Endlich gibt es sie: erste Vorschläge zu einer »Mustersprache des Gemeinschaffens«. Silke Helfrich und David Bollier eröffnen ein inspirierendes Spielfeld der Kommunikation.
Menschen aus verschiedenen Generationen und Kulturen sitzen an den Tischen des Park-Cafés, das von viel Grün gesäumt ist. Ein Mädchen dreht mit seinem Fahrrad einige Runden auf dem Pfad, der einen Spielplatz umrandet. Einige Leute klettern an Spielgeräten, große fahren mit kleinen Menschen Seilbahn, andere unterhalten sich, manche stehen, einige sitzen auf einer Steinmauer und genießen die Sonne. Eine Mutter schiebt einen Kinderwagen vor sich her. Durch eine Lücke in der Hecke sieht man ab und zu einen Radfahrer vorbeisausen. An diesem Sonntagnachmittag im Spätsommer herrscht reges Treiben in einem Stadtpark von Hamburg-Altona. Warum ist er ein Ort voller Geselligkeit, während andere Parks zum Drogenumschlagplatz geworden sind? Hier tritt eine Qualität zutage, die von Ganzheit zeugt. Er ist eher ein Organismus, etwas Lebendiges, weniger ein stadtplanerisches Element oder Objekt. Die Muster, die sich hier im Stadtpark zeigen, heißen »Sitzstufen«, »Aussichtspunkte«, »Spielen mit anderen Kindern«, »Überall alte Menschen« oder »Kleine Plätze«. Jedes dieser Muster kann tausendundeine Gestalt annehmen; es gibt keine Blaupause und kein Patentrezept. Derselbe Park wäre an einem anderen Ort, in einem anderen Kontext möglicherweise ein völlig unbeachteter Platz. Noch etwas anderes ist hier entscheidend: Je feingliedriger die Muster zusammenwirken, desto poetischer ist ihre Kraft als lebendiges Ganzes. Der Mathematiker, Architekt und Philosoph Christopher Alexander hat dieses Zusammenwirken seit den 1970er Jahren als »eine Muster-Sprache« beschrieben; von seinen Erkenntnissen handelt das Gespräch auf Seite 56. Er lud seine Leserinnen und Leser dazu ein, eigene Mustersprachen zu entwickeln; umseitig findet sich ein Beispiel: Silke Helfrich und David Bollier formulierten 28 »Muster des Commonings« bzw. des Gemeinschaffens. Muster zeugen von dem, was gelingt und sich stimmig anfühlt. Sie erlauben, das Gemeinsame in verschiedenen gelungenen Gestaltungsprozessen zu sehen und zu benennen. In ihrem Zusammenspiel helfen sie dabei, in einem schöpferischen Prozess eine lebendige Struktur zu erzeugen, wie eine Sprache, die im Zusammenwirken einzelner Wörter zu klingen beginnt. Eine solche Sprache zu erlernen, hat nichts mit dem Pauken von Vokabeln zu tun, sondern mit Spiel und »Wunderfitzigkeit« (ein Wort aus dem Süddeutschen und Schweizerischen, das Werner Küppers, Fahrer des Omnibus für direkte Demokratie, fand, als er nach einem Wort für »Neugier« ohne den Ausdruck »Gier« forschte).
Muster des Gemeinschaffens Die von Silke Helfrich und David Bollier vorgeschlagenen Muster sind also einerseits Spielzeuge: eine Einladung, in der eigenen Praxis zu beobachten, ob sich solche Muster wiederfinden, ob sie sich gegenseitig ergänzen oder ob vielleicht noch ganz andere zutage treten. Andererseits sind sie handfeste Werkzeuge für die Praxis. In der Regel wird es als eine naive Idee idealistisch eingestellter »Gutmenschen« abgetan, dass sich eine moderne Gesellschaft als Commons oder in Commonien organisieren könnte. Muster des Commonings machen nun das, was sich bisher nur vage ausdrücken ließ, greifbar und handhabbar. Weil Muster nur im Zusammenspiel Sinn ergeben, ist die Haltung des Sowohl-als-Auch grundlegend für ihr Verständnis. In diesem Sinn hat das Werkzeug einer Mustersprache, angewandt auf gesellschaftliche Prozesse, bereits aus sich heraus eine starke Wandlungskraft: Wird das Miteinander nicht mehr durch die Scheuklappen fester Rollen oder Hierarchien gesehen, sei es in Familien, im Berufsleben oder in politischen Organisationen, sondern als das Zusammenwirken lebendig miteinander verwobener Muster, wird erkennbar, was »gutes Leben« ausmacht oder sein könnte. »Was Lebendigkeit hervorbringen soll«, so Christopher Alexander, »muss selbst lebendig sein«. Das sei »die einzige Möglichkeit«. Die Lebendigkeit von allen und allem anzuerkennen, führt dazu, dass alles, also auch Dinge oder Landschaften, »tiefe Gefühle und ein Gefühl der Verbundenheit bei denen hervorrufen, die in der Gegenwart dieser Dinge sind«, schreiben Christopher Alexander und Kolleginnen. »Muster vereinfachen nicht zu stark. Sie helfen uns, nicht in die Reduktionismusfalle zu tappen und die Welt nicht unangemessen – letztlich totalisierend – zu erklären«, schreiben Helfrich und Bollier. Es gebe stets verschiedene Methoden, um ein Muster umzusetzen – welche genau angemessen sei, lasse sich nur in der jeweiligen Situation entscheiden. Das Kennzeichnende sei, dass ein Muster nie für sich allein stehe, sondern immer in mehr oder weniger starke Beziehungen zu anderen Mustern eingewoben sei. Probieren Sie es aus: Was sagen Ihnen die unten aufgelisteten Muster? Sind sie auf Ihre persönliche Praxis anwendbar? Welche Muster sind Ihnen selbst begegnet?
Ein Überblick Die 28 Muster aus dem Buch »Frei, fair und lebendig. Die Macht der Commons« stellen den ersten Vorschlag für eine Mustersprache des Gemeinschaffens dar. Noch entwickeln und erlernen wir sie erst. Sie ist vielleicht im Stadium der Sprache eines Kleinkinds, das seine ersten Sätze spricht. Doch so wie dieses Kind schon versteht, was die anderen zu ihm sagen, verstehen Menschen intuitiv, was gelingendes Zusammenwirken ausmacht. Eine Mustersprache lädt dazu ein, dies detailliert zu beschreiben: Wie gelingt es, diese oder jene Herausforderung zu meistern? In der aktuellen Ausgabe von Oya erklären wir sechs Muster: »Gemeinstimmig entscheiden», »Konflikte beziehungswahrend bearbeiten«, »Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten«, »(Für-)Sorgearbeit leisten und Arbeit dem Markt entziehen«, »Auf verteilte Strukturen setzen« sowie »Die eigene Governance reflektieren«. Der Überblick über alle weiteren bisher gefundenen Muster ist eine Einladung, damit zu experimentieren. Fehlt Ihnen ein Muster? Welches Muster würden sie umformulieren? Das Buch dazu ist auch als PDF auf der Seite des transcript-Verlags zugänglich: kurzlink.de/muster
Soziales Miteinander Gemeinsame Absichten und Werte kultivieren Rituale des Miteinanders etablieren Ohne Zwänge beitragen Gegenseitigkeit behutsam ausüben Situiertem Wissen vertrauen Naturverbundensein vertiefen Konflikte beziehungswahrend bearbeiten Eigene Governance reflektieren
Selbstorganisation durch Gleichrangige Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten Commons mit halbdurchlässigen Membranen umgeben Im Vetrauensraum transparent sein Wissen großzügig weitergeben Gemeinstimmig entscheiden Auf Heterarchie bauen Regeleinhaltung commons-intern beobachten und stufenweise sanktionieren Beziehungshaftigkeit des Habens verankern Commons und Kommerz auseinanderhalten Commons-Produktion finanzieren
Sorgendes und selbstbestimmtes Wirtschaften Gemeinsam erzeugen und nutzen (Für-)Sorge leisten und Arbeit dem Markt entziehen Das Produktionsrisiko gemeinsam tragen Beitragen und weitergeben Poolen, deckeln und aufteilen Poolen, deckeln und umlegen Preissouverän Handel treiben Konvivale Werkzeuge nutzen Auf verteilte Strukturen setzen Kreativ anpassen und erneuern