Der Permakulturdesigner, Solawi- und Klimaaktivist, Baumpfleger sowie autodidaktische Historiker und Soziologe Florian Hurtig hat mit »Am Anfang war die Esskastanie« einen der interessantesten Artikel zum Waldgarten-Themenheft (Oya Ausgabe 51) beigetragen. Seither fieberte ich dem Erscheinen seines crowdfinanzierten Buchs »Paradise lost – Vom Ende der Vielfalt und dem Siegeszug der Monokultur« entgegen, hoffte ich doch, mehr zu erfahren unter anderem von den frühesten landwirtschaftlichen Formen überhaupt: den polykulturellen Agroforstsystemen, wie es sie in Japan bereits vor rund 13 000 Jahren gab.
Das Buch zu den verlorenen -Paradiesen ist ein Geschichtsbuch, das es in sich hat. Ein Glücksfall, ein wirklich großer Wurf, auch wenn die Geschichte, die hier äußerst kenntnisreich erzählt wird, – der Untertitel verrät es bereits – eine ziemlich traurige ist. Dennoch: Ich mag diese Bücher, die erklären, wie wir als Menschheit an den gegenwärtigen Punkt des scheinbar ausweglosen Schlamassels gekommen sind. (»Das Ende der Megamaschine« lautet etwa der hoffnungsvollere Titel eines anderen solchen Werks.) Denn werden wir nicht immer wieder dieselben Fehler begehen, wenn wir die Vergangenheit nicht kennen?
Mir scheint, dass Florian Hurtig genau der Richtige war, um diese hochpolitische Analyse der Landwirtschaftsgeschichte zu verfassen, denn in seiner Person vereinen sich offenbar die dafür nötigen Kenntnisse. So ist zu merken, dass hier ein landwirtschaftlicher Praktiker schreibt, aber auch ein versierter Klima-, Baum- und Öko-Aktivist, Geschichtsforscher und Soziologe. Die vielleicht wichtigste Anforderung, die ich an ein Geschichtsbuch stelle, ist eine Perspektive »von unten« – und Hurtig nimmt konsequent die Sicht der kleinen Leute ein: die Menschen, welche – wenn man sie nur in Ruhe machen lässt – ihre Subsistenz und ihre Gemeinschaften meist ökologisch und sozial vielfältig, auf Prinzipien des Gemeinschaffens beruhend und eher herrschaftsfrei gestalten.
Von James C. Scott wusste ich bereits, warum das Aufkommen der ersten (Stadt-) Staaten überall auf der Welt auf das Engste mit dem massiven Anbau von Getreide verknüpft war (siehe Rezension in Oya Ausgabe 55). Florian Hurtig zeigt nun eindrucksvoll, wie sich das Schema des nicht-erdverbundenen, patriarchalen, dominanten, in jeder Hinsicht mono-kulturellen Denkens über die Jahrtausende so gut wie überall Bahn gebrochen hat – und heute kurz davor steht, sich zu Tode zu siegen. Viele wissenswerte historische Details und landwirtschaftliche Zusammenhänge waren mir dabei bislang nicht bekannt – etwa was die europäischen Bauernaufstände im ausgehenden Mittelalter, die Ausprägung des kolonialen Terrors in bestimmten Erdteilen oder die Orientierung der frühen Sowjetunion an den landwirtschaftlich-technischen »Errungenschaften« der USA betrifft …
Das Wichtigste ist natürlich die Alternative, die im Verlauf dieser entsetzlichen Ver(bl)ödungs-Geschichte immer wieder aufblitzt: Wir sind, so der Autor, in der Lage, die verlorenen Paradiesgärten aufs Neue anzulegen; fruchtbringende Gehölze können uns dabei wunderbare Dienste leisten!
Florian Hurtig sitzt bereits an einem nächsten Buch, welches das Potenzial, das in einer Hinwendung zu baumbasierten Poly-kulturen liegt, noch intensiver untersucht. So bin ich wiederum gespannt – hoffe aber, dass dieses Werk nicht ganz so anspruchsvoll zu lesen sein wird wie sein Vorgänger, denn »Paradise Lost« hat mich sprachlich und intellektuell immer wieder überfordert.
Paradise Lost Vom Ende der Vielfalt und dem Siegeszug der Monokultur. Florian Hurtig oekom, 2020 432 Seiten ISBN 978-3962382032 28,00 Euro