Wie ein kleines Selbstversorgerprojekt in Hessen zum Vorzeige-Biobauernhof wurde.von Renée Herrnkind, erschienen in Ausgabe #6/2011
Kann sich ein Lebensweg rund um gute Butter entwickeln? Bei Godehart Hannig und seiner Frau Renate Kremin-Hannig vom »Kirchhof Oberellenbach« im hessischen Knüll spielt sie jedenfalls eine ganz wichtige Rolle. Ende der 70er Jahre entschloss sich das junge Paar, aus dem vermeintlich erfolgreichen Leben als Fotokaufmann und Chemielaborantin auszusteigen. Geprägt von politischen Diskussionen und getrieben vom Wunsch nach einem Selbstversorgerleben, kauften sie 1981 gemeinsam mit einem anderen Paar einen heruntergewirtschafteten, alten Bauernhof im »Zonenrandgebiet«, wie das damals hieß, den Kirchhof. Drei Hektar Land, ein paar Schafe, viel guter Wille – und wenig Ahnung von Ackerbau und Viehzucht. »Wir waren auf uns bezogen, wollten selbstbestimmt arbeiten – und wir hatten eine Vorstellung von bester Lebensmittel-Qualität.« Hier kommt die richtig gute Butter ins Spiel. Sie knüpft an die Tradition von anständiger Tierhaltung mit angemessener Fütterung und handwerklicher Milchverarbeitung an. Damit konnten die Hannigs wieder auf Traditionelles zugehen, denn zunächst hatten sie sich radikal losgesagt von dem, was früher war. Heute weiß Godehart: »Die Kräfte, die man in einer solchen Situation entwickelt, sind schon sehr gewaltig, führen oft zu radikalen Brüchen. Das ist zum Teil notwendig, um eigene Erfahrungen zu machen.« »Nach der ersten Spielerei mussten wir uns entscheiden«, erinnern sich die Hannigs. Dem befreundeten Paar wurde die Kirchhof-Arbeit bald zuviel. »Wir jedoch hatten hier unser Ding entdeckt. Weil wir fest entschlossen waren, vom Hof zu leben, mussten wir wachsen, den Betrieb existenzfähig machen.« Mehr Tiere wurden gekauft, also brauchte der Kirchhof mehr Land für Weide und Futteranbau. Es floss mehr Milch, die zu leckerem Käse verarbeitet wurde. So begann auch schon der Handel, die Nachfrage war gut, die Produkte waren authentisch. »Das Selbstversorgermodell war für uns nicht tragfähig. Wir wollten leben von unserer selbstbestimmten Arbeit. Ein Zurück in die Stadt kam für uns nicht in Frage.« Schnell entwickelte sich der Kirchhof zu einem biologisch-dynamischen Demeter-Hof mit heute über 100 Hektar Fläche, 100 Ziegen und 50 Milchkühen. Eigene Milchverarbeitung, Bäckerei, Metzgerei und Hofladen kamen Zug um Zug dazu. Die Anthroposophie war eine Entdeckung für Renate und Godehart. »Wir wollten uns natürlich nichts vorschreiben lassen. Dann merkten wir schnell, dass wir bei der Junglandwirtetagung, in der Heilpädagogik, im Waldorfschul-Umfeld oder in Dornach bei der landwirtschaftlichen Tagung Antworten bekamen und vor allem an Fragen gemeinsam arbeiten konnten.« Immer mehr suchten die Hannigs den Austausch mit erfahrenen Landleuten. »Nicht aus Nostalgie, sondern um zu begreifen, was früher gut war, um es weiter zu entwickeln, ins Heute zu übersetzen.« Damals ließ sich Qualität ja schmecken – etwa im Stück guter Butter. Heute sind die wertvollen ungesättigten Fettsäuren und der charakteristische Geschmack von Butter wieder gefragt. »Den kriegt Butter nur, wenn die Tiere mit kräuterreichem Grünfutter versorgt werden, frische Luft und Sonne tanken können.« Bewusstheit leben Längst hat der Kirchhof ein stabiles Umfeld. »Menschen spielten eine große Rolle für unseren Lebensweg«, betont Renate. »Es war wichtig, uns von uns selber wieder abzuwenden, auf andere zuzugehen, Allianzen zu schmieden, Bedürfnisse zu erkennen.« Der Hof gehört dem »Verein zur Pflege von Mensch und Erde« an, der Landwirtschaft mit sozialer Arbeit, Heilpädagogik und Veranstaltungen vereint. Gut 100 Menschen bilden das vitale Geflecht um den Kirchhof, übernehmen Tierpatenschaften und leihen Geld für das neue Backhaus. Trotz unbestreitbar viel Arbeit gelingt es den Kirchhöflern, den Tag so zu strukturieren, dass Bewusstheit und Genuss lebbar bleiben. Feste Essenszeiten, gemeinsame Mahlzeiten, Dankbarkeit dafür, morgens der Wochenspruch und das Singen, Jahresfeste, die Gewissheit, eingebettet zu sein in etwas Großes – das alles stärkt. »Wichtig sind vor allem die Veränderungsprozesse«, ergänzt Godehart. Schon geht es nämlich darum, loszulassen, Platz zu schaffen für Nachfolger. »Für uns ist Zurücktreten aus der Verantwortung angesagt«, sind sich Renate und Godehart einig. Sie beginnen, sich innerlich zu lösen, damit Freiheit entsteht. »Wir möchten weiter an uns arbeiten und deckungsgleich bleiben in dem, was wir sind, und dem, was wir tun.« Es gibt bereits neue Ideen: Renate kann sich ein Gastronomieprojekt vorstellen, Godehart will systemische Aufstellungsarbeit machen. Der Kirchhof gibt dabei Sicherheit und ist starker Kraftquell.