Urbane Landwirtschaft ist in Berlin bereits eine bunte Bewegung.von Juliane Rudloff, erschienen in Ausgabe #6/2011
Um zur Verschönerung meines Viertels beizutragen, habe ich im Frühjahr in einer WG-Aktion Blumensamen verteilt, eine Himbeere an die Hecke vor dem Haus gepflanzt und bin mit Eimer und Schippe zu einer organisierten Pflanzaktion marschiert. Die Ergebnisse waren ernüchternd: Die nur an einer einzigen Stelle zart sprießenden Blümchen wurden vom erstbesten Hundehaufen plattgemacht, die Himbeere musste ob des schlechten Bodens auf den Balkon gerettet werden, und das Beet der Pflanzaktion »we care« war trotz zweistündiger Suche nicht zu finden. Andere Initiativen für urbane Landwirtschaft gehen die Verbesserung des Lebensumfelds zum Glück systematischer an. Um Konzepte, Initiativen und Politik zusammenzubringen, lud der Arbeitskreis »Nachhaltige Stadtentwicklung« des Bildungswerks der Böll-Stiftung im September zur ersten Berliner Konferenz »Urbane Landwirtschaft« ein. Sieben Grundtypen von Stadtlandwirtschaft hatten Studenten der TU Berlin ermittelt: Guerilla Gardening, Mobile Gärten, Dachgärten, Schulgärten, Gemeinschaftsgärten, City Farms und »Community Supported Agriculture« (CSA, siehe Oya 1). Dass immer mehr Berliner sich in Gärtner verwandeln, hat viele Motive: Selbstbestimmung, Gemeinschaft, draußen zu sein, mit Kindern zu sein, das Bedürfnis nach sinnvoller und körperlicher Tätigkeit. Für viele ist die Lust am Pflanzen und Ernten auch mit dem Wunsch nach natürlichen Lebensmitteln, die den eigenen ökologischen Fußabdruck nicht vergrößern, verbunden. Die vielfältigen Formen vom Kiezgarten bis zum Obstbaumpark sind aber nicht zuletzt auch Ausdruck eines neuen Anspruchs auf Gestaltung des eigenen Umfelds. Allein landwirtschaftlich nutzbare Brachflächen machen in Berlin einen Flächenanteil von 3,4 Prozent aus – das sind etwa 3000 Hektar!
Nomadisierende Prinzessinnengärten Medienwirksam, professionell und mit Charisma haben seit Sommer 2009 die Prinzessinnengärtner Marco Clausen und Robert Shaw die urbane Landwirtschaft in die öffentliche Diskussion gebracht. Dass der Historiker und der Filmemacher nun auch Gärtner wurden, beruht auf Überlegungen zur Gestaltung der eigenen Arbeit: Robert suchte nach einer Tätigkeit, bei der er sein Kind dabeihaben kann. So begann er, eine Brachfläche am Moritzplatz in einen Garten zu verwandeln. Mit den Prinzessinnengärten wollen die Initiatoren nicht nur das Lebensumfeld des Kreuzberger Kiezes verbessern, sondern auch die Aneignung städtischer Brachflächen thematisieren. Ihre gemeinnützige GmbH »Nomadisch Grün« erhebt jedoch weder Anspruch auf dauerhafte Nutzung des Geländes noch auf Geschenke. Sie haben mit dem Liegenschaftsfonds einen Zwischennutzungsvertrag über das 6000 m2 große Gelände abgeschlossen, dessen Marktwert bei 8 Millionen Euro liegt. Die Miete wird aus den Erlösen des Freiluftcafés mit Speisen aus eigenem Anbau sowie durch den Verkauf der Ernte und von Setzlingen finanziert. In Reissäcken und lebensmittelechten Stapelbehältern kultivieren Anwohner und Gast-Gärtner vor allem auf ökologische Weise seltene, alte Sorten. Die Prinzessinnengärten sprechen die Menschen nicht nur als Konsumenten an, sondern als kreative (Mit-)Macher. Einmal die Woche ist offener Gartenarbeitstag, es gibt tägliche Öffnungszeiten, Führungen sowie kulturelle und gastronomische Veranstaltungen. Zum Selbstverständnis gehört auch, dass rund 50 Jugendliche unterstützt werden, hier eigene Projekte zu entwickeln.
Interkulturelle Gärten Neben den Kleingärten sind interkulturelle Gärten eine der etabliertesten Formen städtischen Gärtnerns. Einer der bekanntesten Berlins ist an der ehemaligen Bahnanlage Gleisdreieck zu finden, wo seit dem Zweiten Weltkrieg unberührte Brachflächen zum Teil eine wilde Natur hervorgebracht haben. Auf Initiative des Vereins »südost Europa Kultur« wurde der Garten 1992 für – hauptsächlich weibliche – traumatisierte Flüchtlinge des Jugoslawienkriegs eröffnet. Ziel war es, über die ethnischen und nationalen Grenzen hinweg einen Raum für Verständigung und Heilung zu schaffen. Die Frage war nicht »Wo kommst du her?«, sondern »Was brauchst du?«. Der Garten besteht heute aus etwa 35 Parzellen, die sich meist zwei bis drei Frauen teilen. Jede bringt ihre eigenen Samen mit, meist aus der alten Heimat. Das Projekt finanziert unter anderem der Europäische Flüchtlingsfonds, der Bezirk stellt die Fläche ohne Miete zur Verfügung. Dafür ist der Bereich öffentlich, und der Verein betreut die Besucher.
Nachbarschaftsgärten und Stadtbienen Für Nachbarschaftsgärten gibt es hingegen nur wenige Förderinstrumente, und oft muss die Existenz erst hart erkämpft werden. »Rosa Rose« ist hier ein prominentes Beispiel. Anwohner hatten sich ein brachliegendes Gelände im Stadtteil Friedrichshain zu eigen gemacht und innerhalb von fünf Jahren in ein Gartenparadies verwandelt. Intensive Verhandlungen mit dem neuen Investor und dem Bezirksamt konnten die Räumung nicht verhindern. Inzwischen ist ein anderes Gelände gefunden, das von den ehemaligen Guerilla-gärtnern unentgeltlich genutzt und gestaltet werden kann. Einfacher hatte es dagegen der Nachbarschaftsgarten in der Schliemannstraße im Prenzlauer Berg. 2003 stellte der Bezirk eine Fläche mit Wasseranschluss und ausgetauschtem Boden zur Verfügung. Der Kiezgarten wird von etwa zehn Erwachsenen und ebenso vielen Kindern beackert. Individuelle Parzellen gibt es nicht, allen gehört alles. Die Verantwortung fürs Jäten und Gießen wird geteilt. Einmal im Jahr kommen alle zu einem großen Treffen zusammen, auf dem vorgeplant wird. Ansonsten ist die Gruppe relativ lose organisiert, man kommuniziert über Mailinglisten. Der Kiezgarten erhält vom Natur- und Grünflächenamt gelegentlich finanzielle Unterstützung aus dem Programm »Ehrenamtliches Engagement auf Grünflächen«, der Rest ist Eigeninitiative. Urbane Landwirtschaft würde kaum funktionieren ohne ganz besondere Helfer: Stadtbienen finden im urbanen Raum eine Pflanzenvielfalt vor, wie sie in den Monokultur-Ödnissen vieler ländlicher Gegenden leider kaum mehr vorkommt. Etwa eintausend Imker gibt es in Berlin, jeder von ihnen hält etwa fünf bis zehn Bienenvölker. Die Stadtimkerei eignet sich für die urbane Landwirtschaft ideal, weil hier kein Besitz an eigenem Grund und Boden notwendig ist. Stadtbienen lassen sich hervorragend auf Balkonen, Terrassen, Dächern, Brachflächen, Friedhöfen und in Parkanlagen halten. Bis zur Grenze von sechs Völkern pro Standort gilt die Tätigkeit als Kleintierhaltung, und die Bienenkästen dürfen überall aufgestellt werden. Nur mit den Nachbarn sollte man sich absprechen! Ab 25 Völkern gilt man als Nebenerwerbsimker.
Politische Herausforderungen Inzwischen gibt es in immer mehr Berliner Stadtteilen Initiativen oder Einzelpersonen, die unversiegelte Flächen landwirtschaftlich nutzen möchten. Nicht nur Brachflächen sind von Interesse, sondern Grünstreifen, Wiesen, Parks. Die für die Grünflächenpflege zuständigen Bezirksämter tun sich mit diesem Ansinnen aber noch nicht überall leicht. Für urbane Landwirtschaft gibt es bisher kaum passende Instrumente und rechtliche Kategorien. Vor allem die Sicherheit des Geländes, Haftung und Versicherung, Müllbeseitigung, Hygienevorschriften, aber auch und vor allem die Flächennutzungspläne, die Besitzverhältnisse sowie das Bundesbaurecht spielen eine Rolle. Das derzeit größte Experimentierfeld für eine Annäherung von Bürgerwillen und Verwaltungslogik ist der 386 Hektar große ehemalige Flughafen Tempelhof. Frauke Hehl vom Berliner Allmende-Kontor, einem der ersten Pionierprojekte, die das Gelände mitgestalten, ist überzeugt, dass Bürger Anspruch auf Teilhabe an der Kiezentwicklung haben, Stadtplanung könne nicht mehr nur vorschreiben. Frauke Hehl sucht deshalb nach neuen Moderationsformen, denn die Verhandlungen zwischen Bürgern und Verwaltung sind für beide Seiten Neuland. Erfolgreiche Beispiele der Zusammenarbeit gibt es bereits bei den Transition-Town-Initiativen: In Friedrichshain wurde in Kooperation mit dem Stadtteilbüro und dem Bezirksamt eine Planungswerkstatt für einen Bürgerpark durchgeführt; und nach einjährigen Verhandlungen mit dem Grünflächenamt durften endlich die ersten Obstbäume im Görlitzer Park in Kreuzberg gepflanzt werden. Viele Schritte sind noch notwendig, um die urbane Landwirtschaft fest in Politik und Stadtplanung zu verankern. Gleichzeitig sind es das Bedürfnis nach städtischem Gärtnern selbst sowie die Sehnsucht nach gesunden Lebensräumen, die die Wege ebnen werden: Denn indem wir die Natur zurück in die Stadt holen, schaffen wir Orte, an denen sich Politik und Bürger als Gestalter ihres sozialen und ökologischen Umfelds begegnen können.
Juliane Rudloff (31) war 2006 und 2007 an einer Initiative zur permakulturellen Umgestaltung des ehemaligen Spreeparks im Berliner Plänterwald beteiligt.