende Wiesen. Arten, die andere Insekten, z. B. Stubenfliegen, an ihren Nachwuchs verfüttern, benötigen eine vielfältige Umgebung, wo sie jagen können. Eine von Rasenmonokultur umgebene Nisthilfe wird kaum besiedelt werden.

Staatenbildende Insekten
Viel mehr als die solitär lebenden Bienen haben wir Menschen die staatenbildenden Hornissen, Wespen, Hummeln oder die Honig­biene im Bewusstsein. Die damit verbundenen Ängste sind in vielen Fällen unbegründet, da nur zwei der elf heimischen staatenbildenden Wespenarten für den Menschen lästig werden können, weil sie auf Süßes oder Fleisch auf unseren Tischen »abfahren«; auf Honigbienen wirkt lediglich ein offen stehendes Glas Honig unwiderstehlich. Hornissen, Honigbienen und Wespen benötigen geschützte Hohlräume für ihre Nester, und so kommt es vor, dass sie sich in Dachböden oder hinter Fassaden niederlassen. Werden diese Bauten erst nach Beginn einer Haussanierung entdeckt, sollte der Kontakt zur Naturschutzbehörde gesucht werden, die entsprechend ausgerüstete Fachleute vermittelt, um eine Umsiedlung der Völker zu ermöglichen. Sind Wespen oder Hornissen unbemerkt ins Haus eingezogen und stören durch ihr Ein- und Ausfliegen nicht, so kann man sie unbesorgt wohnen lassen, da sie stets nur für eine Saison bleiben. Die Völker sterben im Herbst, lediglich die Jungköniginnen überwintern und gründen an anderer Stelle im nächsten Jahr ein neues Volk. Honigbienen allerdings erhalten ihr Volk über den Winter hinweg. Im Fall eines Schwarms, der sich beispielsweise an oder in einer Fassade niedergelassen hat, sollte ein Imker gefragt werden, ob er die Tiere in seine Obhut nehmen möchte.
Insbesondere Hornissen kann man auch in speziellen, in Bäumen aufgehängten Kästen alternativen Wohnraum anbieten.

Amphibien und Reptilien
Über einen vielfältigen Lebensraum rund ums Haus freuen sich ebenso Frösche, Eidechsen und Schlangen. An Gebäuden schätzen auch sie die sonnenbeschienenen warmen Mauern der Süd-, Ost- oder Westseiten – vor allem dort, wo sie Nischen zum Verstecken finden. Wir entdeckten im vergangenen Sommer die Kinderstube einer Zauneidechse mit unzähligen winzigen Eidechsen, die in der Sonne saßen und sich bei unserem Kommen schnell versteckten. Unterstützen kann man diese Arten, wenn man Trockenmauern mit größeren Hohlräumen erhält oder neu baut. Alternativ bietet man größere (Feld-)Stein- oder Holzhaufen im Garten als Ausweichquartiere an. Diese werden beispielsweise von Blindschleiche, Zauneidechse, Ringelnatter oder Erdkröte als Versteck, Kinderstube oder Winterquartier genutzt. \ \ \


Buchtipps
Paul Westrich: Wildbienen. Die anderen Bienen.Verlag Dr. Friedrich Pfeil, 2015
Markus Gastl: Ideenbuch Nützlingshotels. Ulmer, 2016

weitere Artikel aus Ausgabe #45

von Elisabeth Voß

Leben in Kooperation (Buchbesprechung)

Das Buch »Leben in Kooperation« von Matthias Möller untersucht Aufschwung und Niedergang der sozialreformerischen Mustersiedlung Freidorf am Stadtrand von Basel. Diese wurde im Mai 1919 gegründet und zügig erbaut. Um ein Genossenschaftshaus gruppierten sich

von Vivien Beer

Tödliche Freundschaft (Buchbesprechung)

In seinem neuen Buch »Tödliche Freundschaft« durchreist der Journalist Florian Schwinn 23 Millionen Jahre eines gemeinsamen Lebens von Mensch und Tier, das tief in unserer Kultur und unseren Genen verwurzelt ist. Brandaktuell und zugleich zeitlos ist die Frage nach dem

Photo
von Lara Mallien

Auf dünnem Eis

Auf dem Titelbild dieser Ausgabe ist ein Porträt von Adele Graf zu sehen. Es steht in der Küche des »Adele-Hauses« gegenüber dem Oya-Büro in der Mitte des Dorfs Klein Jasedow. Das Haus ist ein sich über die Jahre hinweg entwickelnder Allmende-Ort, wo für

Ausgabe #45
Nach Hause kommen

Cover OYA-Ausgabe 45
Neuigkeiten aus der Redaktion