Seit zwanzig Jahren gibt es in Nessonas, einem Dorf in der Nähe der griechischen Stadt Larisa, die Aiphoria-Farm. Nach ihren Anfängen als Experiment für regenerative Landwirtschaft stand viele Jahre das Bauen mit der lokalen Ressource Lehm im Vordergrund. Als der Sohn des Gründers die Farm dann vor einem guten Jahr übernahm, erweiterte er sie zu einem umfassenden Permakulturprojekt. Das Stück Land in einem Tal wird von den Bergen ringsum umarmt und ist von endlosen Mandelbaum-Plantagen umgeben. Wenn die Bäume im März in voller Blüte stehen, sind sie wunderschön, doch der Boden unter ihnen ist kahl und rissig. Der freundliche Nachbarsbauer schaut gelegentlich mit skeptischem Interesse in unserem jungen Waldgarten vorbei. Während wir barfuß mulchen und Kompost umsetzen, fährt er mit Ganzkörperschutzanzug zwischen seinen Baumreihen, hinter ihm eine Pestizidwolke. Er schützt sich wie ein Astronaut gegen eine lebensfeindliche Welt – unsere Farm hingegen will Leben in seinen vielfältigen, wildwüchsigen Formen fördern. Sie ist ein Refugium für alte Gemüsesorten, Blattläuse und Marienkäfer, vergiftete Straßenhunde, für traditionelles Wissen über naturnahes Bauen sowie für Menschen aus nah und fern, die hier in Workshops, im Rahmen eines Praktikums oder als Freiwillige arbeiten, lernen und leben. Als Stadtkind habe ich nie zuvor so lange Zeit am Stück draußen verbracht wie während der zwei Monaten, die ich hier als Freiwillige verbrachte. Dem Wechsel der Jahreszeiten habe ich früher kaum Beachtung geschenkt. Nun erlebte ich, wie jede Woche andere Insekten, Blüten und Früchte entstanden und wieder verschwanden. In Kontrast zu diesem radikalen Bezogensein auf das Lokale kamen mit Corona weltumspannende Verschwörungstheorien in unsere Gesprächsrunden. Dass es so viel zu tun gibt, hat zur Folge, dass wenig Zeit für Austausch bleibt und Entscheidungen eher von den Erfahreneren getroffen werden. »Produktive« Arbeit wird hoch geschätzt – Sorgearbeit ringt um Anerkennung. Auch dieses Projekt ist eben in die patriarchale Kultur und ins kapitalistische Wirtschaftssystem eingebettet und muss für Gemüsekisten und Workshops Geld nehmen, obwohl die Menschen hier lieber tauschlogikfrei vom Land und aus dem lokalen Netzwerk leben würden. Luisa Hohlfeld