Das ägyptische Umweltbildungsprojekt »Bastana« findet seinen Weg.von Alex Capistran, erschienen in Ausgabe #47/2018
»Ruf Alex an und sag ihm, was sich alles verändert hat!«, hatte Shereen zu Soraya gesagt. »Er wird sonst nur über das alte Bastana schreiben und nicht über das, was gerade hier passiert.« Es scheint sich also viel verändert zu haben in Ägypten, auf der berühmten Sekem-Farm, wo das Bildungsprojekt Bastana (Ägpytisch für »gärtnern«) angesiedelt ist. Vor wenigen Monaten war ich dort zu Gast und erlebte mit, wie eine Umweltbildungsinitiative im schwierigen Kontext eines Landes, in dem Umweltschutz keine Rolle spielt, ihren Weg zu finden versucht. Auf dem Gelände der von dem Anthroposophen Ibrahim Abouleish gegründeten Sekem Initiative eine Autostunde von Kairo entfernt, wurde vor 40 Jahren damit begonnen, Wüstenland in fruchtbaren Boden zu verwandeln und eine andere Art von Landwirtschaft und Arbeitskultur zu entwickeln. Neben landwirtschaftlichen Produkten werden Textilien und Arzneimittel hergestellt; es gibt eine Schule, ein Krankenhaus, ein Gästehaus – und seit einem Jahr mit Bastana auch ein Umweltbildungsprojekt, das von Soraya Abouleish, einer Enkelin von Ibrahim, gegründet wurde.
Recycling in der Wüste Gemeinsam mit einer Horde aufgekratzter Fünftklässler und zwei Betreuern streife ich bei meinem Besuch durch den Wald von 150 Niembäumen, der zu dem Gelände gehört, auf dem die Aktivitäten von Bastana Form annehmen. »Am ersten Tag sind die Schülerinnen und Schüler oft so aufgedreht, aber das legt sich meistens am zweiten Tag, wenn sie die Begeisterung spüren, mit ihren Händen zu arbeiten«, erklärt mir Mustafa, genannt Darsh, verschmitzt. Seit vier Monaten arbeitet er bei Bastana. Die Jugendlichen stehen im Schatten der Bäume an länglichen, selbstgebauten Holztischen, in die eine Rinne eingelassen ist. Durch das Wasser in den Rinnen lassen sich Samen von der restlichen Pflanze trennen; heute extrahieren sie Okrasamen. Meine Anwesenheit als blonder Ausländer trägt nicht gerade zur Ruhe bei, wir machen Selfies. Die Schüler verteilen sich auf dem Gelände, schauen die Regenwurmfarm an, bestaunen die beiden Esel oder lärmen auf Musikinstrumenten, die aus Recycling-Material gebaut wurden. Dann kommen sie wieder zusammen, um gemeinsam die Okrasamen in den eigenen Beeten auszusäen. Bei Bastana geht es darum, Räume zu schaffen, in denen sich hauptsächlich junge, aber auch erwachsene Menschen wieder mit der Natur, den Mitmenschen, der Erde und sich selbst verbinden. Konkret heißt das unter anderem: Workshops und Schulexkursionen zu Themen wie Upcycling, Kompost oder Permakultur auf dem Sekem-Gelände und in Kairo. In Ägypten steht ein solches Anliegen unter einem ganz anderen Stern als in arrivierten, wohlhabenden Ländern: Das Land steht bei Schulbildung und Umweltschutz ganz weit hinten, Abgase und Müll sind allgegenwärtig. Das Bildungswesen ist autoritär geprägt. In Sekem gibt es eine alternative, an die Waldorfpädagogik angelehnte Schule, in der seit Jahrzehnten viel Neues und Gemeinschaftstiftendes erprobt wird. Doch auch diese muss sich nach den staatlichen Vorgaben richten: morgens Fahnenappell und Absingen der Nationalhymne. In dieser Situation möchte Bastana ein Zeichen setzen und einen Experimentierraum kreieren, in dem Erwachsene und junge Menschen auf gleicher Stufe stehen: »Wenn du den Anfang machst, gibt es keine Maßstäbe, du kannst und musst experimentieren«, beschreibt Darsh den Pionierstatus. Diese experimentelle Natur des Projekts wirkt auch herausfordernd auf den ganzen Organismus von Sekem: Ich schnappe auf, Bastana sei zu prozessorientiert, bringe zu wenig vorzeigbare Resultate, habe zu wenig Anbindung an die Sekem-Schule, und sei insgesamt zu kostspielig. Gleichzeitig betonen alle, dass Umweltbildung ein wichtiges Anliegen von Sekem sein müsse. Der Idealismus der Projektinitiatorinnen von Bastana hat das Potenzial, auf Sekem insgesamt überzuschwappen, wenn die alternativen Ansätze von Führung und Begegnung im sicheren Experimentierraum erprobt wurden. Als Bildungsarbeit kann man daher auch die internen Lernprozesse der Organisation Bastana verstehen, beispielsweise beim wöchentlichen internen Team-Tag, an dem ich kurz vor Ende meines Besuchs teilnehmen darf: In einem kleinen, zweistöckigen Haus neben dem Niembaum-Wald sitzt das kleine Bastana-Team zusammen, schaut auf die Woche zurück und bespricht, was aktuell ansteht. Es herrscht eine produktive und etwas angespannte Atmosphäre. Im Raum steht ein Flipchart mit wilden Zeichnungen, draußen auf dem Sportplatz schreien Schulkinder, an der Wand hängt selbst hergestelltes Recycling-Papier. Als das Treffen sich seinem Ende entgegenneigt, ist die Erleichterung allen anzumerken: »Am Ende besprechen wir immer kritische Punkte und Spannungen, was manchmal zum Ausufern des Treffens führt«, erklärt Shereen. »Dieses Mal sind wir effizienter und geschickter als sonst oft gewesen!«. Parallel zu dem sehr herzlichen Treffen werden Aufgaben am Laptop in einer Plattform abgehakt und strukturiert. Die Mischung aus informellen, auf Begegnung ausgerichteten Momenten und professionellem Projektmanagement gehört auch zu Bastana. Gerade die Reibung zwischen diesen Bereichen ist inspirierend und herausfordernd zugleich. Begeistert erzählt Soraya: »Neulich ging es einem Teammitglied nicht gut. Obwohl wir ein wichtiges Meeting mit vielen Aufgaben hatten, haben wir uns viel Zeit genommen für ihn – seit dem Tag blüht er auf. Wie oft gab es die Situation, dass wir untereinander Stunk hatten, aber trotzdem ein taktisches Meeting durchgezogen haben. Jetzt nehmen wir uns Zeit für unsere Kultur.«
Bastana hat seine eigenen Regeln Als ich im Dezember aus Ägypten aufbreche, ahne ich nicht, welche Wandlung das Projekt vollziehen wird. Davon erfahre ich erst im eingangs erwähnten Telefonat im Februar. Soraya und Shereen haben sich ausführlich mit dem Jahr 2017 auseinandergesetzt und dabei ihre Vision von Bastana hinterfragt: »Können wir wirklich transformatives Lernen erreichen, indem wir Exkursionen anbieten und mit den Sekem-Schulkindern drei Stunden in der Woche arbeiten?« Dabei haben sie gemerkt: »Wir wollen noch tiefer einsteigen. All die im letzten Jahr geleistete Arbeit ist sinnvoll und soll auch 2018 fortgeführt werden – aber wir wollen mehr!« Dafür wollen die beiden nun einen neuen Schwerpunkt setzen und nach Kairo ziehen. Die Arbeit in Sekem wird von motivierten Schullehrern mit ihrer Unterstützung weitergeführt, während sie in der Stadt einen »Co-Living-« und »Co-Learning-Space« aufbauen – also eine Gemeinschaft, in der gelernt und gelebt werden kann. »Dort stellen sich viele Menschen ähnliche Fragen wie wir; einige Eltern wollen ihre Kinder partout nicht in die Schule schicken«, berichtet Shereen und setzt bedauernd fort: »Bisher gibt es aber keinen Raum, der diese Fragen und Prozesse hält und unterstützt. Menschen können mit uns für eine Weile leben, mit uns arbeiten, wild gärtnern, kochen und vieles mehr«, ergänzt Soraya. Außerdem wollen die beiden Lesekreise sowie Frauen- und Männerkreise ins Leben rufen. In meiner Zeit in Ägypten habe ich Ahmed, Shereens Mann, kennengelernt und mit ihm einen interkulturellen Männerkreis besucht – er zieht auch mit in das Gemeinschaftshaus und ist Feuer und Flamme für die Idee. Da Stiftungen und NGOs aus politischen Gründen zur Zeit nicht aufgebaut werden können, gründen die drei nun ein eigenes Unternehmen – ein Beispiel dafür, wie anders und schwierig die Bedingungen für alternative Ansätze im Schwellenland Ägypten sind. »Wir wissen, dass der Schlüssel zu einer harmonischeren und bewussteren Welt darin liegt, etablierte Muster, wie Menschen denken, fühlen und handeln, zu transformieren«, heißt es in einem eilig geschriebenen, neuen Konzept. Lag zuvor der Fokus eher auf der Umweltbildung, kommen nun auch persönliche Aspekte dazu: Begegnung, Arbeit an den eigenen Emotionen, andere Lebensformen. »Bastana wird zu einem pulsierenden Netzwerk mit mehreren Knotenpunkten«, visioniert Soraya. Der Garten in Sekem wird unter dem Namen »Bastana Sekem« weitergeführt und stärker mit der Sekem-Schule zusammenwachsen. Aber Soraya, Shereen und Ahmed zieht es in die laute Stadt. Shereen meint nachdenklich: »Ich bin gespannt, wie das neue Bastana und Bastana-Sekem zusammenwachsen und wo wir in einem Jahr stehen werden.« Es wird gewiss nicht die letzte Wandlung sein, die Bastana durchmacht.