Wie ein kleines Schulgebäude im Hunsrück Schritt für Schritt zu einem märchenhaften Wohnraum umgebaut wurde.von Matthias Fellner, erschienen in Ausgabe #58/2020
Eine schwarze Katze schaut mich neugierig mit ihren großen, gelben Augen an und huscht dann die Holztreppe hinauf. Ich befinde mich in einem erdfarbenen Flur. Nur wenig Licht dringt durch die kleinen Fensterluken herein, und die mit einer ungleichmäßigen Schicht braunen Lehms verputzten Wände verstärken den Eindruck einer Höhle. Ich fühle mich wohl und geborgen. Durch eine Holztür trete ich in die lichtdurchflutete Küche. Das Feuer in der Küchenhexe knistert; einige zum Trocknen ausgelegte, bemooste, knorrige Äste verströmen feinen Waldduft.
Es ist eine wundersame Behausung, in die mich Sabine Lütt und Matthias Lilienmond eingeladen haben. Seit zehn Jahren bewohnen sie dieses Haus im Hunsrückdorf Hunolstein bei Trier und haben es seitdem einem tiefgreifenden Wandel unterzogen. 1958 als Dorfschule erbaut, war eine Einliegerwohnung für den damaligen Lehrer ins Gebäude integriert worden. Das Küchenfenster gibt den Blick auf die Dorfkirche frei, nebenan liegt der Friedhof. Im Dorf leben gut 250 Menschen, die Häuser stehen auf einer für den Hunsrück typischen Hügelkuppe. Ein paar Hügel weiter in nordwestlicher Richtung beginnen die Weinbaugebiete an der Mosel. »Als wir damals hierher kamen, hatten wir bereits mehrere Versuche, Gemeinschaft zu leben, hinter uns, zuletzt auf einem kleinen Aussteigerhof oberhalb von Bernkastel. Der dortige Saatgutvermehrungsgarten, in dem die ausgefallensten, rarsten Kultur- und Wildpflanzen gedeihen, hat uns sehr inspiriert«, erzählt Sabine bei einer Tasse Tee. »Irgendwann war es an der Zeit, einen eigenen Ort zu finden. In der Saatgutvermehrung fanden wir eine Möglichkeit, aus unserer Liebe zur Pflanzenvielfalt und zum Gärtnern etwas machen, das uns auch finanziell trägt.«
Rechteckiges wird rund Als sie 2010 das Haus für wenig Geld kauften, war die Grundsubstanz in tadellosem Zustand, doch die Innenräume waren stark heruntergekommen. Das Mauerwerk bestand aus unisoliertem Bimsbeton, die Fenster waren einfach verglast. Das Schieferdach war gut erhalten und der Dachstuhl entsprechend trocken, doch die mit Holz und Kohle zu befeuernde Zentralheizung im Keller war defekt. Unter diesen Voraussetzungen machten sich Sabine und Matthias an die Arbeit, das Haus ganz in ihrem eigenen Stil umzugestalten. Sie begannen mit dem großen Grundofen im Wohnzimmer. »Es war uns klar, dass es hier im Winter sehr kalt werden kann. Wir hatten wenig Geld, doch ein Hunsrücker Ofenbauer erbarmte sich unser. Er schenkte uns einen Haufen gebrauchter Schamottsteine und gab uns ein paar gute Tipps, wie der Ofen um die runde Brennkammer herum aufgebaut wird.« Matthias ist studierter Maschinenbauingenieur und selbstgelernter Lehmbauer. Ein Haus mit organischen Formen zu bauen, war sein lange gehegter Traum. »Viele Ideen waren schon dagewesen, bevor wir uns für diesen Ort entschieden«, erzählt Sabine. Matthias ergänzt: »Mit dem zu arbeiten, was bereits da ist, war eine Herausforderung. Ich hätte das Haus lieber von Grund auf rund gebaut. Es war aber auch toll, die Verwandlung miterleben zu können. Wenn Menschen jetzt hierherkommen, haben sie nicht mehr das Gefühl, rechteckige Räume zu betreten.« Der Ofen in der Ecke des Wohnzimmers sieht aus wie ein Berghang und wirkt wie ein lebendiges Wesen. Als ich ihn anfasse, sind seine Wände noch leicht warm, obwohl er zuletzt vor über 24 Stunden angeheizt wurde – das »Wärmewesen« scheint bestens zu funktionieren. »Wenn ich den Ofen heute nochmal bauen würde, würde ich nicht viel anders machen. Vielleicht den Brennraum weniger tief bauen, um mögliche Schäden besser reparieren zu können. Oder eine größere Luke mit Sichtfenster einbauen. Wir hatten auch mal über einen wasserführenden Ofen nachgedacht, doch das würde ihn auch fehleranfälliger machen«, erklärt Matthias.
Dass hier vieles aufs Wesentliche reduziert ist, fällt mir auch auf, als ich meinen Blick zu den soliden Bücherregalen und zurück zur Küchenhexe schweifen lasse. Sabine und Matthias arbeiten seit nunmehr zehn Jahren am Umbau des Hauses und konnten von Raum zu Raum entscheiden, was sich richtig und stimmig anfühlte. »Wir hatten nicht den Anspruch, schnell fertig zu werden. Das Renovieren war für uns eine Art Erfahrungsraum, ein Prozess des Sich-Einfühlens ins Wesen des Orts«, erklärt Sabine ihre Herangehensweise. Sie ist Ethnologin und Geomantin und heute vor allem im Garten und auf Saatgut-Märkten tätig; sie gibt zudem Seminare. Mit 18 Jahren hatte sie mit ihrem damaligen Freund in einem einfachen Gartenhaus ohne Strom- und Wasseranschluss gewohnt. Dort hat sie gelernt, eine tiefere Verbindung zu den Gegenständen um sich herum einzugehen, ja, sie als beseelt und lebendig wahrzunehmen. Sie berichtet beispielsweise davon, wie grundlegend anders es sich für sie anfühlte, als sie zum ersten Mal auf einem Holzofen kochte und beim Knistern des Feuers das Wasser beim langsamen Aufwallen beobachtete. Damals besuchte sie hin und wieder Freunde in einer alternativen Wohnsiedlung, die in selbstgebauten Hütten aus Natur- und Recyclingmaterialien und in Bauwägen lebten. »Das hat bei mir eine tiefe Sehnsucht geweckt, mich selbst auszuprobieren und kreativ zu sein.«
Lehm auf Bimsbeton Freilich gab es auch herausfordernde Phasen beim Umbau. Das Haus war wetterseitig mit Asbest verkleidet. »Mit Feinstaub-Maske und Schutzanzug auf der Leiter zu stehen und 150 Quadratmeter Fassade freizuklopfen – das war wirklich nicht gerade die tollste Arbeit«, erinnert sich Matthias. Den danach aufgebrachten Lehmputz versuchten sie durch einen Leinölanstrich zu schützen. Doch die Putzschicht wurde bald fleckig und rissig. Schließlich entschieden die beiden sich dazu, die Fassade von befreundeten Handwerkern mit Kalk verputzen zu lassen – ein finanzieller Kraftakt, wie sie berichten. Inzwischen hüllt das fröhliche Gelborange des neuen Kalkverputzes das Haus in ein warmes, herzliches Gewand.
Nach und nach wurden alle Zimmer der ehemaligen Lehrerwohnung mit runden Fenstern, gebogenen Türrahmen und buntem Wandanstrich versehen; der ehemalige Schulraum befindet sich noch im Umbau. »Ich hatte schon vor zehn Jahren eine Sensibilität für die maschinelle Kälte eines auf gerade Linien, glatte Flächen und scharfe Ecken und Kanten getrimmten Hauses«, erzählt Matthias. »Mir scheint, dass heute die Formen, Räume, Gebäude wieder zurückverwandelt werden möchten – vom Abbild unserer industrialisierten Gesellschaft hin zum Bild unserer persönlichen Beziehung zu den Stoffen und hin zu organischen Formen, Bauprozessen und Gestaltungsweisen.« Das Material, mit dem sich Matthias besonders verbunden fühlt, ist der Strohlehm. An den noch unverputzten Mauern der Schulräume erkennt man gut, wie er die grobe, rauhe Mischung nutzt, um alle rechteckigen Elemente in runden Formen einzuhausen. »Den Lehm haben wir in der Anfangszeit aus dem eigenen Garten gewonnen. Als das Loch für den zukünftigen Garten-teich zu tief wurde, holten wir ihn als ›Mutterboden‹ für ein paar Euro pro Tonne vom naheliegenden Steinbruch Das Stroh erhielten wir vom Nachbarbauern«, berichtet er. Die Mischung aus Stroh und Lehm trägt Matthias direkt auf den darunterliegenden Bimsbeton auf. Seiner Beobachtung nach ist das auf sämtlichen Oberflächen möglich, solange sie nicht wasserabweisend sind. Bisher hat er damit nur gute Erfahrungen gemacht. Den groben Strohlehmunterputz überstreicht er schließlich mit einem feinem Lehmoberputz, den er aus etwa drei Vierteln Feinlehm und einem Viertel Sand zusammenmischt.
Auf diese Weise ist nach zehn Jahren aus einem heruntergekommenen Schulgebäude ein gemütliches, geradezu märchenhaftes Heim entstanden, dass sich über die Jahre durch die Rundungen und die natürlichen Farben immer tiefer in die umliegende, hügelige Landschaft hineingewoben hat. »In der Studienzeit lebte ich in zwei scheinbar diametral entgegengesetzten Welten«, erzählt Matthias: »Die nüchterne Ingenieursrealität – und die romantische Welt der Fantasy-Geschichten, die ich als Seelennahrung las. Irgendwann begann ich die Trennung zu hinterfragen: Was, wenn unsere Märchensehnsüchte gar keine Realitätsflucht wären, sondern ein Lockruf hin zu einer ganz anderen Seinsweise?« Aus der Verbindung des Lehms mit der Fantasie und Gestaltungskraft der hütenden Menschen ist in Hunolstein tatsächlich ein verwunschener Ort hervorgegangen, der geradewegs einem Märchenbuch entsprungen sein könnte – eine echte »Regenbogenschmiede« eben. »Für mich ist unsere Bauweise nicht museal oder rückwärtsgewandt«, sagt Sabine, während sie auf dem Spinnrad Wolle zu Garn spinnt. »Vielmehr beinhaltet sie, sich authentisch auszuprobieren, in sich hineinzuspüren und sich tiefer mit der eigenen inneren und mit der äußeren Natur zu verbinden.« Die schwarze Katze miaut zum gleichmäßigen Surren des Spinnrads. Sie hat es sich auf einem Tuch bequem gemacht, das von Sabine auf dem kleinen Webstuhl, der neben uns im Wohnzimmer steht, gewebt worden ist. Während ich den Geschichten lausche und die ruhige Atmosphäre des Hauses genieße, scheint es mir so, als wäre ich während meines zweitägigen Besuchs im Hunsrück ein bisschen Teil einer Märchenwelt geworden.
Helfende Bauhände gesucht Für den Umbau des ehemaligen Schulraums suchen Sabine und Matthias noch helfende Hände. Bei Interesse freuen sie sich über eine E-Mail www.regenbogenschmiede.net