Wie ein konventioneller Landwirt seinen Boden zu verstehen lernte und nun die Umstellung zum Demeter-Hof wagt.von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #50/2018
Nach einem heftigen Regenfall stand Jens Petermann, Landwirt im brandenburgischen Dannenberg, buchstäblich in seinem Maisfeld und traute seinen Augen nicht: In der Traktorspur zwischen den Reihen hatten die ablaufenden Wassermassen eine Schlucht gegraben, so tief, dass er mit den Wurzeln auf Augenhöhe kam, als er sich hineinstellte. Er blickte auf die offene, durch Herbizid-Einsatz unkrautfrei gehaltene Erde und sah, welch einfaches Spiel der Wolkenbruch beim Fortschwemmen des Bodens gehabt hatte. »Ich mache meine Erde kaputt«, dachte er. »Ich mache etwas ganz Wesentliches falsch.« Das war im Jahr 2007. Was aber war das Falsche? Jens Petermann ging seither gründlich an diese Frage heran. Zur Landwirtschaft hatte ihn vor allem sein technisches Interesse gebracht. »Ich habe meinen Beruf nicht aus einer familiären landwirtschaftlichen Tradition ergriffen, sondern aus purer Neugierde«, erklärt er. Drei Jahr lang studierte er in Zierow bei Wismar und schloss 1990 als diplomierter Agraringenieur ab. An der Uni lernte er seine Frau kennen, deren Studienfach Tierproduktion war. Gleich nach der Wende, 1991, ergab sich für ihn die erste interessante berufliche Chance als Leiter der Fachabteilung Pflanzenbau in einem 600-Hektar-Betrieb bei Strausberg nahe Berlin. »Der hatte grottenschlechte Zahlen«, erzählt Jens Petermann. »Ich habe damals alles aus der Schublade geholt, was ich gelernt hatte, aber ich hatte wenig Erfahrung und keinen Vater oder Onkel, den ich um Rat fragen konnte. Aber von den Landwirten in der Nachbarschaft habe ich viel gelernt.« Er steigerte die Produktion auf den Äckern deutlich, aber der Betrieb konnte sich nicht dauerhaft halten. So wechselte Petermann 2003 auf einen Hof in Dannenberg in der Nähe von Eberswalde – ein Milchviehbetrieb mit 200 Kühen und 700 Hektar Land mit Weiden und Äckern, um eigenes Futter und Marktfrüchte – Getreide und Raps – anzubauen. Die Böden gleichen denen in der Region Strausberg: Sie sind sandig und arm. Jens Petermann, zuerst Geschäftsführer und nach kurzer Zeit auch Inhaber des Betriebs, optimierte erneut die Arbeitsabläufe, alles nach konventioneller Schule, und investierte in einen modernen Fuhrpark. »In den ersten drei bis vier Jahren ging die Kurve nach oben«, beschreibt er den wirtschaftlichen Erfolg.
Was läuft falsch? Als er 2007 in der Erosionsschlucht im Maisfeld stand, wurde ihm bewusst, dass dieser Erfolg auf Sand gebaut war. Er nahm etwas Erde in seine Hand, und sie zerfiel sofort zu Staub. »Seltsam, ich habe doch nach ›guter fachlicher Praxis‹ mit Mist gedüngt«, wunderte sich Jens Petermann. »Warum baut das keinen guten Boden auf? Mais ist eine Hackfrucht, sie verträgt organischen Dünger; bis 400 Dezitonnen Stallmist pro Hektar wurden in der Ausbildung empfohlen.« Mit der zerfallenden Erde in der Hand dämmerte ihm, dass die Prozesse, die gesunden Boden entstehen lassen, komplexer sein müssen als die nackten Nährstoff-rein-und-raus-Berechungen, die ihm im Studium und von seinen Beratern zu industriellen Anbautechniken vermittelt wurden. Die Neugierde, die ihn zu seinem Beruf gebracht hatte, erwachte erneut: Was ist das Phänomen »Boden«? Jens Petermann las alles, was er zum Thema finden konnte, und besuchte Vorträge über sogenannte konservierende Bodenbearbeitung. »Dort habe ich interessante Leute getroffen und revolutionäre Ideen mit nach Hause genommen«, erzählt er. »Seitdem praktiziere ich Direktsaat – also Einsaat, ohne vorher das Feld zu pflügen –, wenn der Boden noch mit den Resten der abgeernteten Frucht bedeckt ist, oder verwende einen Schälpflug, der nur die oberste Schicht so umbricht, so dass kein ›toter‹ Boden nach oben geholt wird.« Je länger er aber mit diesen Methoden arbeitete, desto deutlicher erkannte er: »Nur Minimalismus in der Bodenbearbeitung bringt uns auch nicht die Rettung: Es gibt keine Patentrezepte. Du musst dich auf den Boden einlassen, musst begreifen, was du tust, und dich als Landwirt überhaupt erst wieder erden.« Jens Petermann wurde zum intensiven Beobachter: »Was wächst an Beikräutern auf welchem Feld? Ist es massenweise Kamille? Was sagt der Boden damit – dass er die Kamille braucht, um wieder lockerer zu werden?« Während er mehr und mehr den Wert der Intuition erkennt, will der Analytiker in ihm zugleich die komplexen organischen Prozesse besser begreifen. Nach einigen Jahren der Fehleranalyse kann er heute sagen, warum das kontinuierliche Einbringen von Mist in sein Maisfeld eben keinen Humus aufgebaut hat: »Wenn sich ein Organismus auflöst, wird in großen Mengen Kali frei, weil Kali der einzige Nährstoff ist, der an das Plasma und nicht an die Zellen gebunden ist. Das passiert bei jeglicher organischer Düngung: Gülle, Mist, Gründung oder Substraten aus einer Biogasanlage. Dabei entsteht im Boden schnell ein Überschuss an Kali. Das sorgt für ein Missverhältnis zwischen Kali und Magnesium, und dies wiederum zerstört die Ton-Humus-Komplexe. Der Boden zerfällt, die Bodenstruktur verliert ihren Halt und ihre Fähigkeit, Wasser zu speichern. Wir haben hier im Land so viele Biogasanlagen, und die Fachwelt meint, es wäre gut, die Gärreste auf die Felder zu bringen. Die abgebauten organischen Substanzen bringen aber hohe Frachten an Kali in die Böden, und das führt dazu, dass sie rasend schnell ihr biologisches Gleichgewicht verlieren.« Was aber ist das biologische Gleichgewicht? Jens Petermann hat verstanden, dass es nicht durch die Zugabe von Stoff X und das Weglassen von Stoff Y, sondern durch Lebendigkeit entsteht. Wichtig sind die Prozesse im Wurzelraum der Pflanzen, das beständige Absterben von Wurzeln, die Arbeit tausender Bodenlebewesen – und die mögen weder Pestizide noch einseitige Düngung noch schwere Traktoren.
Harte Konsequenzen Dass ihm ein Freund empfahl, sein Land in den Bioboden-Fonds einzubringen, gab den letzten Ausschlag für die Umstellung der »Produktivgesellschaft Dannenberg mbH« auf Ökolandbau. Seit Anfang Juli des letzten Jahres leiten Jens Petermann und seine Frau einen Demeter-Hof in Umstellung. »Das Demeter-Konzept, das in Kreisläufen zwischen Mensch, Boden, Pflanzen und Viehzucht denkt, kommt meinem Ideal am nächsten«, erklärt er seine Entscheidung für diesen Verband. Es war klar, dass die Umstellungszeit nicht einfach werden würde, vor allem das zweite Jahr, in dem seine finanziellen Reserven aufgezehrt sein und die Erträge durch den Wegfall seines bisherigen Düngesystems niedriger ausfallen würden. Am Ende seiner konventionellen Zeit hatte er mit dem »Cultan«-Verfahren gearbeitet, bei dem der ganzjährig benötigte Dünger in einem Arbeitsgang punktförmig in den Boden injiziert wird. Es gibt auch einen ökologischen Dünger dieser Art, allerdings ist dieser sehr teuer. Die Dürre in diesem Sommer machte das zweite Umstellungsjahr nun zu einer Belastungsprobe, wie sie härter nicht hätte ausfallen können. Jens Petermann fasst seine Situation trocken zusammen: »Keine Bioprämie, schlechte Ernte, schlechte Preise fürs Getreide, Spottpreise für die Milch, und zu viele Mitarbeiter. Wir haben 14 Angestellte. Normalerweise gelten größere Höfe mit einem Mitarbeiter pro 100 Hektar Land als wirtschaftlich, aber das ist ein absurdes Verhältnis. Kapitalismus habe ich nie wirklich gelernt.« Was ihn zusätzlich belastet, ist das Feindbild, das ihm vielerorts entgegenschlägt: der Landwirt als böser Naturzerstörer. »Statt Anfeindungen benötigen die ›konventionellen‹ Landwirte Aufklärung, Beratung und Unterstützung«, meint er. Vor allem bräuchten sie Unterstützung in der Umstellungszeit. Dem angehenden Dannenberger Biobauern fehlt aktuell das Geld für Saatgut und das Wasser, um auf seinen abgeernteten Äckern Zwischenfrüchte einzusäen. Am liebsten sähe er seine Felder jetzt grün. Dann würde er bei passender Witterung seine Rinder von Feld zu Feld treiben, damit sie das Grünzeug abfressen, dabei das Wurzelwachstum anregen und durch ihre Verdauung den Boden mit Nährstoffen und Bakterien impfen. Vor der nächsten Aussaat würde er gerne Steinmehl und Pflanzenkohle in einige Felder einarbeiten, um den Säure-Basen-Haushalt des Bodens zu verbessern. Aber auch dafür fehlt im Moment das Geld. Den Mist aus den Ställen würde er gerne gründlich kompostieren, bevor er ihn auf die Felder ausbringt, aber auch das würde weiteres Geld und Zeit in Anspruch nehmen. – »Im Augenblick ist die Umstellung für mich ein Rückschritt«, meint Jens Petermann. »Ohne Herbzide muss ich den Boden zur Unkrautbekämpfung stärker bearbeiten, danach können ihn Wind und Wasser leicht davontragen. Wenn ein Acker einmal sein Gleichgewicht hat und deshalb nur noch wenige Pionierpflanzen, wie Melde, die Feldfrüchte überwuchern wollen, kann ich, ohne zu pflügen, direkt einsäen. Aber so weit bin ich noch nicht. Für zehn Zentimeter Bodenbildung benötigt die Natur 2000 Jahre. Ich bemühe mich nun elf Jahre lang intensiv um meine Böden – was will ich da erwarten?« Trotz aller Schwierigkeiten ist sich Jens Petermann sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. Er ist nicht allein: Seine Tochter hat soeben ausgelernt. Die junge Bäuerin trägt die Umstellungsschritte ihres Vaters begeistert mit.