Der Jurist und ehemalige Gefängnisdirektor Thomas Galli widmet sich in seinem neuen Buch »Weggesperrt – Warum Gefängnisse niemandem nützen« der Kritik an heutigen Freiheitsstrafen. Anhand vieler Studien und Beispielfälle klärt Galli umfangreich über das deutsche Straf- und Rechtssystem auf und geht auf kulturelle Vorstellungen von Strafe, Rache und Vergeltung ein.
Strafvollzugsanstalten kommen gemäß Galli ihrer Aufgabe, in der Gesellschaft für Sicher-heit und Gerechtigkeit zu sorgen, nicht nach. Oft wird jedoch ein Bild der Sicherheit und Gerechtigkeit durch Gefängnisse vermittelt. Hohe Rückfallquoten – bei Raub und Erpressung liegen sie beispielsweise bei über 50 Prozent – verdeutlichen die Fehlleistung des Strafvollzugs. Wie nachhaltige Sicherheit und Sorge für Gerechtigkeit aussehen könnte, beschreibt Thomas Galli anhand eines Reformvorschlags für Gefängnisse. Dreh- und Angelpunkt ist hierbei die Resozialisierung. Die Verwehrung des Menschenrechts auf Freiheit bei einer Haftstrafe wird durch die sogenannte Resozialisierung legitimiert, durch die Häftlinge nach ihrer Freiheitsstrafe wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden sollen. Galli bezeichnet die Resozialisierung als die größte Lüge der Kriminalpolitik, da sie faktisch kaum bis gar nicht stattfinde. Wie sollen Häftlinge auf engstem Raum unter ihresgleichen lernen, sich besser oder sozia-ler zu verhalten? Anhand eines Beispielfalls erläutert der Autor ausführlich, wie eine Haftstrafe in einem offenerem Kontext aussehen könnte. Ein zu lebenslanger Haftstrafe verurteilter Straftäter würde in eine dorfähnliche Wohngemeinschaft verwiesen. Die Straftäterinnen in diesem Dorf würden nicht intensiv und kostenaufwändig wie in Gefängnissen therapiert, sondern nur nach Bedarf. Es bestünde die Möglichkeit, durch Arbeit mehr Geld zu verdienen, und Besuche dürften jederzeit empfangen werden.
Zusätzlich würde Verbrechensopfern jeweils eine Sozialarbeiterin als feste Ansprechpartnerin zugewiesen und nach Bedarf auch therapeutische Behandlung ermöglicht. Vielen Opfern fehle, so Galli, nicht nur eine Möglichkeit zur Aufarbeitung, sondern auch zur Konfrontation. Der Ansatz, der solche Begegnungen befürwortet und erforscht, nennt sich »Restorative Justice«. Auch wird die gesellschaftliche Verantwortung in Bezug auf Straftaten immer wieder ungenügend berücksichtigt. Denn oft mussten Straftäterinnen eine grausame oder schwere Kindheit durchleben. An dieser Stelle sollte sich der Staat verantwortlich fühlen, indem er sich künftig mehr um das Wohl von Kindern und Familien bemüht und in juristischen Urteilen den sozialen Kontext mit in den Blick nimmt. Eine vernünftige, nachhaltige und gerechte Justiz setze letztlich auch ein Umdenken jeder einzelnen Bürgerin voraus. So sollte man sich laut Galli hin und wieder klarmachen, dass wir den meisten Häftlingen sehr ähnlich sind. Hätten wir Ähnliches erlebt, hätten wir eventuell sehr ähnlich gehandelt. Zudem bedürfe es einer Reflexion der allgemeinen Vorstellung von Strafe und Vergeltung. Rache in Form von Gefängnisstrafe könne zwar kurzzeitig erfüllend wirken, aber nicht unbedingt langfristig für Gerechtigkeit und Zufriedenheit sorgen.
Weggesperrt Warum Gefängnisse niemandem nützen. Thomas Galli Edition Körber, 2020 304 Seiten ISBN 978-3896842794 18,00 Euro