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Der Seneca-Effekt (Buchbesprechung)

von Sarah Franz, erschienen in Ausgabe #46/2017
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Bekämpfe niemals die Entropie! Arbeite an den Ventilen, um Druck abzulassen oder vorhandene Energie einzufangen – aber versuche niemals, etwas gegen die wirklich großen Kräfte auszurichten, sondern füge dich ihnen!
Diese Botschaft klingt in mir noch lange nach. Sie begleitet mich beim Blick aus dem Fenster und beim Nachdenken über den Weg, den die Menschheit im Augenblick beschreitet. Ugo Bardi hat es geschafft, nicht nur meinen Blick für das große Ganze neu zu schärfen, sondern auch die Ähnlichkeit zwischen den Abläufen in riesigen und klitze-kleinen Prozessen zu sehen. Der »Seneca-Effekt« – ich hatte vorher noch nie von ihm gehört – wird im gleichnamigen Buch anhand zahlreicher Fallbeispiele erklärt: vom zerbrochenen Krug über den Zusammensturz des World Trade Centers bis zum Tod Gaias, dem Ende des Ökosystems Erde.
Kurz gesagt, handelt es sich beim Seneca-Effekt um den zu beobachtenden gleichartig-en Ablauf von Zusammenbrüchen: Nach einer längeren Zeit des Wachstums findet der Kollaps eines betrachteten Systems verhältnismäßig schnell statt, wesentlich schneller als der Aufbau. Umso überraschender kommt er demnach häufig – und umso wichtiger ist es (sofern der Wunsch besteht, dem Zusammenbruch entgegenzuwirken), die Warnsignale lesen zu lernen. Schließlich gehen jedem Zusammenbruch Risse voraus. Manchmal jedoch sind Betroffene blind dafür.
Natürlich geht Bardi auf die großen fünf Massensterben auf unserem Planeten, von denen wir bisher wissen, ein – und auch auf das sechste, das wir allem Anschein nach momentan hautnah miterleben. Hier sei eine weitere für mich äußerst wichtige Erkenntnis aus dem Buch erwähnt: Zusammenbrüche sind kein Defekt, sondern eine Eigenschaft von komplexen Systemen. Der Seneca-Effekt und Bardi lehren mich: Wenn ein Zusammenbruch droht, nimm ihn entweder in Kauf und bereite dich, so gut es geht, auf das (Ungewisse), was danach kommt, vor – oder aber versuche, die sich freisetzende Energie für etwas zu nutzen!
Der Autor lädt die Leser und Leserinnen erfreulicherweise dazu ein, das eine oder andere Kapitel zu überblättern oder einfach nur einzelne Artikel zu lesen, da diese auch gut alleine funktionieren. Obwohl ich manchmal an den Rand meines technisch-mathematischen Denkvermögens gebracht wurde, habe ich dennoch kein Kapitel übersprungen, weil ich immer wieder in den Bann gezogen wurde. Die Verbindungslinien zwischen diversen Phänomenen unter dem Aspekt des Zusammenbrechens, die der Autor physikalisch-mathematisch bis historisch-philosophisch und hin und wieder noch angenehm sarkastisch zieht, sind spannend bis augenöffnend. Sie machen Lust auf weiteres Forschen!
Erfrischend ist übrigens auch die Zurückhaltung des Autors, der nicht die eine Lösung parat hält, sondern vielmehr die Leserinnen und Leser dazu einlädt, die richtigen Fragen zu stellen und den Blick fürs Ganze nicht zu verlieren. Ich werde die Erkenntnisse aus Bardis Buch, das nebenbei der 42. Bericht an den Club of Rome ist, für meine Beschäftigung mit der Permakultur nutzen können. Das Buch lege ich jedem Menschen ans Herz, der die großen und kleinen Kollapse unserer Zeit verstehen, das Funktionieren des Universums näher kennenlernen und sich mit dem richtigen Rüstzeug für kommende Herausforderungen ausstatten möchte. Es zeigt nämlich, dass der gesteuerte Zusammenbruch einer überholten Struktur den Wandel erleichtern kann, der ohnehin unvermeidbar ist.


Der Seneca-Effekt
Warum Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können.
Ugo Bardi

Oekom, 2017, 320 Seiten
ISBN 978-3960060109
25,00 Euro

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