Eines Tages lud mich eine Freundin zu einer Kakao-Zeremonie ein. Ich war neugierig. Eine solche Zeremonie schafft einen geschützten Raum, in dem Menschen sich darauf vorbereiten, mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Dann wird Kakao als Lehrerin eingeladen, indem alle eine starke Zubereitung aus rohen Bohnen trinken – langsam und in Maßen. Schon während meiner ersten Zeremonie hatte ich das Gefühl, tiefer als je zuvor in meine Innenwelt zu sinken – als würde ich durch eine Schicht stoßen. Kakao hat eine sanfte und trotzdem kraftvolle, herz-fokussierte Qualität. Sie hüllt mich ein wie eine weiche Decke, darin kann ich vor mir selbst ganz verletzlich sein. Durch die Pflanze verändert sich auch mein Verhältnis zur Erde und ihren Rohstoffen. Auf einer kognitiven Ebene war mir bewusst, wie wichtig respektvoller Umgang mit allen Lebensressourcen ist – aber das anhand einer Pflanze, mit der ich eine freundschaftliche Verbindung aufgebaut habe, zu erfahren, ist etwas anderes. Indem ich mich mit den Produktionsbedingungen und dem Konsum von Kakao beschäftige, wird mir bewusst, wie sehr im Umgang mit dieser Pflanze Liebe und Respekt fehlen. Diese Erkenntnis hat alle Zellen meines Körpers erfasst. Serap Kara, die meine erste Kakao-Zeremonie angeleitet hat, wollte zur Verbindung dieser beiden Aspekte – Kakao als Seelennahrung und Beispiel für Ausbeutung – einen Workshop konzipieren. Da ich Erfahrung im pädagogischen Bereich habe, ergab sich ein Lernaustausch zwischen Serap und mir. Ich hatte dadurch die Chance, viele Fragen zu stellen, die mich selbst interessierten. Aus Seraps Antworten entwickelten wir ein Curriculum für ihre neu gegründete »Cacao Mama Earth School«. Das war nicht einfach. »Wie kann die Wissensweitergabe zwischen Lehrerin und Schülerin gelingen?«, fragte ich mich oft. Wie lässt sich intuitives Wissen, das sich nur schwer in Worte gefasst werden kann, vermitteln? Wissen ist wie ein Kreis und zugleich wie eine Spirale. Mit ein wenig Abstand betrachtet, wirkt es wie ein in sich geschlossenes, kreisförmiges Feld, aber in Wirklichkeit führen darin Spiralwege endlos nach oben und unten. Ich komme immer wieder an den gleichen Stationen vorbei, aber in anderer Tiefe oder Höhe. Neue Erfahrungen stellten Aussagen von Serap wieder in ein neues Licht. Unser Versuch, Erfahrungswissen in abstrakte Begriffe zu übersetzen, ließ auch wieder neue Erkenntnisse entstehen. Ich frage mich stets was es heißt, dass wir mit einer Pflanze arbeiten, die von weither kommt. Der weltweite Kakaokonsum übersteigt die nachhaltig produzierbare Menge. Der zeremonielle Gebrauch macht zwar nur einen geringen Teil aus, aber für eine Zeremonie benötigt man 36 Bohnen pro Person, das ist ein Vielfaches dessen, was in einer Tafel Schokolade enthalten ist. Wir sollten uns fragen, wann Kakao für einen zeremoniellen Rahmen wichtig ist und wann nicht. Manchmal lässt sich ja auch nur mit Tanzen ein transformativer Raum kreieren. Der lateinamerikanische Schamanismus geht davon aus, dass der Geist einer Pflanze in einen Menschen einziehen kann. Wer darin Übung hat, braucht immer weniger einzunehmen, um die Verbindung aufzubauen. Die eine Geschichte, die vielen Traditionen Lateinamerikas zugrunde liegt, besagt: Alles ist belebt, wir sind mit allem verwandt. In Europa dominiert die wissenschaftliche Geschichte über Pflanzen. Einige von ihnen haben psychoaktive Inhaltsstoffe, die im Gehirn auf die Synapsen einwirken. Das ist interessant und kann zum Beispiel erklären, warum sich Kakao nicht gut mit Antidepressiva verträgt. Die traditionelle Geschichte über die Verbindung mit der Essenz einer Pflanze gab und gibt es in Europa freilich auch, obwohl ein Großteil des alten Wissens hier systematisch ausgerottet wurde. Ich denke, wir können sie auch im Hier und Jetzt weitererzählen und Pflanzen als lebendige Wesen mit einer eigenen Intelligenz wahrnehmen. Es ist schade, dass beide Geschichten als gegensätzlich wahrgenommen werden. Ich kann mit beiden etwas anfangen und wünsche mir, dass Menschen sich Pflanzen liebevoll anvertrauen und dadurch zu sich selbst mehr Vertrauen gewinnen.
Alexa Brand leitet Kakaozeremonien und betreut junge Menschen in ihren Freiwilligendiensten im Ausland. www.cacaomama.com