Titelthema

Ich tausche nicht mehr

Auf dem »Karla*hof« geht es geschäftig zu – und trotzdem fließt dort so wenig Geld, wie an kaum einem anderen Ort.von Anja Humburg, erschienen in Ausgabe #48/2018
Photo

Hinter dem Scheunentor wartet der »Fortschritt ZT303«. Der himmelblaue Traktor mit sozialistischer Biografie ist bereit für den Einsatz in der neuen Saison. Es sieht aus, als hätte er nahtlos Anschluss gefunden an die bäuerliche Kultur, die auf dem ehemaligen LPG-Gehöft seit mittlerweile über zehn Jahren praktiziert wird. Ein Dutzend Menschen bewirtschaften den »Karla*hof« in der Nähe der uckermärkischen Stadt Templin. Ihr Prinzip heißt: nicht-kommerzielle Landwirtschaft. Nichts von dem, was ihr Land hervorbringt, wird verkauft. Kartoffeln, einige Tonnen Roggen, Weizen, Dinkel, Sonnenblumen und Hafer wuchsen im letzten Jahr auf den Äckern rund um den Hof. Nichts ­davon hat einen Preis oder könnte gegen Geld erworben werden. Der Karla*hof probt den Ausstieg aus der Tauschlogik.
Bei der finalen Anfahrt werden die Blicke unserer Besuchergruppe zunächst von den beachtlichen Schlaglöchern in der Schotterpiste – dem einzigen Weg zum Hof – gefangen; bald darauf künden weiter oben die löchrigen Dächer riesiger Hallen und Gebäude von Verfall. Dahinter liegt das Gutshaus, dessen dunkelblaue Fensterrahmen in der spritzbetongrauen Fassade leuchten. Vier Menschen des Oya-Redaktionskreises haben sich an einem Tag im Februar aufgemacht, um diesen Ort kennenzulernen. Je länger wir den Hof gemeinsam mit einigen seiner Pflegnutzerinnen – ­Carmen, Rese, Timo, Uwe, Anna, Steffin und Lina – erkunden, desto mehr entfalten sich uns die Schätze auf diesem Hof.
Hinter jeder Ecke leuchtet eine neue Facette auf: In der Hofbäckerei stehen Gärkörbe, Brotschieber und Backformen bereit. Im Schuppen überwintern Lowtech-Geräte für die Bodenverbesserung. Im Keller unter dem Gutshaus werden in einem geschlossenen Toilettensystem menschliche Ausscheidungen kompostiert; in einem anderen Gewölbe lagern Kartoffeln, in einem dritten liegen Möhren, vor Frost sicher geschützt, im Sand.
Wer den Karla*hof besucht, ist zugleich auch an anderen Orten. 500 Kilometer südlich backt das Leipziger Brotkollektiv »Rebäcka« seit vielen Jahren jede Woche dreißig, vierzig Brote aus dem Getreide vom Karla*hof (Oya besuchte das Projekt 2013 und berichtete in Oya 20). Auch dieses Brot wird nicht verkauft, sondern über ein weit gespanntes Netz in der sächsischen Stadt verteilt. Niemand bekommt dafür einen Lohn, weder bei der Rebäcka noch auf dem Karla*hof. »Diese Praxis hat eine unmittelbare Konsequenz«, sagt Uwe, seit anderthalb Jahren Hofbewohner. »Wenn ich weniger ausgeben muss für meine Kartoffeln oder für mein Brot, dann muss ich auch weniger arbeiten im kommerziellen Sinn«. Er bezieht sich dabei nicht nur auf die Bewohner des Hofes, sondern auch auf diejenigen, die die Brote und anderen Dinge erhalten.
Viele Ressourcen, die der Karla*hof benötigt, lassen sich nur mit Geld beschaffen. Fallen Kosten an, etwa für eine Tank­ladung Diesel, für neue Getreidesäcke oder Ersatzteile, dann werden sie durch Spenden, landwirtschaftliche Subventionen, Direktkredite von Menschen aus den persönlichen Netzwerken oder Förder­geldern bezahlt. Einen Teil der Betriebskosten decken die Bewohnerinnen und Bewohner selbst.
Es ist bereits die zweite Generation, die den Karla*hof fern der Tauschlogik hütet. 2005 übernahm eine Gruppe den maroden, über hundert Jahre alten Karlshof. Nicht-kommerziell sollte er fortan organisiert werden – ein hoher Anspruch, wie sich zeigte. Nach sieben Jahren zerfiel die Gruppe, hauptsächlich aufgrund von unvereinbaren Richtungsstreitigkeiten zwischen Professionalisierung und Bedürfnisorientierung. Sie erklärte 2012 ihr Scheitern. In den folgenden Jahren hütete eine Zwischennutzungsgruppe namens »April-April« den Hof und ermöglichte so die Wiederbelebung des nicht-kommerziellen Hofprojekts im April 2016 – diesmal unter dem Namen »Karla*hof«, der eine antipatriarchale und queerfeministische Positionierung des Projekts zum Ausdruck bringt.
Noch heute sind ein paar Menschen aus der ersten Generation auf dem Hof aktiv. Statt die Erfahrungen abreißen zu lassen, gelang die konstruktive Auswertung des ersten Projektversuchs. Kriterien für das Scheitern sind aus der ersten Runde ebenso erhalten geblieben wie der Eigentumsstatus des Hofs bei der »Stiftung für dissidente Subsistenz«. Der Hof ist also kein Privateigentum, und auch die Maschinen gehören der Stiftung. Diese Regelung bildet einen wirksamen Schutz davor, dass der Hof wieder privatisiert werden könnte. Darüber hinaus ist das Hofprojekt in das soziale Netzwerk der »Projektewerkstatt auf Gegenseitigkeit« (PaG) eingebunden – eine Art Dach, unter dem sich verschiedene regionale Projekte austauschen.

Scheitern ist möglich
Jede und jeder aus dem Kreis, der heute den Hof gestaltet, unterschreibt zu Beginn den Leihvertrag des Projekts, in dem auch die Scheiterkriterien festgelegt sind. Beispielsweise würde der Karla*hof scheitern, wenn die Gruppe durch Konflikte so blockiert wäre, dass dauerhaft keine gemeinsamen Entscheidungen mehr getroffen werden könnten und eine Konfliktlösung unmöglich scheint. »Dadurch komme ich intensiv in Berührung mit meinen eigenen Ambivalenzen und Sicherheitsbedürfnissen in Bezug auf Eigentum«, sagt Anna. »Soll ich hier beispielsweise Geld auftreiben und Energie reinstecken, um die Gebäude zu sanieren? Was ist, wenn wir als Gruppe scheitern? Ein eigenes Häuschen könnte ich in so einem Fall einfach verkaufen und woanders weitermachen. Hier kann ich das nicht.« Von Anfang an ein mögliches Aus des Hofs im Blick zu haben, wird in der Gruppe durchaus positiv gesehen: vor allem, weil die Scheiterkriterien dazu motivieren, miteinander konstruktive Konfliktlösungen zu suchen.
In einem hübschen Küchenschrank stehen Gläschen, die mit kunterbunten Namen wie »Lummus«, »Lecker Grüne Vurst« oder »OkleeOklee« beschriftet sind. Gummibänder halten die ­Schilder aus festem Papier auf den Gläschen. Es sind die Aufstriche der »Superfood-Schleuder-Gang«, einer Initiative des Hofs, die eigenes Gartengemüse – in diesem Winter mit der ersten Lupinen­ernte – zu Aufstrichen verarbeitet und Obst oder Sauerkraut konserviert. Wie alle auf dem Hof sind auch wir Gäste eingeladen, uns am Inhalt des Schranks zu bedienen. Im Unterschied zur Vorgängergruppe kümmern sich heute nicht mehr alle um alles. Neben der Superfood-Schleuder-Gang gibt es auch die Garten-Ini, die Getreide-Ini, die Kartoffel-Ini und einige weitere.
Auf dem Hof geht es immer wieder darum, herauszufinden, welche Mengen produziert werden sollten. Die Verarbeitungs-Ini baut etwa gerade eine professionelle Küche, um in Zukunft mehr Aufstriche in Umlauf bringen zu können. »Wenn wir mehr produzieren wollen, dann heißt das auch, dass wir Rohstoffe benötigen, die wir nicht tauschlogikfrei besorgen können«, sagt Lina. »Auf der anderen Seite will ich diesen Druck nicht weitergeben und keine Bedingungen daran knüpfen, an wen ich eine Marmelade gebe, auch wenn darin zugekaufter Zucker enthalten ist.«
Nicht alle, die in den Inis tätig sind, leben auf dem Hof. ­Einige wohnen in Berlin oder Leipzig und kommen ein paarmal im Jahr zum Säen, Einkochen oder Holzhacken her. So ist das Netzwerk, das den Hof trägt, kaum bezifferbar; auf jeden Fall umfasst es mehr Menschen, als in dem mit rosa Tupfen verzierten Ostwohnblock Platz hätten, in dem die meisten festen Bewohnerinnen und Bewohner des Karla*hofs residieren. »Ich spreche gern von ›nicht-kommerziellem Leben‹ und nicht nur von ›nicht-kommerzieller Landwirtschaft‹«, sagt ­Carmen.
Besonders im Winter nutzen Menschen den Ort für Semi­nare und entscheiden selbst, ob sie dafür einen Ermöglichungs­beitrag spenden wollen. Einmal im Jahr finden die Holzwochen statt. Dabei übernehmen Menschen aus dem Leipziger Rebäcka-Netzwerk einen Teil der organisatorischen Verantwortung; zum Mitmachen kommen hauptsächlich Menschen aus Leipzig. In diesem Fall klappt das gegenseitige Geben und Nehmen. »Wir rechnen nicht aus, wieviel Holz wir bekommen und wieviel Roggen wir der Leipziger Gruppe geben«, sagt Carmen.
Aus einer tiefwurzelnden Motivation für ein tauschlogikfreies Leben – unter anderem aus der Kritik am kapitalistischen Umgang mit Geld und der eigenen Arbeitskraft – entsteht auf dem Karla*hof eine politische und unmittelbare Selbermach­praxis. Als wir über die Äcker gehen, die der Karla*hof bestellt, werden zwei Häufchen voll Erde von Hand zu Hand gereicht. Die eine ist dunkelbraun und duftet leicht säuerlich nach Waldboden – ein Beleg dafür, dass hier die Bodenqualität etwa durch Terra Preta tatsächlich verbessert werden konnte. Die andere Probe ist die sandige, ausgemergelte Ackerkrume, die noch an vielen Stellen vor Ort zu finden ist.
»Was kann ich aus mir selbst heraus, was können wir aus uns selbst heraus tun?« Diese Frage tritt an diesem Ort als wesentlich hervor. Manchmal heißt das, dass erst dann repariert wird, wenn auch der zweite Traktor kaputt und die Dringlichkeit übergroß ist. Es heißt aber auch, dass Menschen ihre bisherigen Grenzen erweitern, sich für den Hof entscheiden und Dinge lernen und tun, die zuvor jenseits ihrer Vorstellungskraft lagen. Lina, die seit einem Dreivierteljahr auf dem Hof lebt, erzählt: »Als ich noch in einem Berliner Hausprojekt wohnte, bekamen wir die Kartoffeln vom Karla*hof. Auch da war ich schon in Selbermachprojekten unterwegs. Jetzt lebe ich hier und finde vieles von dem, was ich zu finden gehofft hatte. Hier kann ich meine politischen Ideale leben, und das ist für mich gleichzeitig eine beglückende und ernüchternde Erfahrung.« Auf dem Karla*hof stellt sie Aufstriche her und bäckt Brot. Und sie hat das Treckerfahren gelernt.
Hinter dem blauen Fortschritt-Traktor liegt unscheinbar eine fein geordnete Sammlung von Werkzeugen in der Schlosserei des Karla*hofs. Weder die Metall- noch die Holzwerkstatt wird derzeit von einer festen Initiative kontinuierlich genutzt. Die Infrastruktur auf dem Karla*hof birgt noch viele Nischen, in denen das Wesen der Tauschlogikfreiheit neu entdeckt, erkundet und gegebenenfalls wieder verworfen werden kann.
Sich in einer Gesellschaft, in der fast alles in Geldeinheiten verrechnet wird, mit allen Konsequenzen für eine andere Praxis des Gebens und Nehmen einzusetzen, ist bewundernswert. Auf dem Karla*hof kommen Dutzende Menschen genau dafür zusammen und widmen den Kern ihres Lebens der Freiheit von der Tauschlogik. Im auf den folgenden Seiten wiedergegebenen Gespräch mit den Hofbetreiberinnen und -bewohnern wurde allerdings deutlich, dass die Beziehungen in die Region noch ausbaufähig sind. Könnte der Hof nicht auch zu einer Bereicherung für die unmittelbare Umgebung werden? Würden sich Menschen im benachbarten Templin vielleicht über selbstgebackenes Brot sowie über Bekanntschaft mit den Bäckerinnen und Bäckern freuen? Hätten sie vielleicht Lust, im Garten des Karla*hofs Bohnen oder Gurken anzubauen? Wie würde das den Alltag und die Begegnungen verändern? Würde es manche Leerstelle füllen?

 

Bedingungslos ist nicht beziehungslos
Ein Gespräch unter Bäckerinnen, Bauern und Schreibenden.

Carmen  Was macht unsere Tauschlogikfreiheit am »Karla*hof« aus?
Uwe  Ich würde das, was ich mache, nicht als »Schenken« bezeichnen. So wie unsere Gesellschaft das Schenken – also die Gabe – praktiziert, antizipiert es eine Gegengabe. Manchmal ist die Gegengabe zeitlich versetzt oder geschieht aus Mitleid, doch jedes Mal schafft das eine Hierarchie.
Matthias Fersterer (Oya)  Eine Gabe oder ein Geschenk muss nicht notwendigerweise erwidert werden, sondern kann als Teil eines Austauschs betrachtet werden. Der Sauerstoff, den wir einatmen, wurde von Pflanzen »ausgeatmet« – und das Kohlendioxid, das wir ausatmen, nährt wiederum Bäume und andere Pflanzen. Das ist ein unendlicher austauschender Kreislauf. Das Leben beginnt mit ganz viel bedingungslos gebender Energie. Das Bedingungslose kennzeichnet für mich die Gabe und unterscheidet sie vom Tausch. Der aufrechnende »Äquivalenztausch« ist das, was es aus meiner Sicht zu überwinden gilt. Das ist es, was ich meine, wenn ich von »Tauschlogik« spreche.
Uwe  Ich sehe bei uns auf dem Hof einen generalisierten Tausch. Menschen tun sich zusammen und geben das, was sie haben, und nehmen das, was sie brauchen.
Matthias Fellner (Oya)  Welche Hürden tauchen dabei auf?
Lina  Viele von uns äußern einen starken Wunsch nach stabilen Netzwerken. Unsere Verbindungen in die Städte empfinde ich als nicht besonders übersichtlich. Dahin liefern wir das meiste, das wir ernten oder herstellen; vor allem geht es an die »Rebäcka« und an Hausprojekte und Menschen, die wir kennen. Zwischen dem Hof und der Region gibt es wenig Austausch. Es gibt viele Leute, die uns auf dem Hof besuchen – das ist schön; gleichzeitig wünsche ich mir mehr Bezogenheit und langfristige Verbindlichkeit in so einem Netzwerk.
Uwe  Wir geben Kartoffeln in den luftleeren Raum. Es ist demotivierend, nicht zu wissen, wer sie isst. Zu Zeiten des »Karlshofs« (die nicht-kommerzielle Vorängergruppe, Red.) wurden tonnenweise Kartoffeln angebaut, die dann irgendwo vergammelten, weil es kein Gegenüber gab, das sich darum kümmerte, sie zu verteilen.
Carmen  Grundsätzlich betrachtet, ist der Bedarf an Kartoffeln groß – aber wer möchte von uns geschenkte Kartoffeln? Es gibt viele Anbieter, wir sind da nicht der bequemste Akteur. Von der nehmenden Seite bedeuten die Karla*hof-Kartoffeln: Ich muss mir überlegen, wieviele Kartoffeln ich im nächsten Jahr brauche. Ich muss, etwa in Berlin, Lagermöglichkeiten schaffen. Und ich muss bei jedem Nehmen der Kartoffeln entscheiden: Was sind sie mir wert, will ich dafür etwas an den Hof spenden, und wenn ja, wieviel? Das ist ziemlich viel Aufwand für ein paar Lebensmittel – vor allem, wenn es nebenan im Laden die Kartoffeln einfach für billig Geld zu kaufen gibt. Da unterscheidet sich das, was wir hier machen, von einem Magazin wie Oya. Oya ist als Zeitschrift einzigartig, Grundnahrungsmittel dagegen gibt es in Deutschland überall – zudem sind sie für viele Menschen einfach und austauschbar zu kaufen. In den letzten Jahren landeten die Kartoffeln hauptsächlich bei uns im Keller, bei befreundeten Hausprojekten, zum Teil bei den Erntehelferinnen und -helfern, auch bei unterschiedlichen Gruppen von Geflüchteten und auf spontane Nachfrage bei allen möglichen Akteuren. Aber letztlich fehlt es uns an verbindlichen Zusammenhängen, wo alle Beteiligten ebenfalls einen politischen Sinn darin erkennen, Lebensmittel auf nicht-kommerzielle Weise zu produzieren und sie außerhalb der Profitlogik an Leute zu verteilen, die Teil eines nicht-kommerziellen Versorgungsnetzwerks sein wollen.
Steffin  Wir wollen Produzierende und Konsumierende näher zusammenbringen, aber das Geben zugleich vom Nehmen entkoppeln. Bei der Rebäcka ist das gelungen; da kennen wir die Menschen, die das Getreide bekommen.
Uwe  In einer Gesellschaft, in der die meisten Menschen individualisiert leben und davon abhängig sind, dass sie selbst Geld erwirtschaften, droht das, was wir machen, als ein Hobby betrachtet zu werden und das erste zu sein, was im Zweifel runterfällt. Wenige Menschen sind bereit, ihr Leben danach auszurichten, tauschlogikfrei zu werden. Das Wenige, was wir produzieren können, möchte ich gezielter solchen Menschen geben, die den Wert darin erkennen, ihr Leben mit anderen zu gestalten und eine Verbindlichkeit in Gruppen zu schaffen. So kann ein Netzwerk von Menschen entstehen, die sich Dienstleistungen und Produkte gegenseitig bedingungslos geben, ohne dass sie dafür direkt etwas bekommen wollen. Aber im Moment gibt es diesen Fluss nicht.
Carmen  Ich werfe mal eine ketzerische Frage in den Raum: Was ist überhaupt der Sinn von Nicht-Kommerzialität? Ist das kommerzielle Wirtschaften nicht am Ende viel leichter, zumindest solange mensch Zugriff auf Geld hat? Wie verändert nicht-kommerzielles Leben unsere sozialen Verhältnisse, und empfinden wir diese Veränderung als sinnvoll?

Irgendwann leergegeben

Matthias Fellner  Wie viel von unserer Arbeitskraft wollen wir zur Verfügung stellen, etwa ihr auf dem Karla*hof oder wir bei der Oya?
Anna  Auf dem Karla*hof gucken wir darauf, welche Kapazitäten wir haben, statt eine Bedarfsanalyse zu machen. Im Garten machen wir das, was wir können, ohne uns zu überarbeiten. Ich gebe viel Energie in den Garten, viele Überlegungen, viel Zeit. Wir versorgen damit nicht nur die Menschen am Hof, sondern auch alle Gäste. Da erlebe ich meistens eine direkte Resonanz durch eine Form von Wertschätzung oder Dank. Das motiviert mich, weiterzumachen. Wenn ich das Gemüse aber weggebe und ich stehe ohne eine Resonanz oder eine Form der Beziehung da, dann habe ich irgendwann nichts mehr zu geben.
Uwe  Vor anderthalb Jahren kam ich auf den Karla*hof. Wenn der Fluss weiter nur nach draußen fließt, dann kann ich das hier noch fünf Jahre machen und dann ist Schluss.

Was heißt »nehmen«?

Matthias Fellner  Diese Art zu wirtschaften ist viel menschlicher und mutiger, als möglichst hohe Gewinne zu machen. Wie klar äußert ihr eure Bedürfnisse? Gehört dazu auch, nicht nur zu geben, sondern auch zu bezeichnen und zu beziffern, was ihr braucht?
Lina  Unsere letzte Spendenkampagne »Knete für die Beete« ist schon eine Weile her. Ich weiß nicht, ob wir uns trauen würden, nicht nur den Minimalbedarf für die Kosten der Landwirtschaft zu äußern, so wie wir es jetzt tun, sondern auch die Bedarfe der Menschen, die dahinterstehen. Wir haben noch einen weiten Weg zu gehen, bis wir alle davon leben können und unsere Krankenkassen und Rentenbeiträge bezahlt werden. Das wäre so ein großer Batzen Geld, der auf diese Weise organisiert werden müsste! Was würde das mit uns machen? Ich weiß nicht, ob ich es annehmen könnte, durch ein nicht-kommerzielles Projekt ­finanziell grundabgesichert zu sein. Für mich ist es gerade ein­facher, zu sagen: »Wir geben, und es funktioniert nicht so richtig«, als zu sagen: »Ja, wir nehmen aber auch«.
Timo  Unsere Tätigkeit wäre nicht mehr bedingungslos, wenn wir sie uns bezahlen ließen. Der Versuch hier ist stattdessen, die Finanzierung des Karla*hofs von unseren Produkten unabhängig zu machen. Die vorige Gruppe am Karlshof hat ihre Bedarfe in einem Rundbrief geäußert: Da standen dann Dinge wie Langlaufski, Motorroller oder auch ein bestimmter Betrag an Geld. Was dabei allerdings fehlte, war die Ebene der dahinterstehenden Bedürfnisse nach Kontakt, Anerkennung, Beziehung und Nähe, die durch Bedarfsaufzählungen an materiellen Dingen nicht abbildbar sind. Auch die CSA-Idee ist für mich nicht ohne Kritik. Sie teilt die Rollen auf in »Agriculture« und den »Support«, und damit werden auch die Rollen von Produzierenden und Konsumierenden festgeschrieben. In dieser Aufteilung werden manche Tätigkeiten bezahlt und andere nicht, die soziale Arbeit in der Community bleibt unbezahlt. Dadurch entsteht eine trennende Dynamik, und die Entwicklung der Community in gegenseitigem Geben und Nehmen gerät in Schieflage.
Carmen  Was wäre, wenn wir klarer sagen würden: Ja, wir geben etwas, und gleichzeitig brauchen wir auch etwas. Wir würden uns damit auch als bedürftige Wesen zeigen. Dann würden wir die Position der »gönnerhaft« großzügigen Gebenden verlassen.
Anna  Wir haben uns offenbar noch viel zu wenig darüber ausgetauscht, welche Bedürfnisse wir nach außen kommunizieren. Ich nehme den Gedanken als große Anregung mit. Vielen Dank.

 

Mit Subsistenten und Dissidenten Kontakt aufnehmen
Der Karla*hof sucht Menschen, die Lust haben, dort zu leben – gerne mit Interesse an Landwirtschaft oder Bauhandwerk. Gesucht werden auch Menschen, die den Aufbau von Verteilstrukturen der Karla*hof-Produkte mitgestalten möchten. Außerdem sind andere Projekte, Kollektive oder Einzelpersonen herzlich eingeladen und willkommen, die Idee der Nicht-Kommerzialität weiterzuspinnen und gemeinsam mit Tauschlogikfreiheit zu experimentieren.
Kontaktadresse: karlahof_ät_gegenseitig.de

weitere Artikel aus Ausgabe #48

Photo
Bildungvon Johannes Liess

Lebendiges Lüchow

Die Landschule in Lüchow ist aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Nach den Sommerferien, am 20. August 2018, wird sie wieder ihre Türen öffnen, Schüler und Lehrerinnen empfangen und damit den Schulbetrieb wieder aufnehmen – fast auf den Tag genau zwölf Jahre nach

Photo
von Lara Mallien

Wie bin ich gemeint?

Montagmorgen, das Quietschen des Gara­gentors, Gedanken an Terminkoordination. Die Frage, was jetzt das »Richtige« zu tun wäre – vielleicht, sich um die kranke Nachbarin zu kümmern oder nachdenklich spazierenzugehen –, darf gar nicht erst aufkommen.

Photo
von Jochen Schilk

Geht doch! (Buchbesprechung)

Schon seit dem Jahr 1987 ist die im oekom-Verlag erscheinende Zeitschrift »politische ökologie« ein wichtiges Forum für auf dem Feld der Nachhaltigkeit tätige Wissenschaftlerinnen und Aktivisten. Die Ausgaben haben die Form von handlichen DIN-A5-Büchlein und widmen

Ausgabe #48
Was tun?

Cover OYA-Ausgabe 48
Neuigkeiten aus der Redaktion