von Christian Schorsch, erschienen in Ausgabe #50/2018
Das im Juli erschienene Buch »Kapitalismus aufheben – Eine Einladung, über Utopie und Transformation neu nachzudenken« von Simon Sutterlütti und Stefan Meretz vom Commons-Institut richtet sich an all jene, die das Mantra der Alternativlosigkeit nicht akzeptieren wollen. Die Autoren definieren das Ziel ihrer eigenen Utopie als eine »Freie Gesellschaft« – also eine, die sich von jedweder Herrschaft und systemischen Sachzwängen befreit hat. Der erste Buchteil befasst sich mit Kritik am Kapitalismus sowie mit historischen Versuchen und aktuellen Transformationsstrategien zur seiner Überwindung. Allein schon dieser erhellende Komplex mit erfrischenden Sichtweisen lohnt die Lektüre. Den mittleren Teil des Buchs widmen Sutterlütti und Meretz ihrem Hauptanliegen, nämlich den Raum für Debatten um Utopien wiederzueröffnen. Dazu versuchen sie, eine generelle Theorie für Utopien zu umreißen, die durch eine verallgemeinerte Theorie zu möglichen Aufhebungsprozessen ergänzt wird. Den abschließenden Teil nutzen die Autoren sogleich zur Anwendung ihrer vorher entwickelten Theorien und stellen ihre eigene kategoriale Utopie, den »Commonismus«, sowie ihre Aufhebungstheorie, die sie »Keimformtheorie« getauft haben, vor. Unter entsprechenden Vorbedingungen, die auch diskutiert werden, könne eine im Alten bereits als Keim angelegte Vorform – die Autoren erkennen eine solche in »neuen Beziehungen zwischen Menschen« – mehr Relevanz und letztlich die Dominanz erlangen. Diese neuen Beziehungen würden in der Utopie des Commonismus bestimmt durch das Commoning, eine inkludierende soziale Praxis, welche die systemisch ausgrenzende und trennende Wirkungsweise des Kapitalismus aufhebt. Mit ihren Überlegungen, Ideen und Theorien beschreiben Sutterlütti und Meretz systemische Hebelpunkte für Veränderung, die sehr tief wurzeln, und präsentieren dazu völlig neuartige (Denk-)Ansätze. Außerdem bereichern sie ihr Werk mit wirklich spannenden Erkenntnissen und Schlüssen, wie beispielsweise einer überraschenden Kritik an der Notwendigkeit von Ethik oder am Wesen von Gemeinschaften. Ihre Gesellschaftsanalyse geht tief und ist äußerst kritisch – was Einsteiger vermutlich ziemlich herausfordern dürfte. Um erstmalig in die Welt der Commons und des Commoning einzutauchen, ist das Werk vermutlich zu nüchtern, sachlich und theoretisch. Dennoch haben Sutterlütti und Meretz hier etwas Wichtiges und Großes geleistet. »Kapitalismus aufheben« ist eine dringende Empfehlung und Pflichtlektüre für alle, die gesellschaftlich interessiert oder bereits transformierend engagiert sind bzw. es gern sein möchten. Beim Lesen kann es zu überraschenden Ernüchterungen oder auch zu augenöffnenden Momenten kommen. Ja, vielleicht gelingt es dem Buch sogar, Hoffnungen (wieder) zu erwecken und Mut zu machen, etwas grundlegend Neues anzugehen, das plötzlich nicht mehr jenseits des Horizonts liegt, sondern greifbarer denn je erscheint.
Kapitalismus aufheben Eine Einladung, über Utopie und Transformation neu nachzudenken. Simon Sutterlütti, Stefan Meretz VSA, 2018 256 Seiten ISBN 978-3899658316 16,80 Euro