von Manfred Schnee, erschienen in Ausgabe #58/2020
Der Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie Stefan Ruf bringt in seinem Buch »Klimapsychologie« anschaulich Erkenntnisse aus der Psychologie in die Klimadebatte, die dort bisher weitgehend gefehlt haben. Die Fragen, die Ruf dabei leiten, sind: Warum fällt es so schwer, unser Handeln derart zu ändern, dass wir der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen Einhalt gebieten? Welches Potenzial für eine nachhaltige Lebensweise haben wir trotzdem? Zur Beantwortung führt uns der Autor im Galopp – aber kenntnisreich und verständlich – durch die Wissenschafts- und Kulturgeschichte der Neuzeit – denn im Europa des 16. Jahrhunderts und danach wurden Weichen gestellt, die noch heutige Entwicklungen prägen. Das Thema »atmosphärisches Bewusstsein« (mehr dazu rechts) bildet gleichsam die Rahmung des Buchs: Es bestimmt Prolog und letztes Kapitel. Dazwischen geht es um die Wechselwirkungen von Natur, Gesellschaft und Bewusstsein mit Blick auf die Klimakrise. Der Mensch ist untrennbar Teil der Natur. Dieses Wissen ist uns jedoch über die Jahrhunderte fast gänzlich abhanden gekommen. Stefan Rufs These: Wir sind verstrickt in einem inneren Konflikt, denn wir tragen sowohl das Wissen, Teil der Natur zu sein, in uns, als auch die Weltanschauung der Moderne, die ersteres verneint. Dazu gehören eine verzerrte Wahrnehmung von Raum und Grenzen sowie ein Getrenntsein von unseren Gefühlen und Empfindungen. Ist ein Ausweg in Sicht? Ja, die Evolution des menschlichen Bewusstseins berge das Potenzial, frühere Bewusstseinsstufen, in denen wir uns als Teil der Natur erlebt haben, zu reaktivieren und drei Aspekte des Bewusstseins auf einer neuen Stufe zu integrieren: den auf die eigene Innenwelt gerichteten Anteil, den auf die lokale Mitwelt gerichteten und den globalen, der bis zu den Sternen reichen kann. Die achtsame Zuwendung zu diesen drei Aspekten könnte eine tiefere Verbundenheit mit unserem Planeten zur Folge haben. Ruf nennt dies – etwas sperrig – das atmosphärische Bewusstsein. Das Buch regt an zum Weiterdenken – aber auch zum Widerspruch. So ist Rufs Kapitalismuskritik unscharf; Machtstrukturen, die das Bewusstsein beeinflussen, werden weitgehend ausgeblendet, und die beschriebenen Erlebensmuster bedürfen einer Differenzierung. Vielleicht hätte sich der Autor mehr Zeit nehmen sollen. Ich hätte mir etwa ein klareres und anschaulicheres Inhaltsverzeichnis gewünscht. Der rote Faden, dem das Buch folgt – ausgehend vom naturwissenschaftlichen Blick auf die Atmosphäre und die Phänomene der Klimakrise setzt er die gesellschaftlichen Phänomene der Neuzeit in Beziehung zu unserem Innenleben, um sich schließlich der Erläuterung des atmosphärischen Bewusstseins zuzuwenden –, ist darin eher kryptisch formuliert. Trotz dieser Mängel ist dies ein wichtiges Buch, dem ich eine große Resonanz wünsche. Es kann Menschen, die bereits aktiv sind, Mut machen, ihren Einsatz für eine sozial-ökologische Transformation in einem größeren Zusammenhang zu sehen, sie damit entlasten und ihnen neue Impulse geben. Für andere hält es unter Umständen neue Aha-Erlebnisse bereit und aktiviert sie möglicherweise zum Handeln.
Klimapsychologie Atmosphärisches Bewusstsein als Weg aus der Klimakrise. Stefan Ruf Info3 Verlag, 2019 280 Seiten ISBN 978-3957791092 19,90 Euro