von Anke Caspar-Jürgens, erschienen in Ausgabe #50/2018
Lernen für das Leben, im Leben selbst – ohne Schulbesuch? Können Sie sich das vorstellen? Solange das »Sich-frei-Bilden« in Deutschland unter Strafe steht, gibt es für die meisten Menschen kaum eine Chance, die eigenen Vorurteile und Ängste zu dieser Art des Lernens zu überprüfen. Das Buch »Lernen ist wie Atmen« bietet die Möglichkeit, sich durch sehr lebendig geschriebene, authentische Erfahrungsberichte über die mögliche Vielfalt von Lernwegen – vom schulischen bis hin zum konsequent selbstverantworteten Lernen – zu informieren. Damit ist es eine Lektüre für Menschen, denen ein enkeltaugliches Leben am Herzen liegt und denen bewusst ist, welche Auswirkungen die Art des Lernens auf die demokratische Weiterentwicklung einer Gesellschaft haben kann. Den Herausgeberinnen, Sigrid Haubenberger-Lamprecht, Alexandra Terzic-Auer und Gudrun Totschnig ist es exzellent gelungen, die 26 von Jugendlichen, Vätern, Müttern, Großvätern und Großmüttern geschriebenen Texte so miteinander zu verbinden, dass sie sich zu einer Art Biografie eines Menschen zusammenfügen. Mit zunehmender Spannung verfolge ich beim Lesen das Werden aus der Perspektive der jeweils Betroffenen. Welche Schlüsse zogen sie jeweils aus ihrem Erleben, und welche Auswirkungen hatte dies bezogen auf ihr Selbstverständnis, ihre Lebensfreude, auf das Verständnis innerhalb der Familie und auf ihr Lernen? Neben der Thematisierung zentraler Fragen zum Recht auf Bildung und dem Umgang damit berührten mich die kritisch-klugen Reflexionen der alten Menschen – und hier besonders auch der Väter – wie sich ihr alltägliches Sein mit Kindern auf ihr eigenes Leben auswirkte. Zum Ende des Buchs wird auf die Freilernerbewegung hingewiesen, in der sich Eltern, Kinder und Lernbegleiter ganz bewusst auf das herausfordernde Abenteuer einlassen, gemeinsam und auf Augenhöhe zu wachsen und so, unter Einbeziehung möglichst vieler Außenstehender, eine »lernende Organisation«, ein »Dorf«, zu kreieren. Die Lektüre wird Neueinsteiger der Freilernerszene ermutigen und kann den bereits Erfahrenen helfen, den Blick auf ihre Praxis zu schärfen. Besonders kann es die Perspektive auf Bildung von Menschen in Schulämtern und Behörden erweitern. Mein Fazit: Der Weg zu einer freien und friedlichen Menschheitsfamilie wird möglich, wenn Menschen jeden Alters herausfinden und tun dürfen, was sie begeistert.