Buchtipps

Die Große Transformation (Buchbesprechung)

von Julia Fuchte, erschienen in Ausgabe #51/2018
Photo

»Werden Sie Zukunftskünstlerin!« – mit diesem zentralen Appell schließt die Neuerscheinung »Die Große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels«. Das Buch aus der Feder von Uwe Schneidewind, dem Präsidenten des Wuppertals Institut für Klima, Umwelt und Energie, versammelt Entwicklungsansätze und -potenziale in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und durch verschiedene Akteure unter dem Dach einer »Zukunftskunst«. Die Fähigkeit, transformativ zu wirken, entsteht laut Schneidewind aus der Einsicht, dass jede nachhaltige Transformation mit einem kulturellen Wandel einhergehen müsse: also damit, dass Menschen und Gesellschaften ihre Ideen von sich, von Leben und Welt ändern – und so erst die einzelnen »Arenen« (Energie, Ressourcen, Konsum, Mobilität, Ernährung, Städte und Industrie) sowie Akteure (Zivilgesellschaft, Politik, Unternehmen, Wissenschaft, Individuen) in ihrem systemischen Zusammenspiel verstehen und gestalten können. (Siehe Oya 50, Artikel über KlimaKultur-Werkstätten).
Uwe Schneidewind greift auf 25 Jahre Forschungserfahrung des Instituts zurück, das seit den 1990er Jahren die bundesweite Debatte um eine Wohlstands- und Konsumwende entscheidend prägt. Das Buch soll als aktueller Kompass dienen.
Die Lesenden erhalten einen Überblick darüber, welche Entwicklungsschritte heute sinnvoll sind und was an »Zukunftsbildern« bzw. an wissenschaftlich basierten Erzählungen bereits existiert, etwa Wolfgang Sachs’ »4-E-Modell« aus den 1990ern: Entrümpelung, Entschleunigung, Entkommerzia­lisierung, Entflechtung – weniger Dinge, ein langsam-bewussterer Umgang mit Zeit, weniger Ökonomisierung, mehr regionale Produktion. Denn die Strategien, die Menschen anwenden, um im kapitalistischen System zu funktionieren, laufen für gewöhnlich auf das Gegenteil hinaus, so der Soziologe Wolfgang Streeck: »Coping« (ständig Leistungsansprüche an sich stellen), »Doping« (Leistungsfähigkeit auf kurze Sicht aufrechterhalten, etwa mit Kaffee oder ­Musik), »Hoping« (auf eine bessere Zukunft hoffen) und »Shopping« (sich für all die Mühen »etwas leisten«).
Sogenannte Exnovationsstrategien von Industrie und Wirtschaft müssten Branchen und Regionen auf einen Strukturwandel vorbereiten (wenn etwa die Automobilindustrie langfristig zusammenbricht) und frühzeitig Perspektiven und Jobs in neu entstehenden Arbeitsfeldern schaffen. Industrien müssten künftig eng kooperieren, um eine Kreislaufwirtschaft überhaupt zu ermöglichen. Die Zivilgesellschaft gilt als wichtiger Akteur in diesem Prozess, als »Katalysator für huma­nistische Werte«, der mahnt (etwa die ­Occupy- oder die Hambi-Bewegung), vermittelt (etwa studentische Bewegungen) und Motor ist in gesellschaftlichen Diskursprozessen (etwa Transition Towns, OuiShare).
Wird mensch mit diesem »Kursbuch« also Zukunftskünstlerin? Die wissenschaftlich-substantivlastige Sprache erschwert es etwas, sich inspirieren zu lassen. Das Buch besitzt eher die Qualität eines Nachschlagewerks, das einen Überblick darüber gibt, in welchen Bereichen welche Reformen möglich sind und angegangen werden sollten. Dabei ist es durchaus hilfreich und aktuell.
Die betonte kulturelle Wende bleibt leider ein wenig vage skizziert. Nachhaltigkeit erscheint als »verlängertes Menschenrecht«, als humanistischer Imperativ, ohne dass sie weiter existenziell begründet wird. Darin mag dieses Buch nicht so weit gehen wie etwa wildnispädagogische, permakulturelle oder buddhistische Ansätze, die aus einer Annahme der universellen Verbundenheit allen Lebens heraus Zukunft gestalten.

 

Die Große Transformation
Eine Einführung in die Kunst ­gesellschaftlichen Wandels.
Uwe Schneidewind (Hg. von Klaus Wiegandt und Harald Welzer)
Fischer, 2018 
528 Seiten
ISBN 978-3596702596
12,00 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #51

Photo
von Andrea Vetter

Wir sterben immer

Andrea Vetter  In unserer Gesellschaft wird oft gefragt: Wie können wir neue Wege finden? In dieser Ausgabe geht es unter anderem um die Wiederentdeckung des Waldgärtnerns als Gegenentwurf zum Anbau von Getreide in Reinkultur, wie auf unseren Äckern üblich. Aber

Photo
von Jochen Schilk

Den Garten Eden pflanzen?

Beinahe wären sie für immer geblieben. Stephan Seidemann und seine damalige Frau Andrea waren zwischen 1995 und 1997 mehrfach in Brasilien. Sie hatten von dem aus der Schweiz stammenden Ernst Götsch gehört, der im Nordosten des Landes aus dem Nichts einen fruchtbaren Waldgarten

Photo
von Veronika Bennholdt-Thomsen

Lob des Bäuerlichen

»Größer, schneller, mehr – besser!«, lautet die Maxime unserer Epoche, die uns in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wir wissen weder kognitiv noch physisch (in Fleisch und Blut), dass wir ein Teil des Ganzen sind, dass all die Dinge, mit denen wir uns umgeben,

Ausgabe #51
Garten Erde

Cover OYA-Ausgabe 51
Neuigkeiten aus der Redaktion