von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #55/2019
Die Geschichte des menschlichen Lebens ist (auch) eine Geschichte der wechselseitigen, koevolutionären Durchdringung von Bäumen und Menschen. Die Geschichte der menschlichen Zivilisation hingegen ist (auch) eine Geschichte der Abholzung. Zwischen diesen Polen pendelt der Blick von Baum-Aficionado Rudi Palla – Oya-Lesenden bekannt aus Ausgabe 33 über altes Handwerk – bei seinen Reisen zu durch Größe, Alter oder Vita herausragenden Baumindividuen. Dabei werden auch menschliche Baumnarren, Waldhegerinnen und Abholzer vorgestellt, darunter der Weltreisende Marco Polo, der in seiner »Beschreibung der Welt« allerlei wundersame Bäume aufzuführen wusste, Johnny Appleseed, der kauzige Guerilla-Gärtner der amerikanischen Frontier, oder Kaiser Franz I., auf dessen Geheiß eine Linde im österreichischen Marktflecken Kremsmünster seit 1823 den »Mittelpunkt der Welt« markiert. Wir begegnen einer nach wie vor laubtreibenden Baumruine auf der griechischen Insel Kos, deren Ahnen bereits dem Hippokrates (460–370 v. Chr.) Schatten gespendet haben sollen; einem kalifornischen Riesenmammutbaum, dessen Schicksal es war, von dummen weißen Männern entdeckt zu werden, denen nichts Besseres einfiel, als ihn zu fällen und als »Discovery Tree« stückweise gegen Eintritt auszustellen; dem heute im Museum zu besichtigenden, kaum drei Meter hohen Akaziensolitär »Arbre de Ténéré«, einst im Umkreis von Hunderten Kilometern der einzige Baum, bis er durch die Achtlosigkeit eines LKW-Führers umgefahren wurde; oder Pol Pots Palmen, die auch auf dem Humus exekutierter Systemabweichler nicht besser gediehen. Zwischen erstaunlichen baumkund-lichen Fakten, ebenso skurrilen wie erschreckenden historischen Begebenheiten und gelegentlich eingestreuten Kochrezepten zeichnet der Autor in seiner Natur-Kultur-Geschichte literarische Baumporträts, die von zarter Wehmut, vor allem aber von seinem Respekt und seiner tiefen Zuneigung zu unseren Baumahnen durchweht sind. Wer Zora del Buonos 2015 erschienenes Buch »Das Leben der Mächtigen« (siehe Rezension in Oya Ausgabe 40) mit Genuss gelesen hat, wird »Unter Bäumen« lieben. Ein Rezensent der Erstausgabe hatte diesem Buch einzig vorzuwerfen, dass es irgendwann endet. Dem ist – insbesondere in Hinblick auf die bibliophil gestaltete Neuausgabe – nichts hinzuzufügen.
Unter Bäumen Rudi Palla Edition Zeitblende, 2018 228 Seiten ISBN 978-3038000228 34,00 Euro