Farah Lenser porträtiert die SPD-Politikerin und Greenpeace-Deutschland-Gründerin Monika Griefahn.von Farah Lenser, erschienen in Ausgabe #7/2011
Monika Griefahn beeindruckt mich durch ihre Authentizität und Präsenz. Sie gehört zu den Menschen des öffentlichen Lebens, denen ich glaube, dass sie meinen, was sie sagen. Kein Abwägen, kein Suchen nach der politisch korrekten Aussage. Auffällig die Farbe Rot in der Wahl ihrer Kleidung und ihres Lippenstifts. Vielleicht auch ein politisches Signal?
Zum ersten Mal erlebe ich sie 1993 bei einer Podiumsdiskussion in Berlin. Da ist sie schon Umweltministerin in Niedersachsen und vertritt leidenschaftlich die Idee, dass der Begriff Abfall im wahren Wortsinn zum alten Eisen gehört. Denn eigentlich handelt es sich um Altprodukte, in denen wertvolle Rohstoffe stecken. Ressourcenvernichtung auf der einen und die Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung auf der anderen Seite sind für sie Fehlentwicklungen, die durch Dezentralisierung der Märkte in jedem Bereich verhindern werden könnten: »Nudeln dürfen nicht aus Italien nach Russland transportiert, sondern müssen dort hergestellt werden.« Für sie beginnt jede Nachhaltigkeit lokal, denn Umwelt und Kultur sind nicht voneinander zu trennen: Kultur, und damit auch der Umgang mit Natur, entsteht an einem konkreten Ort in einer dazu gehörenden Landschaft und mit Menschen, die dort verwurzelt sind. Auch der Widerstand gegen unerträgliche Umstände, soziale, ökonomische und ökologische, beginnt immer vor Ort. Das erfährt sie Ende der 70er Jahre bei ihrer Arbeit in einer Bürgerinitiative in Hamburg, wo sich die Anwohner dagegen wehren, dass neu angesiedelte Chemieunternehmen Gewässer verseuchen und die Luft verpesten. Mit Verbündeten gründet Monika Griefahn 1980 Greenpeace Deutschland, wo sie auch ihren zukünftigen Mann Michael Braungart kennenlernt. Als Chemiker kann er nachweisen, aus welchen Fabriken Giftstoffe in die Flüsse geleitet werden. Wenn – wie in Hamburg – gerade auch internationale Firmen für die Umweltverschmutzung verantwortlich sind, muss sich der Widerstand dagegen auch international aufstellen. Vier Jahre später wird Monika Griefahn als erste Frau in den Vorstand von Greenpeace International gewählt und als Umweltaktivistin über Deutschland hinaus bekannt: »Sie war die Königin von Greenpeace«, wird ihr Mann Michael Braungart später zitiert. Prompt rief Gerhard Schröder 1990 vor den Landtagswahlen in Niedersachsen bei ihr an, ob sie als Umweltministerin zur Verfügung stünde. Sie war parteilos und hatte bis dahin nicht daran gedacht, in die Politik zu gehen. Sie nahm die Herausforderung an und stürzte sich in den Wahlkampf. »Ich dachte, das ist ein guter Weg, mal sehen, was man da umsetzen kann.« Sie besuchte die Umweltinitiativen in Niedersachsen und hörte genau hin, was die Leute dort zu sagen hatten. »Sicher haben wir auch deshalb die Wahlen gewonnen. Menschen wollen gehört werden.« Diese Einstellung wird auch weiterhin ihren Politikstil prägen, denn ohne engagierte Bürger können Politiker keine demokratisch legitimierte Politik machen. Sie glaubt an Dialog und an runde Tische, an denen politische Kontrahenten durch gegenseitige Zugeständnisse einen tragfähigen Kompromiss aushandeln. »So ist ja auch der Atomausstieg zustande gekommen. Natürlich war das für die radikalen Atomkraftgegner nicht akzeptabel, aber für die Befürworter war es ein Drama, schon 2020 auszusteigen. Es hat von beiden Seiten etwas gefordert, zu einem Ergebnis zu kommen. Das ist doch der Weg, den wir gehen müssen.«
Zurück? Nein, alles wieder von vorne! Nach den Massenprotesten in Gorleben gegen den Ausstieg aus dem Atomausstieg Ende letzten Jahres treffen wir uns zum Gespräch in einem Lokal in Berlin. Kaum sitzen wir, klingelt schon ihr Handy. »Das war mein Sohn«, sagt sie, »er ist auch in Gorleben.« Sie selbst war bei der großen Demo am Samstag dabei, dort habe sie auch ihre älteste Tochter getroffen. Die Kinder sind wie ihre Eltern für Umweltprobleme sensibilisiert: Ihr erstgeborener Sohn Jonas studiert Entsorgungstechnik, nachdem er in Südafrika erlebt hat, dass die Menschen dort kein sauberes Wasser haben. Ihre Tochter Nora studiert Umweltwissenschaften und ist wie ihre Mutter auch kirchlich engagiert, allerdings in der katholischen Kirche. »Da haben wir einen Kompromiss geschlossen«, erzählt sie mir lachend, »die Religion haben sie vom Vater, dafür tragen die drei Kinder meinen Namen.« Ihre beiden Töchter Nora und Stella wurden während ihrer Amtsperiode als Umweltministerin geboren, und Jonas war damals auch noch ein Kleinkind. In dieser Zeit hat ihr Mann sie stark bei der Betreuung der Kinder unterstützt. »Er war ein wichtiger Ansprechpartner für unsere Kinder. Den Glauben, etwas erreichen zu können, wenn man es richtig anpackt, haben sie vielleicht besonders von ihm mitbekommen.« Wie sie es denn empfinde, dass jetzt auch die nächste Generation nach dem schon beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie erneut dafür demonstrieren muss, will ich wissen. »Ich war sehr betrübt«, gesteht sie mir, »ich dachte, wir hätten diese Schlachten alle schon geschlagen. Vor 30 Jahren haben wir in Gorleben am Bohrloch 1004 die Republik Freies Wendland gegründet. Wie heute waren damals viele Jugendliche dabei, aber auch Ältere, Frauen mit Kindern und sogar Männer mit Schlips und Kragen. Die Medien vermittelten es nur so, als sei das eine linke chaotische Truppe gewesen. Aber es war immer ein Querschnitt der Bevölkerung, sogar eher eine im klassischen Sinn konservativ geprägte Gruppe. Wenn ich zum Beispiel an Whyl denke, das waren die Bauern und Bäuerinnen vor Ort, die sich wehrten.« In Stuttgart, wo sich eine neue Demokratiebewegung zu Wort meldet, sieht sie das gleiche Phänomen: »Da wollen Bürger ihre Zukunft mitgestalten!« Jenseits von Wahlen und Facebook echte lebendige Kommunikationsformen zu entwickeln, ist für sie heute der drängendste soziale Innovationsbedarf. Für junge Leute, die die Welt verändern wollen, hält sie es aber auch für zwingend, den Weg in die aktive Politik zu gehen: »Dinge werden über Gesetze entschieden, über Verordnungen, auch in der Europäischen Union, die inzwischen 80 Prozent aller Gesetze im Umweltbereich bestimmt. Bürgerengagement ist nur die eine Seite der Medaille, es braucht auch Politiker, die sich einer Sache annehmen und diese umsetzen.
Die Welt verändern »Ich wurde Bundestagsabgeordnete, weil ich – wie schon früher bei Greenpeace – die Welt verändern will«, sagt sie, und ich frage sie, worin dieser starke Impuls begründet ist. »Das war ganz einfach«, sagt sie. »Ich komme aus dem Ruhrgebiet und habe als Kind unter Asthma gelitten. Da war es naheliegend, irgendwohin zu gehen, wo die Luft nicht so schlecht ist.« Das war für sie damals die Hansestadt Hamburg mit ihrer Nähe zum Meer. Sie studierte dort in den 70er Jahren Soziologie und musste miterleben, wie durch die Ansiedlung großer Chemiefabriken quasi ein »zweites Ruhrgebiet« an der Elbe entstand. Wegrennen hilft nicht, erkannte sie und begann ihr Engagement bei Greenpeace. Den Ansatz, Dinge durch spektakuläre gewaltfreie Aktionen sichtbar zu machen, findet sie immer noch wichtig. Als die ersten Greenpeace-Aktivisten sich mit einem Schiff auf den Weg nach Alaska machten, um die Atomtests auf den Aleuten-Inseln zu verhindern, waren unter ihnen religiös motivierte Quaker, die sagten: »Lasst uns Zeugnis ablegen!« Daraus entstand die Verbindung der Friedens- mit der Umweltbewegung: »Let us not only make peace but Greenpeace!« Das Engagement aus religiösen Motiven ist ihr nicht fremd, sie selbst war von klein auf in der Kirche engagiert. Die Schöpfung bewahren, laute der Auftrag an die Menschen, nicht, sich die Erde untertan zu machen. Noch heute amtiert sie im Präsidium des evangelischen Kirchentags, wo sie auch Referenten vorschlägt, die sie aus ihrer Vorstandstätigkeit beim Right Livelihood Award, dem sogenannten Alternativen Nobelpreis, kennt. Die Motivation der Preisträger komme oft aus einer spirituellen Quelle, wie beim Preisträger Erwin Kräutler, einem katholischen Bischof, der sich im Sinn der Befreiungstheologie seit Jahrzehnten für die Belange der Ureinwohner Brasiliens einsetzt. Trotz wiederholter Morddrohungen unterstützt er seine Gemeinde in ihrem Widerstand gegen einen geplanten Staudamm. Dieser wäre der drittgrößte weltweit, sein Bau hätte katastrophale ökologische wie kulturelle und soziale Folgen. Kultur und damit auch spirituelle Erfahrungen sind nicht nur bei indigenen Völkern eng mit der Natur verbunden. In Interviews mit 25 Menschen aus 13 Ländern hat Monika Griefahn untersucht, wie sich der jeweilige kulturelle Kontext auf Umweltbewusstsein und Umweltpolitik auswirkt. Da bekennt zum Beispiel auch Michael Succow, letzter Umweltminister der DDR und ebenfalls Träger des alternativen Nobelpreises, dass er die Kraft für sein Engagement aus seiner engen Verwurzelung mit der Natur bezieht.
Vorbild Natur Als Projektleiterin des Berliner Cradle-to-Cradle-Festivals will Monika Griefahn das von ihrem Mann entwickelte Prinzip »von der Wiege zur Wiege« – statt »von der Wiege zur Bahre« – für ein breites Publikum erlebbar machen. Hier stellen Firmen Produkte vor, die so gestaltet sind, dass keine Abfallstoffe mehr anfallen. Nach Gebrauch und Abnutzung können alle verwendeten Stoffe in biologische oder technische Kreisläufe zurückgeführt werden. »Die Natur macht es uns vor: Der Kirschbaum hat verschwenderisch viele, schöne Blüten, da gibt es kein Verzichten und Sparen. Doch wenn diese zu Boden fallen, werden sie zu Humus und zu Lebensraum für andere Lebewesen. Alles geht wieder in den Naturkreislauf ein. Wir Menschen produzieren als einzige Wesen auf dieser Erde Müll, der nicht nur niemandem mehr nützt, sondern sogar für viele Jahrtausende lebensgefährlich bleibt«, erklärt sie. Biologische und kulturelle Diversität sind für Monika Griefahn nicht zu trennen. Das bezieht sich eben auch auf die Gestaltung von Produkten. »Windmühlen in Äthiopien können nicht aussehen wie Windanlagen in Schweden. Eine agrarkulturelle Gesellschaft, in der viel frisches Gemüse verzehrt wird und somit der anfallende Abfall zu 80 Prozent kompostierbar ist, braucht keine Müllverbrennungsanlage.« Doch es geht ihr nicht nur um technische Lösungen; das reiche nicht aus, denn die Umsetzung erfolgt durch Menschen. »Wenn wir jetzt einem Ingenieur die Aufgabe geben, bis 2030 die Energieversorgung dezentral und ohne Öl, Gas und Kohle zu organisieren, würde der das hinkriegen, aber es bleibt die kommunikative Frage. Es geht eben auch um die Veränderung von gesellschaftlichen Prozessen.« Der Bewusstseinswandel, der aus der Erkenntnis heraus entsteht, uns mit aller Konsequenz als Teil der Natur zu begreifen, ist für Monika Griefahn die nächste kulturelle Revolution: »Der Mensch wäre dann nicht mehr Parasit auf dieser Erde, sondern als spirituell und kulturell kreatives Wesen intelligenter Teil dieser Natur. Wir würden unsere natürlichen Ressourcen dann vielleicht eher als unsere Verwandten ansehen, so wie die Ureinwohner vieler Kulturen.« Auch wir müssten an jedem Ort zu »Eingeborenen« werden, um den (r)evolutionären Gedanken, unsere Produktions- und Lebensweise hin zu sich regenerierenden Kreisläufen zu ändern, umzusetzen: kein Recycling, das ein paar wenige Wertstoffe aus den Abfallstoffen rettet, sondern ein Produktdesign, das sich in Nährstoffkreisläufen verschwendet. Wie sollte das möglich sein? Denken wir an den Kirschbaum.