Nicht weit vom Bergpark in Kassel liegen etwa 20 Hütten neben einem kleinen Schwimmbassin und einer Quelle im Wald. Erbaut wurden sie im Zug der Reformbewegung 1928 von Menschen aus allen Kreisen der Bevölkerung: Mitarbeiter der örtlichen Maschinenbaufirma Henschel, Geschäftsleute, Polizisten und Professorinnen, und dies im Rahmen eines Vereins, der bereits 1891 vom Naturheilarzt Heinrich Goßmann gegründet worden war. Gut 2300 Menschen, die sich in der engen und schmutzigen Stadt nach einem einfachen, gesunden Leben sehnten, schlossen sich darin zusammen. 1943 wurden viele der Anlagen des Vereins zerstört, aber das Luftbad blieb erhalten und ist nun ein seltenes Zeugnis der Naturheilbewegung in Deutschland. Der Verein »Luftbad Waldwiese e. V.« lädt regelmäßig zu kulturellen Veranstaltungen ein, wie zum Beispiel zum Tag der offenen Hütten, zu Märchenvorführungen in den Hütten oder zu Kräuter- und Vogelkundewanderungen. Eine dieser Hütten gehört der Gemeinschaft, in der ich lebe. Wann immer ich auf die Waldwiese komme, spüre ich eine große Ruhe und Einfachheit. Die Tage in unserer Hütte sind von ganz wesentlichen Dingen bestimmt. Ich hole Wasser an der Quelle, hacke Holz für die Küchenhexe, koche Pilzrisotto und beobachte Vögel. Mein Tun ist in Resonanz mit dem Licht, dem Wetter und der Jahreszeit. Wird es dunkel, bleibt ohne Elektrizität nicht mehr viel, als bei Kerzenenschein zusammenzusitzen, Geschichten zu erzählen oder im Winter unter vielen Wolldecken zu lesen. Manchmal gehe ich früh schlafen, um mich vom Posaunen der Vögel früh wecken zu lassen. Die Gespräche auf den Bänken vor den Hütten sind ganz andere, als ich sie in einem Café in der Stadt zwischen penetranter Werbung, Geflimmer und Autolärm führen würde. Auf der Wiese liegen die Eltern, während ihre Kinder drumherum Käfer entdecken oder Staudämme bauen. Ich merke, was Menschen vor allem brauchen: weniger. Leider holen wir in den Hütten nur kurz Luft, um uns wieder ins Getümmel unserer Alltage zu stürzen. Das Luftbad Waldwiese ist wie eine Insel, die wir von der sich immer mehr beschleunigenden und entfremdeten Kultur schützen – und von der wir hoffentlich Wesentliches mit in unseren Alltag nehmen. Luisa Kleine