»Chaos – das neue Zeitalter der Revolutionen« heißt das neue Buch von Fabian Scheidler, das in Fortsetzung seines historisch orientierten Mammutwerks »Das Ende der Megamaschine« die globale Gegenwart und Zukunft analysiert. Der Titel machte mich skeptisch. Wird hier mal wieder der Untergang der Menschheit in Chaos und Blut beschworen? Nein! Das Buch hat mich in vielerlei Hinsicht positiv überrascht. Der attac-nahe Autor beschönigt nicht, dass der Kapitalismus in gefährlicher Weise mit immer größerer Ressourcenausbeutung die planetarischen Grenzen sprengt. Aber er sieht darin auch ein »Potenzial für positive Veränderung«: »Die Chancen eines tiefgreifenden Umbaus stehen besser, als man denkt«, schreibt er, es mangele nicht »an Alternativen in Theorie und Praxis«. Zu Anfang beschreibt Fabian Scheidler die »kollektiven Realitätsverweigerungen«: Statt den Klimaextremismus zu bekämpfen, würden ihn rechte Eliten leugnen. Mainstream-Medien filterten heute die entscheidenden Fragen weg. Viele Menschen fühlten sich ominösen Kräften ausgesetzt, glaubten deshalb Verschwörungsideologen und sähen in Geflüchteten den neuen Feind. Die Bedrohung durch Islamisten schmiede »ein neues Wir in auseinanderfallenden westlichen Gesellschaften«. Dabei forderte der Terrorismus von 2000 bis 2014 jährlich weniger als 20 Tote. In den 1980er Jahren waren es noch 150 bis 400 pro Jahr. Es folgt eine Analyse der »Tributökonomie«, die via Subventionen, Eigentumsrechten und Schulden für die ständige Umverteilung von den Armen zu den Reichen sorgt. »Bedingungsloses Maximaleinkommen für Reiche«, nennt das der Fernsehjournalist (»Kontext-TV«). Fossil- und Atomenergie, Gentechnik, Finanzindustrie und andere schädliche Branchen würden über Staatssubventionen gefüttert und am Leben erhalten. Daraus folgt im Umkehrschluss: Statt globaler Handelsströme brauchen wir Regionalisierung und, wo es geht, Selbstversorgung – und statt Großkonzernen den Aufbau von Allmenden, Genossenschaften, Mitarbeitergesellschaften und demokratisch verwalteten Betrieben der öffentlichen Daseinsvorsorge. Medien sollten nicht über interessengesteuerte Rundfunkräte kontrolliert werden, sondern über echte Bürgerräte. Direkte und lokale Demokratie sei zu fördern. Städte und Stadtverwaltungen könnten viel effektiver die Erdüberhitzung angehen als Staaten. Den letzten Abschnitt widmet Scheidler China. Er weist auf den Sonderweg des Riesenreichs hin: Dort sei der Staat seit seiner Gründung unabhängig von Privatkapital und Militär gewesen, so dass er – anders als die westlichen Länder – nie imperialistisch agiert habe. Er werde zwar autoritär regiert, habe aber kein Interesse an Krieg. Welchen Weg die bald größte Volkswirtschaft der Welt einschlage, sei entscheidend für den Planeten. Beschlossen wird das kluge, streckenweise brillante Buch durch ein 16-Punkte-Programm zum »Ausstieg aus der Megamaschine« – von der Streichung aller Subventionen für umwelt- und gemeinwohlschädliche Aktivitäten bis zur Durchsetzung globaler Rechte auf Wasser, Ernährung oder Bildung.
Chaos Das neue Zeitalter der Revolutionen. Fabian Scheidler Promedia, 2017 240 Seiten ISBN 978-3853714263 17,90 Euro