Erste Schritte auf dem Weg zu einer neuen Agrarkultur.von Geseko von Lüpke, erschienen in Ausgabe #58/2020
Unsere gegenwärtig vorherrschende Art der Landbewirtschaftung setzt vor allem auf einjährige Pflanzen. Das bedeutet: Säen, Düngen, Pflügen, Ernten, Bodenbearbeitung, erneut Säen, Düngen und so fort. Diese Praxis geht meist mit dem Verbrauch von viel technischer Energie und mit Bodenzerstörung einher. Der Klimawandel wird sich zudem auf diese Systeme vielerorts ertragsmindernd auswirken. Vielleicht muss eine neue, zukunftstaugliche Agrarkultur ganz radikal andere Wege gehen. Zu den vielen Menschen, die sich dorthin aufgemacht haben, gehört seit 35 Jahren Wes Jackson mit seinem »Land Institute« in Kansas, USA. Nach der Schneeschmelze liegen viele Felder im Mittleren Westen wieder nackt da: Braune Erde, aus der bald wieder grüne Sprossen hervorbrechen. Was für die meisten Menschen ein hoffnungsvoller Anblick ist, ist für den Landwirt und Agrarwissenschaftler Wes Jackson ein hoffnungsloser Unsinn. »Die Zerstörung unseres ökologischen Kapitals begann, als wir vor 10 000 Jahren mit dem Ackerbau anfingen, das heißt: als wir Jahr für Jahr die Erde aufrissen und sie den zerstörerischen Kräften von Wind und Regen aussetzten«, sagt er kopfschüttelnd. In der Prärie von Kansas, wo Jackson lebt, wiegen sich die Gräser im Wind – seit Ewigkeiten, ohne Aussaat und Ernte: wilder Weizen, wilder Roggen, wilder Mais, wild durcheinander. Und wenn ein Bison sich daran labte, kam danach kein Mensch, der den Boden aufriss, umpflügte und neu einsäte. Trotzdem standen die Prärien im nächsten Jahr wieder in Blüte. Das war es, was Wes Jackson eines Tages begriff: »Was die Natur uns vormacht, sind immer wieder neu früchtetragende Pflanzen in einer vielfältigen Mischkultur. Was wir Menschen hingegen anbauen, sind einjährige Pflanzen in Reinkulturen.« Diesen Grundfehler zu korrigieren, wurde die Lebensaufgabe des promovierten Bauern; er machte sich daran, alles radikal anders zu machen. Wes Jackson will nicht weniger, als dass wir Weizen, Roggen, Soja und Mais immer wieder vom Halm pflücken. Ganz so, als wenn es sich um Äpfel, Oliven oder Nüsse handelte, die ja auch jedes Jahr neu am Baum wachsen, ohne dass wir ihn vorher fällen müssten. An seinem Land Institute ist der Agrarwissenschaftler damit enorm erfolgreich. Durch eine lange Reihe an Kreuzzüchtungen von Kultur- und Wildpflanzen gelang es, solches Getreide herzustellen. Ein paar Jahre erst ist es her, dass Jackson und sein Team die wilde Grasart Thinopyrum intermedium domestizierten, aus ihr die erste gänzlich neue Getreideart seit Jahrtausenden erschufen und auf den Markt brachten: »Kernza« ist grasartig, mit einem süßen, nussig schmeckenden Korn, das in den USA bereits zu Brot, Bier und Erfrischungsgetränken verarbeitet wird. Oberirdisch ähnelt Kernza dem Weizen, im Untergrund aber ist es ganz anders: Das Wurzelsystem kann sich über drei Meter weit erstrecken, und die Pflanze trägt bis zu fünf Jahre lang Korn, ohne dass Pflügen oder Eggen nötig wäre. Die Bodengesundheit steigt, CO2 wird besser gebunden, das Wasser fließt nicht ab, die Biodiversität nimmt zu. Wes Jacksons Institut arbeitet zudem daran, jährlich pflückbaren Weizen, Roggen und Sorghum zu entwickeln. Nachdem die ersten Produkte der neuen Getreideart in den USA schon 2017 auf den Markt kamen, wurde Kernza im Herbst 2019 auch in Deutschland auf ausgewählten Höfen ausgesät. Das Saatgut gibt es bislang nur bei registrierten Anbauern in den Vereinigten Staaten, doch bald schon sollen Kernza-Produkte auch auf dem internationalen Biomarkt erhältlich sein. Die Anerkennung für diese fundamental neue Agrarkultur wächst: Im Jahr 2000 erhielten Jackson und sein Institut den Alternativen Nobelpreis für die Entwicklung einer »hoch produktiven und wirklich nachhaltigen Landwirtschaft«, denn hier geht kein Humus verloren, Dünger und Pestizide werden nicht gebraucht, die Verwüstung wird gestoppt. Der heute 83-jährige Wes Jackson stellt fest: »Wir brauchen ein neues Paradigma in der Landwirtschaft. Und das beste, was wir kennen, ist das der natürlichen Ökosysteme, die seit Millionen Jahren funktionieren.« Mehrjährige Getreidesorten könnten – ebenso wie Agroforstsysteme und die bessere Erforschung und züchterische Bearbeitung von »Baumgetreiden« wie Esskastanien, Eicheln oder Nüssen – zur Agrarwende beitragen. In diesen Bereichen ist weiterhin Pionierarbeit zu leisten.
Geseko von Lüpke ist Journalist, Buchautor, internationaler Netzwerker und Leiter von Tiefenökologie- und Wildnis-Seminaren sowie Visionssuchen. Er lebt in der Gemeinschaft Sulzbrunn im Allgäu.