Titelthema

Erfolge vor Ort

Christian Schorsch sprach mit Monika Ludwig-Perschke und Hans-Peter Perschke über kommunales Engagement.von Christian Schorsch, Monika Ludwig-Perschke, Hans-Peter Perschke, erschienen in Ausgabe #52/2019
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Als langjähriger Bürgermeister des ostthüringschen Bioenergiedorfs Schlöben engagierte sich Hans-Peter Perschke mit seiner Frau ­Monika schon lange vor meinem Aufenthalt – der von 2014 bis 2017 währte – für die zukunftsfähige Ausrichtung des Orts. Das größte von ihm umgesetzte Projekt ist wohl die Biogasanlage, die in Zusammenarbeit mit dem ortsansässigen Agrarunternehmen einen Großteil der Gemeinde mit Fernwärme versorgt. Viele weitere Aspekte, wie die recht schnell nach der Wende begonnene Förderung junger Familien, zeichnen die Gemeinde aus. Monika Ludwig-Perschke koordiniert das in der Ortsmitte errichtete Familienzentrum, das Jung und Alt einen Ort der Begegnung bietet. Während meiner drei Jahre in Schlöben habe ich mich ebenfalls in die Aktivitäten des Familienzentrums eingebacht. Es war eine prägende Zeit, in der sich in mir – angestoßen durch die Lektüre von Erich Fromms »Haben oder Sein« – ein großer, innerer Wandel vollzog und ich immer tiefer begreifen wollte, warum die Welt so ist, wie sie ist. Ohne es zu wissen, hatten Monika und Hans-Peter an diesem Prozess einen begleitenden Anteil, denn in ihrem Wirken erkannte ich in Ansätzen das wieder, was ich mir inzwischen von den Menschen und der Welt erhoffe.


[Christian Schorsch] 
 Stellt euch vor, wir schreiben das Jahr 2030, und die Welt ist ein besserer Ort. Was hätte sich eurer Meinung nach geändert?
[Monika Ludwig-Perschke]  Die Menschen hätten verstanden, dass sie gemeinsam stärker sind, als wenn jeder für sich allein unterwegs ist. Ich sehe auch eine Tendenz dorthin: Mir begegnen so viele tolle Jugendliche, die nicht verbissen an sich selbst, sondern gemeinschaftlich denken. Das stimmt mich optimistisch.
[Hans-Peter Perschke]  Die Zahl 2030 ist vielleicht nicht zufällig ausgewählt – sie steht für mich jedenfalls für die Agenda 2030, also den Weltzukunftsvertrag. Das Schönste wäre selbstverständlich, wenn dessen Ziele weltweit umgesetzt wären. Das ist allerdings illusorisch, weil schon die westeuropäischen Länder, wie Deutschland, ihre kleinen Ziele im Klimaschutz nicht erreichen werden. Aber ich glaube auch, dass sich die Welt zum ­Guten verändern kann, weil sich einige Meinungsträger bis dahin demografisch erledigt haben und Menschen mit einem Blick auf globale Zusammenhänge das Geschehen bestimmen werden.
[Monika Ludwig-Perschke]    Dabei muss ich an meine Tochter Uta denken. Als sie aus Bolivien zurückkam, hatte sie sich enorm verändert. Sie begann, minimalistisch zu leben nach dem Motto: »Das brauche ich nicht und gebe es ab!« In Bolivien hat sie ein Jahr in einem Straßenkinderprojekt in La Paz gearbeitet. Plötzlich hatte sie dort ein Baby vor der Tür liegen mit einem Zettel daneben: »Ich habe noch keinen Namen. Bitte gebt mir einen!« Dieses Erlebnis hat sie geprägt. Wenn Menschen mit solchen Erfahrungen mal am Ruder sind, kommt ein anderes Denken in die Politik und in die Wirtschaft.

Was beunruhigt euch denn am heutigen Politik- und Wirtschaftsleben am meisten?
[Monika Ludwig-Perschke]    Die Weltgemeinschaft war im gemeinschaftlichen Denken schon einmal weiter. Inzwischen setzt sich die Kleinstaaterei wieder durch.
[Hans-Peter Perschke]   Mich betrübt sehr, dass meine Leute, die Sozialdemokraten, weiter diesem Neoliberalismus anhängen, so dass der Wachstumsglaube das gesamte Handeln bestimmt und die Spaltung der Gesellschaft immer größer wird. Ich sehe da ein ganz großes Gefahrenmoment, aber gleichzeitig nichts und niemanden, um das aufzuhalten oder umzukehren. Auch ich beob­achte den wachsenden Egoismus. So viele Menschen laufen vorgefertigten Meinungen und Fake News nach, bis sie sich ganz in sich selbst zurückgezogen haben.

Monika, in deinem sozialen Beruf kommst du mit sehr vielen Menschen zusammen. Hast du das Gefühl, dass du in diesen Begegnungen positive Impulse setzen kannst?
[Monika Ludwig-Perschke]    Ich kann dort schon etwas bewegen. Wenn du Menschen achtungsvoll begegnest und deine Werte weitergibst, kannst du etwas verändern – vielleicht nicht gleich die ganze Welt, aber Impulse geben, die einige aufwachen lassen.

Hans-Peter, fühlst du dich in deiner Arbeit als Bürgermeister als Zukunftsgestalter?
[Hans-Peter Perschke]    Die Kompromisse, die ich eingehen muss, um Notwendigkeiten zu erreichen, sind oft enorm groß. Ich bin nicht in der Lage, die bestehende Gesellschaftsform zu ändern, dazu fehlt mir auch gerade das Modell. Also muss ich im Rahmen der bestehenden Gesetze und Verhältnisse versuchen, die Welt ein bisschen besser werden zu lassen. Das ist manchmal sehr unbefriedigend, aber die Erfahrung zeigt, je kleiner die Ebene ist, desto größer sind die Erfolgsaussichten und das Maß der Zufriedenheit mit dem, was vor Ort geschaffen werden kann.
[Monika Ludwig-Perschke]    Ich sehe das auch so. Es geht darum, im Kleinen und bei sich selbst anzufangen.

Es ist ja politisch und aktivistisch bereits allerlei in Bewegung geraten. Wie schätzt ihr die Lage dahingehend ein, dass die Wurzeln der heutigen Probleme erkannt und auch angegangen werden? Wieviele der vieldiskutierten Vorhaben und Ansätze drehen sich letztlich noch um Symptombekämpfung?
[Monika Ludwig-Perschke]    Da die vielen Veränderungsprozesse eher aus der Zivilgesellschaft kommen, sind sie nicht mehr als ein Hilfeschrei. So ist auch der Aktivismus zu sehen, der die Masse der Menschen nicht erreicht.
[Hans-Peter Perschke]    Das Handeln der Herrschenden ist vergleichbar mit Trostpflastern, die das Credo der Wachstumsgesellschaft harmonisieren sollen.

Vorhin habt ihr gesagt, dass ihr den Verlust von Gemeinschaftssinn beobachtet. Woran liegt das eurer Meinung nach?
[Monika Ludwig-Perschke]    Den Leuten geht es zu gut. Je besser sie es haben, desto weniger teilen sie. Schon meine Oma hat gesagt: »Wenn du Spenden sammeln willst, geh zu den Armen!«
[Hans-Peter Perschke]    Damit bin ich nicht ganz einverstanden. Es gibt eine statistische Erhebung aus Nordeuropa aus den 1970ern: Mit wachsendem Wohlstand und der zunehmenden Gleichstellung von Mann und Frau gab es mehr ehrenamtliches Engagement. Wer Ehrenamt leistet, ist zumeist finanziell abgesichert. Ich denke, der Verlust von Gemeinschaftssinn hat vor allem etwas mit Wachstum und der Erziehung zum Konsumenten zu tun.

Was wäre eurer Meinung nach notwendig, um wieder Gemeinschaft zu schaffen?
[Monika Ludwig-Perschke]    Oma hätte gesagt: »Es müsste mal wieder ein Krieg kommen.« Das wollen wir natürlich nicht, aber krisenhafte Zustände würden dafür sorgen, dass alle aufwachen. Bei Katastrophen oder Notlagen handeln die Menschen solidarisch. Unsere Gesellschaft müsste mal wieder richtig geerdet werden.
[Hans-Peter Perschke]    Ich denke, Gemeinschaft stärkt eine gerechtere Gesellschaft, die nicht so gespalten ist in oben und unten bzw. in reich und nicht reich. Deshalb gefällt mir die Idee des Grundeinkommens, weil dadurch jede und jeder in seiner Entwicklung flexibler wäre und sich selbst verwirklichen könnte. Wichtig finde ich auch, dass alle Gemeingüter ordentlich zur Verfügung gestellt werden und nichts kosten – Bildung, Wasser, Gesundheitsvorsorge. Wenn für die grundlegenden Dinge gesorgt wäre, gäbe es auch viel weniger Neid.

Wie verwirklicht ihr ganz persönlich Gemeinschaftlichkeit?
[Hans-Peter Perschke]    Wir sind eine große Patchworkfamilie. Da geht keiner unter. In unserem Haus gibt es Platz für die ganze ­Familie, es ist die Basis, um die alle kreisen können. Die Kinder ­leben ihr eigenes Leben, aber sie können in den Ferien jederzeit bei uns sein. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es schwierig ist, seinen ursprünglichen Heimatort zu verlieren. Deshalb besteht dieses Angebot an unsere Kinder.

Könntet ihr euch vorstellen, dass sämtliche Weihnachts­geschenke unterm Baum prinzipiell für die gesamte Familie da sind und nicht mehr für jeden einzelnen?
[Monika Ludwig-Perschke]    Ich finde es auch schön, wenn jede und jeder etwas zum Auspacken hat. Ansonsten haben wir ja generell auch immer Gemeinschaftsgeschenke, wie einen gemeinsamen Ausflug oder ein Mutter-Tochter-Wochenende.
[Hans-Peter Perschke]    Es gibt auch immer ein Spiel als Geschenk, das noch unterm Weihnachtsbaum gemeinschaftlich gespielt wird. Da ist es egal, wer es bekommen hat.
[Monika Ludwig-Perschke]    In diesem Jahr habe ich einmal gedacht: Unsere Kinder haben doch alles. Sollen wir gar nichts schenken? Diese Vorstellung gefiel mir aber auch nicht. Sicherlich, heute gibt es etliche Familien, die sagen: Wir schenken uns nichts, und alle bringen etwas zu essen mit. Das finde ich schön.

Wenn ihr an die Zukunft denkt – was würde euch glücklich ­machen, gemeinschaftlich oder ganz für euch allein?
[Monika Ludwig-Perschke]    Ich habe im Moment gerade genug mit mir selber zu tun, um mich mit meiner Krankheit zu arrangieren und zu sagen: »Du lebst!« – und zu fragen: »Was geht, und was geht nicht mehr?«. Wenn ich in Richtung des Familienzentrums denke, frage ich: »Wie stark kannst du dich da noch engagieren?« Vielleicht kann ich noch aktiver in die Beratung einsteigen.
[Hans-Peter Perschke]    Bei mir ist es absehbar, dass Zeit und Raum für Neues in der Zeit nach meiner Bürgermeistertätigkeit entstehen. Monika und ich wollen inhaltlich und nicht nur privat – so weit wie möglich – noch viele Sachen gemeinsam umsetzen.
[Monika Ludwig-Perschke]     Ich freue mich immer sehr über meine Enkelkinder, aber auch darüber, dass ich einen Partner habe, der mir zuhört, wenn ich Sorgen habe. Das macht mich glücklich! Oder auch unglücklich, wenn er es mal nicht macht …
[Hans-Peter Perschke]    Ich habe zwar noch tausend Pläne für die Kommunalpolitik, aber mir ist es auch wichtig, Zeit dafür zu haben, Bücher zu lesen und mit meiner Frau durch die Gegend zu reisen. Das tun zu können, ist ein Geschenk.

Monika, Hans-Peter, ich danke euch für eure offenherzigen Worte und die Zeit, die ihr mir gewidmet habt.


Wenn ich mit Monika und Hans-Peter spreche, bin ich immer zwiegespalten: Auf der einen Seite steht die große Bewunderung für ein engagiertes, gemeinwohlorientiertes Leben mit vielen erfolgreichen Projekten und einer scheinbar niemals versiegenden Energiequelle. Auf der anderen Seite hinterlassen ihre Überzeugungen, dass immer nur kleine Schritte möglich sind und waren und dass alles immer (politisch) machbar bleiben müsste, bei mir eine Art von Traurigkeit. Viele Menschen sehen es vermutlich auch so, dass leider keine grundlegenden Alternativen zum Gegenwärtigen bekannt seien und die Auseinandersetzung mit großen, gar utopischen Ideen und praktischen Schritten kaum lohnen würde. Bleibt also nur die Hoffnung, dass vielleicht noch ein Wunder geschieht?
Ich selbst denke, es wird immer offensichtlicher, dass eine Wende in kleinen Schritten durch die Bekämpfung einzelner Symp­tome wohl nicht zu verwirklichen sein wird. Von einer Revolution auf der Straße halte ich zwar wenig, aber dass es eine Revolution im Denken und Handeln der Menschen wird geben müssen, darüber bin ich mir sicher – vielleicht vergleichbar mit der neolithischen oder der industriellen Revolution. Für meine Utopie dürfen heutige Projekte rund um Permakultur, Commoning und freies Lernen sehr wohl im Kleinen beginnen, um Fragen aufzuwerfen und zur Nachahmung einzuladen. Aber es sind letztlich nur diese konsequent zu Ende gedachten Ansätze, die zu einem grundlegenden Wandel führen können – selbst wenn sie zunächst äußerst große Schritte im Denken und Vorstellen erfordern und uns sehr viel Einsicht und Mitgefühl abverlangen.
 Oder ist ein solches Vertrauen in das konstruktive Potenzial der Menschen vielleicht auch nur eine Illusion?

 

Monika Ludwig-Perschke (63) ist seit 2011 Koordinatorin des ­Fami­lienzentrums Schlöben, in dem vom Frauenstammtisch bis zum Café für junge Leute rund ein Dutzend Veranstaltungen im Monat stattfinden. Sie bietet zudem persönliches Coaching an.

Hans-Peter Perschke (63) ist seit 1990 Bürgermeister von Schlöben im Saale-Holzland-Kreis in Thüringen. Er ist Vorstand der Genossenschaft »Bioenergiedorf Schlöben eG«, das in Kooperation mit einem Agrarbetrieb eine Biogasanlage für regio­nale Energieversorgung ­betreibt.


Christian Schorsch (37) interessierte sich in seiner Jugend vor allem für Videospiele. Heute faszinieren ihn Permakultur und alle Themen rund um Commons. Er ist Fachinformatiker und arbeitet in einem wissenschaftlichen Institut in der IT-Administration.

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