Auf der Suche nach stimmigen Arbeitsformen jenseits von konventionellen Berufsvorstellungen.von Matthias Fellner, erschienen in Ausgabe #48/2018
An einem windigen Novembertag stehe ich mit zwei weiteren Mitgliedern der Klein Jasedower Gemeinschaft auf dem Misthaufen unseres Nachbarn. Einmal im Jahr bringen wir den Dung der Nachbarschafe zu unserem Gemüsegarten. Mit den Mistgabeln stochern wir in dem Gemisch aus tierischem Kompost und Stroh nach Stellen, an denen die Verrottung schon möglichst weit fortgeschritten ist. Zwei Stunden lang schippen wir das nährstoffreiche Substrat auf den Anhänger und fahren es in mehreren Runden zu unserem nahegelegenen Gemüsebeet. Schon seit ein paar Tagen steht diese Aufgabe an, aber erst an diesem Vormittag ist die Witterung trocken genug und wir drei haben Zeit, uns darum zu kümmern. Während wir so vor uns hinarbeiten, huschen Feldmäuse zwischen unseren Beinen umher. Sie haben sich in dem warmen Hügel ihr Winterquartier eingerichtet. Es ist eine körperlich anstrengende und etwas monotone Arbeit, aber die gemeinsame Aufgabe und der Blick in die weite Landschaft erzeugen in mir eine innere Ruhe, wie ich sie sonst beim Arbeiten kaum kenne. Überhaupt entspricht diese Form von Arbeit in vielerlei Hinsicht nicht meinen üblichen Vorstellungen: Sie fordert mich geistig nicht heraus; außer etwas körperlicher Kraft benötige ich keine Qualifikation, bekomme kein Geld, und sie macht mir auch nicht übermäßig Spaß. Dennoch bin ich innerlich verblüffend ausgeglichen. Wieso kommt mir dieses Gefühl so neu und erfreulich vor? Habe ich mich bisher an einem Bild von Arbeit orientiert, das mich ständig selbst unter Druck gesetzt hat? Steckt in diesem Misthaufen eine Antwort darauf, wie eine seelisch nährendere Form von Arbeit aussehen kann? Um dem nachzugehen, reise ich ein paar Jahre in der Zeit zurück – in die Rolle, die ich viele Jahre in einem »regulären Arbeitsverhältnis« ausgefüllt habe.
Im klassischen Berufsleben Ich war selbständig, hatte ein Büro im Zentrum Berlins, einen etablierten Kundenstamm mit anspruchsvollen Projekten und einen Freundeskreis ökologisch-sozialer Ausrichtung. Täglich radelte ich durch den dichten Berufsverkehr ins Büro, um festgelegte Aufgaben in einem engen Zeitplan abzuarbeiten. Alle paar Monate fragte ich mich, ob mir die Arbeit gefiele und ob sie sich nach meiner Berufung anfühle. Ich wägte ab, ob ich ausreichend entlohnt würde, und stellte mir vor, was meine nächsten Herausforderungen sein könnten. Mit meinen Freunden und meiner damaligen Partnerin habe ich diese Job-Perspektiven oft diskutiert und war hin und wieder neidisch, wenn jemand eine interessantere, besser bezahlte Stelle bei einer bekannten Organisation bekommen hatte. Rückblickend fühlte es sich wie eine schier endlose Bergbesteigung an, bei der mein gesamtes Umfeld und ich uns ständig darum bemühten, dem Gipfel näherzukommen. Mit jedem Höhenmeter wurde die Luft dünner und der Pfad brüchiger, wurden die Umgangsformen kühler. Eine Herausforderung folgte auf die nächste, und viele Jahre lang wollte ich mir nicht eingestehen, dass ich mich den immer neuen Strapazen innerlich nicht mehr gewachsen fühlte. Ganz anders ergeht es mir an diesem Novembermorgen auf dem Misthaufen. Wir scherzen, wir schweigen über längere Strecken, und wir gehen nach der Arbeit ohne nennenswertes Erfolgsgefühl auseinander. Was getan werden musste, ist erledigt. Ich habe in meiner jetzigen Lebenssituation ein familiäres, vertrautes Umfeld, wo es in keiner Form auf Erfolge, Herausforderungen oder Ansehen ankommt. Es macht keinen Unterschied aus, ob ich eine anstehende Aufgabe erledige oder ob jemand anders sie übernimmt. Wir pflegen gemeinsam ein Stück Land mit Wohn- und Arbeitsräumen und kümmern uns gemeinschaftlich darum, dass dieser Ort durch viel Zuwendung gedeiht. Wer die Kinder hütet, das Putzen erledigt oder die bezahlten Erwerbsarbeiten übernimmt, ergibt sich aus einer Mischung aus Neigung, persönlichen Fähigkeiten, Kapazitäten und Notwendigkeiten.
Arbeit am Naheliegenden Meine frühere Arbeit habe ich meist am Computer verrichtet. Außer für mich und meine Kunden war der Nutzen für kaum jemanden ersichtlich. Die Bodenverbesserung durch Kompostierung ist dagegen eine sehr naheliegende, nachvollziehbare Aufgabe: Nach der Gemüseernte ist es sinnvoll, dem Boden wieder Nährstoffe zuzufügen, um seine Fruchtbarkeit zu erhalten. Haben der langfristige Nutzen und die Sinnhaftigkeit der Arbeit zu meinem Glücksgefühl an diesem kalten Novembertag beigetragen? Auch wenn das ein naheliegender Schluss wäre, erscheint er mir eher aus der Perspektive meiner früheren, ergebnisorientierten Berufsvorstellungen abgeleitet. Demnach muss Arbeit hoch anerkannt und das eigene Berufsbild mit hoher Sinnhaftigkeit versehen sein. Ehrlicherweise habe ich mir während des Mistschaufelns darüber keinerlei Gedanken gemacht. Ich hatte die einfache, körperliche Betätigung genossen und war froh, als die Arbeit erledigt war. Meine Freude rührte daher, dass ich mich keinem inneren Druck ausgesetzt hatte und mich mit meinem Körper, meinen Mitschipperinnen und der umliegenden Landschaft verbunden fühlte. An diesem Tag war diese Arbeit für mich das Naheliegendste, was es zu tun gab. Dass ich mir keine weiteren Gedanken über sie machen musste, war sicherlich ein wichtiger Teil des befreienden Gefühls. Es nahm viel Druck von mir, dass mir weder die Sinnhaftigkeit noch der Gewinn von Anerkennung durch diese Arbeit an diesem Tag etwas bedeutet haben, aber auch die zeitliche Ungebundenheit trug erheblich zu meiner Gelassenheit bei. Ob wir den Mist eine Woche davor oder danach geholt hätten, war unerheblich. Es war eine klassische »Herbstaufgabe«, da mit dem Auftragen des Mists der Winterschlaf des Gemüsegartens eingeleitet wird. Es stand uns frei, uns einen passenden Tag dafür auszusuchen, und auf diese Weise für die kommenden Monate vorzusorgen. Diese unmittelbare Verbindung mit den Jahreszeiten und den naheliegenden Aufgaben ist mir noch sehr neu. Je mehr ich jetzt Arbeiten nachgehe, die den Qualitäten der einzelnen Monate entsprechen, desto verbundener fühle ich mich mit der umliegenden Natur und mit meinem inneren Kräftehaushalt.
Jenseits von beruflichen Rollen Wesentlich an meiner Arbeit auf dem Misthaufen erscheint mir auch, dass ich mich in keiner Weise mit dieser Arbeit identifiziert habe. Jede und jeder hätte für mich einspringen können, und ob der eine oder die andere nun ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger Dung aufgeladen hatte, war bedeutungslos. Ganz anders wäre es gewesen, wenn wir uns an klassischen Organisationsmechanismen orientiert hätten. Dem Beispiel vieler Existenzgründungen folgend, hätten wir uns etwa einen passenden Organisationsnamen zulegen können, etwa »Misthaufen UG«. Und wir hätten einander klare Aufgabenbereiche zuweisen können, um die Effizienz zu steigern. Je nach unseren Kompetenzen hätten wir dann wohl die Dungbeschaffung, die Transportlogistik oder die Kompostausbringung koordiniert. In der modernen Arbeitswelt wird solchen Marketing- und Organisationsmethoden enorme Bedeutung beigemessen. Der Organisationsname und die auf der Visitenkarte genannte Funktion prägen die Identität vieler Menschen so stark, dass sie oft in tiefe Lebenskrisen stürzen, wenn sie ihre Arbeit verlieren oder in eine weniger anerkannte Organisation oder Position wechseln müssen. Wer heutzutage keinen gut bezahlten Arbeitsplatz im hochspezialisierten Arbeitsmarkt vorweisen kann, fürchtet schnell ums Überleben. Wie sehr doch Druck und Angst die konventionellen Arbeitsweisen prägen! Wenn wir nicht den Anforderungen des Arbeitgebers oder der Kundschaft genügen, verlieren wir unsere Arbeit, und es drohen beruflicher und sozialer Abstieg.
Das einfache Tagwerk verrichten Nach meinem Ausstieg aus der Selbständigkeit habe ich eine ganz andere Sicht auf Arbeit kennengelernt. Ganz gleich, ob ich als Gärtner gearbeitet, auf Bauernhöfen ausgeholfen oder Gemeinschaften unterstützt habe – immer habe ich mit den Menschen vor Ort Lösungen gefunden, wie ich meine materiellen Bedürfnisse decken kann. Je ausgelieferter ich mich dabei manchmal gefühlt habe, desto höher waren oft die Hilfsbereitschaft und das Wohlwollen meines Umfelds. Das hat mir schnell gezeigt, wie einengend die Denkmuster meiner Sozialisation und meines vorherigen Berufsumfelds waren. Es hat mir klargemacht, wie wichtig es ist, diese ausgedienten Paradigmen zu überwinden, um mit neuem Selbstvertrauen und Lebensfreude eine andere Art der Arbeit zu entdecken. Passend dafür erscheint mir der alte Begriff des »Tagwerks«. Er drückt aus, dass man jeden Tag einer Reihe von Tätigkeiten nachgeht, die gerade anstehen. Durch diese Bezeichnung kann der Arbeitsbegriff das Bedeutungsschwangere verlieren, das ihm in der modernen Gesellschaft oft anhaftet. Seiner Arbeit nachzugehen, muss dann nicht mit finanzieller Entlohnung, hoher Verantwortung, Effizienz, Zeitdruck oder Prestige einhergehen. Es beinhaltet eher das einfache, gemeinschaftliche, gelassene Tätigsein, dass ich an jenem Novembertag auf dem Misthaufen so sehr genossen habe.
Oya im Ohr Diesen Beitrag gibt es auch als Hörstück.