Buchtipps

How soon is now? (Buchbesprechung)

von Leonie Sontheimer, erschienen in Ausgabe #46/2017
Photo

Auf den ersten Blick ist das neue Buch von Daniel Pinchbeck nur eine weitere Stimme im massentauglichen Wir-müssen-endlich-handeln-Kanon. »Wie lange wollen wir noch warten?« fragt der Philosoph und Bestsellerautor im Titel und verwendet dann zunächst hundert Seiten darauf, die multiplen Krisen nachzuzeichnen. Was Pinchbecks Schilderungen von anderen Apokalypse-Büchern unterscheidet, ist die Brille, durch die er die fatale Situation betrachtet. Er glaubt, »dass wir unbewusst die ökologische Megakrise entfesselt haben, um ein kollektives Erwachen zu erzwingen und auf dem Weg der Entfaltung unserer Spezies eine neue Ebene zu erreichen.« Es geht also um etwas Größeres, einen Bewusstseinswandel, einen Schritt in der Evolution der Menschheit. Die Krisen, in denen wir uns aktuell befinden, versteht Pinchbeck als eine Initiation, also als eine Art Reifeprüfung.
Der Verfasser von »2012. Die Rückkehr der gefiederten Schlange« bezeichnet sich selbst als esoterisch und ist als Verfechter psychedelischer Substanzen bekannt. Mindestens genauso verficht er allerdings auch die menschliche Verantwortung, endlich zu handeln – davon überzeugt, dass der Wandel noch möglich ist: »Ein wichtiger Wendepunkt könnte sein, dass eine kleine Gruppe von Menschen eine neue Art zu leben für sich entdeckt, die sich dann mit einem Mal auf das Ganze ausbreitet – was schnell geschehen könnte.« Der sprunghafte Wandel ist ein wiederkehrendes Motiv des Buchs, die technische Entwicklung wirke dabei möglicherweise als potenter Katalysator. Die Vision ist eine regenerative Gesellschaft innerhalb der Grenzen des Planeten, »in der wir den Überfluss miteinander teilen, wo Wissenschaft und Spiritualität zusammenkommen und jeder Zeit und Gelegenheit hat, um zu lernen, zu leben und zu lieben.« In dieser Gesellschaft, so Pinchbeck, werden wir eine neue Bewusstseinsebene erreicht haben.
Auf gut 400 Seiten wird verständlich erklärte Theorie mit konkreten Lösungsvorschlägen verwoben. Es geht darum, was wir von vergangenen Revolutionen lernen können, wie eine neue Landwirtschaft aussehen soll und warum es wichtig ist, den Eros zu befreien. Es werden sowohl okkulte Verschwörungen als auch technokratische Dystopien thematisiert. Zwischendurch wird es definitiv abgefahren. Pinchbeck ist sich dessen jedoch bewusst und ermutigt die Leserin, »anders zu denken und alternative Möglichkeiten ins Auge zu fassen, selbst radikale.«
Für Einsteiger ins Thema Transformation ist »How soon is now?« ein geeignetes Überblickswerk. Oya-Leserinnen können das eine oder andere Kapitel wahrscheinlich überfliegen. Schön ist, dass man den visionären Autor durch die Lektüre näher kennenlernt. Viele Zusammenhänge illustriert er anhand selbsterlebter Geschichten. Ebenso lässt er unterschiedliche Ansätze aus anderen Kulturen einfließen, wodurch seine Theorie sehr reichhaltig wird. Kritisch anzumerken ist, dass Daniel Pinchbeck in der Perspektive eines privilegierten US-Amerikaners verhaftet bleibt, der die ganze Menschheit von seiner globalen Lösung überzeugen will. Etwas weniger Absolutheitsanspruch und Missionierungsdrang hätten dem Buch gutgetan.
 

How soon is now?
Wie lange wollen wir noch warten? Ein Manifest gegen die Apokalypse.
Daniel Pinchbeck
Scorpio Verlag, 2016, 408 Seiten
ISBN 978-3958030749
24,90 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #46

Photo
von Stefan Schwarzer

Im Waldgarten

Gerne halte ich Vorträge über die für mich sehr faszinierende Geschichte des kulturellen Übergangs vom Jagen und Sammeln zum Ackerbau. Der Evolutionsbiologe Jared Diamond bezeichnet diesen Schritt als größten Fehler der Geschichte: Die Menschen wurden kleiner und

Photo
von Julián Acotto

Dem Ruf gefolgt

Auf der Suche nach den Ursprüngen der Musik­richtung »Cumbia« reiste ich vor ein paar Jahren nach Kolumbien. Dort hörte ich zum ersten Mal die »Tambor alegre« (fröhliche Trommel). Ihre Rhythmen brachten die Luft auf eine Art und Weise zum Schwingen, die

Photo
Bildungvon Emil Allmendröder

Selbstorganisierte Lehrerausbildung

»Hast du Interesse daran, dass jemand wird, wie du es willst, oder hast du Interesse daran, wie jemand ist?« Als ich diesen Satz höre, rutschen plötzlich viele der Mosaiksteine, die ich in den letzten Monaten gesammelt habe, an ihre Stelle. Vor uns steht Oswald, ein

Ausgabe #46
Erzählen

Cover OYA-Ausgabe 46
Neuigkeiten aus der Redaktion