Titelthema

Ah, schön warm!

Wie das Bedürfnis nach Wärme den Blick auf das Heizen unserer Häuser verändert. Eine Forschungsreise.von Anja Marwege, erschienen in Ausgabe #58/2020
Photo
© Rolf Dietrich Brecher/Wikimedia Commons

»Übereinandergestapelt wie ein Verteidigungsturm« seien die vier Räume des alten Hauses seines Freundes in Südfrankreich, erzählt der Münchener Ofenbauer Fritz Kruckemeyer. Der Grundriss jenes Hauses käme seinem Ideal nahe. »Sind die Räume auf diese Weise angeordnet, kann warme Luft leicht aufsteigen und gut zirkulieren«, beschreibt er die Voraussetzungen für ein Heizsystem, das hauptsächlich per Schwerkraft und ohne jegliche Steuerungstechnik auskommt. Fritz baut Öfen mit Hypokaustenwänden. Nicht die heißen Rauchgase wie bei einem Grundofen, sondern warme Luft wird dabei über ein geschlossenes Schachtsystem in andere Räume geleitet. Dort heizt sie von innen eine hohle Wand auf, die dann die Wärme in den Raum abstrahlt. Die abgekühlte Luft sinkt in der hohlen Wand nach unten und wird in einem Schacht im Boden zurück zum Ofen geleitet, wo sie sich erneut aufheizt und zirkuliert.
Diese Art des Heizens nutzten in der Antike schon die Römer in ihren bodenbeheizten Bädern. Heute ist sie fast ausgestorben. Dabei liefert die simple Heiztechnik einige Hinweise darauf, wie die Gretchenfrage der Altbausanierung beantwortet werden könnte. Die Herausforderung ist groß: 60 Prozent des im Haushalt erzeugten Kohlenstoffdioxids werden durch die Heizung verursacht. Wer ein Haus enkeltauglich umbauen möchte, stößt fast immer an die Grenzen gängiger Heizsysteme. Die Suche nach beständigen, technisch unaufwendigen, ja sogar weitgehend selbstzubauenden Alternativen ist also doppelt sinnvoll. Keines der in diesem Text beschriebenen Heizsysteme ist perfekt, immer spielt eine Vielzahl von Faktoren in die Entscheidung hinein. Viel wichtiger erscheint es mir deshalb, entlang verschiedener Heiztechniken ein grundlegendes Verständnis für behagliches Wohnen zu schaffen und damit Fähigkeit gedeihen zu lassen, selbst am Ort des eigenen Wirkens sinnvolle, robuste Lösungen zu finden. So kann ein Grundofen an einem Ort die passende ­Lösung sein, sich an einem anderen aber als unpraktisch erweisen.
Das Bild, das viele vor sich haben, wenn sie an eine Heizung denken, ist gewöhnlich eine technische, für die meisten Nutzenden völlig rätselhafte Anlage, die in einem Kellerraum des Hauses vor sich hin brummt. Diese Vorstellung hat uns von wirklich zukunftsfähigen Alternativen ziemlich weit entfernt. »Warme Räume sind ein Grundbedürfnis des Menschen«, sagt Jasmine Dale, Permakulturdesignerin aus dem westwalisischen Pembrokeshire. Damit stellt sie gleich zu Beginn dieser Suche die Herangehensweise vom Kopf auf die Füße. Sie rückt die Heizungstechnik, den Brennstoff oder die Dämmung des Hauses weit ans Ende der ­Suche. Am Anfang steht das Bedürfnis nach Wärme. Wo brauche ich Wärme? Den ganzen Tag lang? Einige Stunden? Überall gleichmäßig, oder passen verschieden warme Räume besser zur Nutzungsweise des Hauses? Wer wird dafür sorgen, dass Holz gehackt wird? Was, wenn sich die Nutzung des Hauses verändert oder seine Bewohnenden älter werden? Diese Fragen stellen sich für Einfamilienhäuser ebenso wie für gemeinschaftlich genutzte Gebäude. Vielleicht ist auch die Frage berechtigt, warum wir, die in der gemäßigten Klimazone leben, die Innentemperaturen unserer Wohnstätten im Winter auf tropischem Niveau halten?
Sich an dieser Stelle der Suche an eingefleischte, höchst ambitionierte Energieberater und Experten für erneuerbare Energietechniken zu wenden, wäre immer noch zu früh, würde sich ihr Repertoire doch in einer Vielzahl hochtechnisierter, fremdgesteuerter Anlagen erschöpfen. Auch die effizienteste Wärmepumpe oder die sparsamste Brennwerttechnik ist eine Blackbox, ein Produkt von der Stange, das jenseits der Bedürfnisse der potenziellen Nutzenden produziert wurde. Ein anderes Problem bei Häusern, die etwa nach Passivhausstandard saniert oder gebaut sind, ist, dass sie oft hohe Kosten für die Wartung durch Spezialfirmen erfordern. Die Mieterinnen und Mieter eines Mehrfamilienhauses im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg etwa, mit denen ich gesprochen habe, zahlen pro Wohneinheit bis zu 350 Euro im Jahr allein für die Wartung ihrer Lüftungsanlage. Niedrige Heizkosten werden schnell von anfälliger Spezialtechnik aufgefressen.
Ein grundlegendes Verständnis dafür zu entwickeln, wie ein Haus funktioniert, welche Menschen-, Stoff- und Luftströme sich dar­in bewegen, wie es atmet und woraus es gebaut ist, verringert die Gefahr, ein oft viel zu großes Heizsystem übergestülpt zu bekommen. Auf diese Weise entsteht in meinem Kopf langsam ein immer detailreicheres Bild vom Wärmehaushalt des Gebäudes, das sich auf diese Weise als Teil eines lebendigen Biotops zeigt. Ich entscheide mich für ratsuchende, sich über einen längeren Zeitraum entfaltendes Gespräche mit mehreren Ofenbauern, die sich bei ihrer Tätigkeit über die Schulter schauen lassen. Dieser Austausch erweist sich als fruchtbar für das wesentliche Verständnis für das Heizen eines Hauses. Der Beruf des Ofenbauers ist noch recht weit verbreitet, und mit etwas Recherche lassen sich vielerorts Vertreterinnen und Vertreter dieses Standes finden, die mit ihrem Handwerk Öfen schaffen, die mit dem Haus und dem Leben darin zu einem großen Ganzen verwachsen.

Was wirklich warm macht
Zum grundlegenden Wissen über das Heizen gehört, dass Strahlungswärme angenehmer ist als aufgewärmte Luft. Heizkörper einer wasserführenden Zentralheizung wärmen die Luft eines Raums auf, diese steigt auf, kühlt ab und sinkt wieder herunter – ein Kreislauf entsteht, der Staubwirbel und ein zugiges Gefühl entstehen lässt. Beheizte Oberflächen oder Wände, die über Stunden Wärme an den Raum abgeben, sorgen hingegen für gleichmäßige Wärme. Das Stichwort hier ist: viel Speichermasse, etwa in Form dicker Lehmwände. Ein tonnenschwerer Grundofen, aus Schamotte, Ziegelsteinen und Lehm oder ähnlichen lokalen, leicht verfügbaren Materialien gemauert, folgt diesem Prinzip. Bei einem gut gebauten Ofen genügt es, ihn ein- oder zweimal pro Tag anzufeuern. In langen Zügen erwärmen die heißen Rauchgase die Materialien, die die Wärme über Stunden langsam an den Raum abgeben. Statt in den Keller gehört solch ein Ofen mitten ins Haus, dort wo sich das Geschehen abspielt. Für bestehende Gebäude stellen sich dadurch Fragen: Gibt es diese Mitte im Haus überhaupt? Können auf diese Weise mehrere Räume mitgeheizt werden? Wie wird das Feuerhüten an diesem Ort zur Routine?
Die Hypokauste – also ein geschlossener Schacht – in dem warme Luft zirkuliert, ist eine weitere Möglichkeit, um gerade in alten Häusern die Zahl der Brennstätten zu reduzieren. Ein Turmhaus jedoch, wie das eingangs erwähnte südfranzösische, ist ein seltener Glücksgriff. Doch das Prinzip einer Hypokauste funktioniert auch in weniger ideal geschnittenen Gebäuden, sagt Fritz Kruckemeyer. Der Ofenbauer hat mich beim Bau meines Einfamilienhauses begleitet. Er erklärt, dass schon ein leicht ansteigender, gut gedämmter Schacht warme Ofenabluft aufsteigen lässt und sie damit einige Meter in den nächsten Raum transportiert. Damit das funktioniert, wird der Ofen oder die Küchenhexe an den Seiten, hinten und unten in einen Mantel aus gut dämmendem, ungiftigem und nicht brennbarem Material eingepackt. Fritz verwendet dafür Vermiculite, ein verpresstes Sediment, das allerdings aus einem südafrikanischen Flussbett stammt. Auch der Schacht muss gut gedämmt sein, damit sich die warme Luft erst beim Absinken in der zu beheizenden Lehmwand im Nachbarraum abkühlt und die Wärme dort an den Raum abstrahlt. Potenzial für die Wiederverbreitung dieser Heizart gibt es: Früher gab es gerade in Städten wie Berlin Tausende Schwerkraftheizungen, die jedoch die warme Luft in offenen Schächten von einem Raum zum anderen strömen ließen. Theoretisch ließen sich diese Schächte auch in ein geschlossenes System umwandeln. Eine Hypokaustenwand lässt sich oft leicht vor eine bestehende Wand setzen. Anders als bei einem Grundofen heizt sich diese Wand nur leicht auf; schon niedrige Temperaturen von um die 30 Grad Celsius erwärmen einen Raum. Nirgends müssen, anders als bei älteren Zentralheizungen, große Mengen Wassers dauerhaft auf 60 Grad und mehr erhitzt und über viele Meter transportiert werden. Allerdings: Schwerkraftsysteme sind träge und brauchen oft Tage, bis sie richtig durchgewärmt sind. Hypokausten sind eine interessante Form, um Abwärme, die ja auch beim Backen oder anderswo entsteht, zu nutzen und zu speichern. Das funktioniert im Prinzip auch mit Sonnenwärme – als solare Hypokaustenheizung. Es muss nicht immer eine Stückholzheizung sein.
Manche gut gedämmten Häuser brauchen im Winter gar nicht oder nur wenig geheizt werden, weil statt in den Heizungskeller viel Aufmerksamkeit auf die Gestaltung ihrer Südseite gelegt wurde. Große Südfenster mit etwas Dachüberstand helfen dabei, die im Winter tiefstehende Sonne einzufangen und im Inneren für Extrawärme zu sorgen. Im Sommer verhindert der Dachüberstand, dass es drinnen allzu warm wird. Jedes Fenster an der Nordseite gilt es zu überdenken. Im Baustil der sogenannten Earthships – in einen Hang hineingebaute Häuser mit einem Anlehngewächshaus im Süden – wird genau dieser Passivsolar-Effekt genutzt. In einem Altbau ist das schwieriger umzusetzen, aber bei größeren Umbaumaßnahmen ist das eine zu bedenkende konviviale – also einfache, ausreichende und lebensfreundliche – Heiztechnik, die funktioniert, sobald die Sonne scheint.

Je nach Kontext findige Lösungen entwickeln
Wenn Räume zu weit weg von der zentralen Heizquelle liegen, was dann? Der Tischler und Imker Thomas Bohn hat sich für eine technisch wenig aufwendige Lösung ohne den üblichen Pufferspeicher und umfassende Steuerungstechnik entschieden. Er heizt durch geschickte Platzierung fast alle Räume seines Fachwerkhauses in der Nähe von Bleckede in der Elbtalaue, per Grundofen. Nur das Bad liegt zu weit entfernt. Darum ließ er in den Ofen sogenannte Wärmetauscherplatten aus Kupfer einmauern und zwar nicht direkt in die Brennkammer, sondern außerhalb an der Kammer, wo sie nicht den extrem heißen Temperaturen ausgesetzt sind, erklärt Ofenbauer Oliver Stoewer, der den Ofen gebaut hat. In den Kupferplatten zirkuliert Wasser, das direkt in eine Fußbodenheizung im Bad geleitet wird. Dafür benötigt er eine Warmwasserzirkulationspumpe, die vier Watt – also nur sehr wenig Strom – verbraucht. Der Ofen selbst ist mit seinen sechs Tonnen Gewicht der Wärmespeicher. »Fällt der Strom aus, verdampft das heiße Wasser durch ein Überdruckventil, statt Druck aufzubauen«, sagt er. Auch wenn die Kupferplatten trockenfallen, kann so der Ofen weiterbetrieben werden.
Menschen haben nicht nur das Bedürfnis nach Wärme, sondern auch nach warmem Brauchwasser. Lösungen für dieses lassen sich hier nur am Rande erkunden. Im Sommer ist es naheliegend, die Sonne als Energiequelle zu nutzen, und im Winter, wenn im Ofen das Feuer brennt, eine ganz andere. Wassergeführte Öfen klingen zunächst verlockend, allerdings funktionieren die meisten nur mit strombetriebener Pumpe, großem Speichertank, Druckausgleichsbehälter und der dafür nötigen Steuerung. Ohne Strom muss selbst eine wassergeführte Küchenhexe kalt bleiben, weil ein ungekühlter Ofen sonst durchbrennen kann und zerstört wird. Low-Tech-Lösungen wie bei Thomas Bohn sind auch für Brauchwasser möglich – vorausgesetzt das Material, in dem das Wasser zirkuliert, wird nicht so heiß, dass es schmilzt. Aber muss warmes Wasser immer aus dem Hahn kommen? Was ist mit einem Wasserkessel auf dem Herd? Oder mit einem Badeofen? Lässt sich solar erwärmtes Wasser direkt für die Waschmaschine nutzen?

Das Hüten des Feuers rekultivieren
Nicht immer ist es angebracht, Holz als Brennmaterial zu nutzen, und auch der Rückgriff auf moderne Steuerungstechnik kann mitunter sinnvoll sein. In Bohlsen, einem Dorf an der Gerdau im Nordosten Niedersachsens, haben sich Volker Krause, der geschäftsführende Gesellschafter der Bohlsener Mühle, und viele Dorfbewohnende vor ein paar Jahren zusammengetan und eine Bürger­energiegenossenschaft gegründet. Das Besondere: Die Häuser werden mit der Energie geheizt, die beim Verbrennen von Dinkelspelzen aus der Bohlsener Mühle entsteht. Diese fallen beim Mahlen in weit größeren Mengen an, als in Spelzkissen und anderen Produkten verarbeitet werden könnten. Sie wandern ohne weitere Verarbeitung direkt in den Heizkessel. Volker Krause kam 2010 auf die Idee, eine zentrale Anlage zu bauen, die über ein Nahwärmenetz die Häuser des Dorfs beheizt. Behörden und Förderinstitutionen waren zunächst überfordert, denn die Idee passte in keine Schublade – es handelte sich weder um eine Biogasanlage noch ein Blockheizkraftwerk noch eine Pelletheizung. Der Drehrohrkessel ist normalerweise in Müllverbrennungsanlagen im Einsatz, doch auch diese Kategorie passte nicht. Dennoch begann im Winter 2018 die erste Heizsaison. 79 Haushalte haben seither ihre Gas- oder Ölheizung durch einen Wärmetauscher ersetzt und sparen insgesamt rund 400 Tonnen Kohlenstoff­dioxid im Jahr ein – das entspricht der Menge an CO2, die normalerweise 240 Haushalte im Jahr fürs Heizen ausstoßen. Batterien oder Energie-Speichertechnik benötigt diese Anlage nicht, denn Brot und Kekse produziert die Bohlsener Mühle das ganze Jahr über, so dass immer Spelzen anfallen. In der Praxis sind die angeschlossenen Haushalte noch nicht ganz wärmeautark – einmal fiel die Dinkelspelzheizung aus, als sie im Winter auf Höchstlast an ihre Grenzen stieß. Frieren musste trotzdem niemand, aber einige Techniker müssen sich bis zur nächsten Heizsaison noch den Kopf zerbrechen, um den Prototypen robuster zu machen.
Für ein warmes Haus zu sorgen, ist eine mühselige und mitunter frustrierende Aufgabe. Bei vielen läuft es am Ende doch auf einen mehr oder weniger großen, fremdgesteuerten Kasten hinaus. Wassertanks, Solarpanele, Stromkabel und Displays aus fairer und ökologisch sauberer Produktion sind bislang nicht auf dem Markt. Weniger Komponenten dieser Art, viele lokale Baumaterialien, eine bewusste Entscheidung für die Größe der Anlage und eine dem Jahreslauf angepasste Betriebsweise helfen, unsere Abhängigkeit von der Megamaschine um ein paar My zu verringern. Gemeinschaftliche Holzhacktage im Januar, ein genussvolles Vollbad im auf der Küchenhexe erhitzten Wasser oder ein über acht Jahre selbstgestrickter Pullover mit feinen lettischen Mustern zeugen davon, wie wertvoll kuschelwarme Orte in unseren Häusern sind. Genießen Sie die Wärme des Sommers, von der sich in einem halben Jahr gut träumen lassen wird.


Weitere Wärmequellen
beingsomewhere.net
lehmofenwerkstatt.de
lehmundfeuer.de
ofen-fritz.com

weitere Artikel aus Ausgabe #58

Photo
Bildungvon Franziska Castro

Wie werden wir allmendetauglich?

Auf dem Weg zu einer kleinen, mir bisher unbekannten Gemeinschaft wandere ich Ende September letzten Jahres durch Brück im Fläming. Ich möchte etwas über eine Allmende-Ausbildung erfahren, die hier erstmals in einem zweimonatigen Testlauf stattfindet. Das kleine Städtchen

Photo
Gemeinschaft

Tag für Tag auf den Spuren des Wandels

Stefan Marks und Sebastian Rost haben 2014 die Berliner Projektplattform »Filming for Change« gegründet und sich seither dem Wandel in Richtung einer enkeltauglichen Welt filmisch gewidmet. Sie führten über 100 Interviews, veranstalteten Wandel-Festivals und Filmworkshops

Photo
von Manfred Schnee

Klimapsychologie

Der Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie Stefan Ruf bringt in seinem Buch »Klimapsychologie« anschaulich Erkenntnisse aus der Psychologie in die Klima­debatte, die dort bisher weitgehend gefehlt haben. Die Fragen, die Ruf dabei leiten, sind: Warum fällt es so

Ausgabe #58
Altlasten lieben lernen

Cover OYA-Ausgabe 58
Neuigkeiten aus der Redaktion