Buchtipps

Für das Leben! Ohne Warum

von Maria König, erschienen in Ausgabe #58/2020
Photo

Vor einigen Jahren erinnerte ich mich während einer Gruppenübung, wie ich einmal Zeugin einer stückweisen Fällung eines Straßenbaums geworden war. In jener Situation war mir anfangs nicht klar gewesen, ob die Baum»pfleger« den Baum nur zurückschneiden oder gänzlich fällen würden. Ich betete bei jeder Bewegung des Krans, bei jedem neu in den Blick genommenen Ast, es möge der letzte sein – und fühlte mich unendlich hilflos. Während sich mir dieses Ereignis auf verstörende Weise tief eingeprägt hatte, war jene Gruppenübung der erste Anlass gewesen, darüber mit anderen Menschen zu sprechen. Die Übung war Teil eines »tiefenökologischen« Seminars, das dazu diente, sich mit Gefühlen und Gedanken über den gegenwärtigen Zustand der Welt zu verbinden und Handlungsimpulse für das eigene Engagement zu finden.
Entwickelt wurde die tiefenökologische Gruppenarbeit – oder auch »Die Arbeit, die wiederverbindet« – seit den 1970er Jahren von der Friedens- und Klimagerechtigkeitsaktivistin Joanna Macy. Grundannahmen ihrer Methodik speisen sich aus der System­theorie, dem Buddhismus sowie der Tiefen­ökologie des norwegischen Philosophen Arne Naess und begreifen unsere Planetin als lebendigen Organismus, dessen eingebundener Teil wir Menschen sind. In diesem Eingebundensein spüren wir Schmerz über die Ausbeutung und Zerstörung der Erde, den wir, statt ihn wegzudrücken, würdigen können, um für einen Wandel aktiv zu sein.
Bei dem Buch »Für das Leben! Ohne Warum« handelt es sich um eine erweiterte und überarbeitete Neuauflage von Joanna Macys erstmals 1998 erschienenem Leitfaden zur tiefenökologischen Gruppenarbeit. Er wurde einerseits um Ereignisse und Entwicklungen im Bereich des Klimaaktivismus ergänzt; aus anderen Absätzen, insbesondere der ersten Kapitel, spricht aber auch der Zeitgeist früherer Jahrzehnte. So durchzieht das Buch vielfach ein großer Optimismus, dass der Wandel hin zu einer enkeltauglichen Welt realisierbar sei  – wenngleich dies an anderen Stellen auch in Frage gestellt wird.
Unabhängig davon, wie die heutige Leserschaft sich zur Möglichkeit eines schnellen und konstruktiven Wandels gegenwärtiger ausbeuterischer Verhältnisse im Turbokapitalismus hin zu egalitären und nachhaltigen Gesellschaftsformen positionieren mag, leistet der Ansatz der Tiefenökologie einen wertvollen Beitrag zur Bewältigung emotional belastender Umstände und zur Neuausrichtung im eigenen Handeln. Hierfür sind die präzisen und sorgfältig aus den Praxiserfahrungen der letzten Jahrzehnte zusammengetragenen Übungsanleitungen, die den größten Teil des Buchs einnehmen, sehr hilfreich.
Ergänzend zu den allgemeinen Schilderungen zur Entstehung dieser Form von Gruppenarbeit hätte ich mir persönlich mehr Einblicke in Joanna Macys eigene Erfahrungen als Aktivistin, beispielsweise im Kampf gegen Atomkraft, die damit verbundenen Empfindungen von Erschöpfung und Verzweiflung sowie ihre eigenen Schritte in eine Neuausrichtung gewünscht.
Für die Arbeit mit Gruppen, in der die Beziehung zur Welt thematisiert wird, ist das Buch sehr empfehlenswert.  

Für das Leben! Ohne Warum
Ermutigung zu einer spirituell-ökologischen Revolution.
Joanna Macy, Molly Brown
Junfermann, 2017, 4. Auflage
384 Seiten
ISBN 9783955716288
 38,00 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #58

Photo
von Andrea Vetter

Die Geschichten der Dinge

Bei Folke Köbberling und Werner Nasahl hat alles eine Geschichte. Die Schwarzkopfschafe und die schwarze Hündin Molly haben eine gemeinsame Geschichte, die mir für den nächsten Besuch versprochen wird: »Es ist eine lustige Geschichte!«, ruft Werner mir noch nach, als

Photo
von Lore Schätzlein

Das Haus am Zwergenstein

In einem Wald in der »Swinmark« am Rand des Wendlands, in einer stillen Umgebung, weit entfernt vom nächsten Dorf, liegt ein großer Stein – der Zwergenstein. Er verschließt das Tor zu den »Unner­erdschen«, die sich, von den Menschen verraten, vor

Photo
von Oya – Redaktion

Ich werde mich nicht verkaufen!

Vor Kurzem - einen Monat vor dem dritten Geburtstag meines Sohnes - erhielt ich einen Brief vom Jobcenter. Ich beziehe sogenannte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Aus Sicht der Beamten habe ich nun lange genug gefaulenzt und wird es Zeit für den "Wiedereinstieg in den

Ausgabe #58
Altlasten lieben lernen

Cover OYA-Ausgabe 58
Neuigkeiten aus der Redaktion