Dürre ist nicht nur ein Wetterphänomen.
Eine Erkundung arider Innen- und Außenräume.von Tabea Heiligenstädt, erschienen in Ausgabe #66/2021
Mein Blick in die Ferne bleibt an den grauen, toten Fichten hängen, die ganze Landstriche Nordhessens durchziehen. Wie ist es wohl, mit Dürre zu leben? Wie fühlt sich Dürre an, wenn wir zulassen, dass sie da ist? Meist denke ich dabei an sich ausbreitende Sand- und Salzwüsten – an die Aralkum, die Taklamakan, die Lop Nor. Und doch finde ich die großen Dürren vor meiner Haustür – Betondürre, nackte, unbewachsene Böden, durch Wind und Wasser abgetragen, und seit ein paar Jahren das Fichtensterben. Karge Hügelkuppen begleiten nun das Landschaftsbild und erinnern an Hitze und Durst. Die Bilder hinterlassen in mir eine kleine Panik, eine Unruhe, eine Stimme, die sagt: Sie ist doch schon da! Und etwas daran tut gut! Ein greifbares sichtbares Bild. Die Dürre ist nähergekommen. Während die Welt redet, denkt, philosophiert, redet, beschließt, denkt … macht Regen sich in vielen Teilen der Welt durch Abwesenheit, in anderen durch Überfluss bemerkbar. In den Nachrichten heißt es, in der Landwirtschaft gebe es starke Ernteverluste. Würden wir davon sprechen, dass unsere Lebensgrundlage bedroht ist, würden wir ein Stück weit anerkennen, dass wir vom Land, vom Wasser abhängig sind, würden wir uns ein Stück weit berühren lassen von dem, was ist, was schmerzt. Aber die Bauern tragen ja das Risiko, denn es ist ihr Eigentum, also auch ihr Problem.
Elinor Ostrom sagte, es helfe, die Abhängigkeit von Ressourcen zu spüren, um sie -lebensdienlich zu bewirtschaften, sprich: zu wissen, dass bei einer schlechten Ernte die Teller leerer, einfacher, karger sind. Wie kann Abhängigkeit wahrnehmbar werden, wenn es möglich ist, nie Regen auf der Haut spüren zu müssen, weil wir uns in Autos, Zügen und Häusern verschanzen? Wie kann das Essenzielle deutlich werden, wenn an zu heißen Tagen die Klimaanlage im Auto läuft? Wenn ich nie echte Knappheit erfahren habe? Wenn das Land nicht zu mir gehört und durch einige wenige Maschinen bewirtschaftet wird? Ich gehöre auch nicht zum Land, also ist es auch nicht meine Verantwortung, also lasse ich mich nicht berühren vom Sterben der Landschaft – und gehe weiter.
Wo sind die Trauernden, wo die Klagenden, die auch spüren, dass die Fichten Ausdruck von grassierendem Tod sind? Die kollektive Taubheit – also das Nicht-fühlen-können, das Schon-gefühlt-haben oder das Nicht-ständig-fühlen-müssen – bringt mich in die Wut, und ich komme dem Schmerz einen Schritt näher.
Während ich durch die Straßen der Innenstadt laufe und die Menschen mit Einkaufstüten sehe, wird es still in mir. Trocken liegt mein Inneres. Mein Körper fühlt sich eiskalt und brennend heiß zugleich an, doch ich fühle nichts. Verstummt ist mein Inneres.
Draußen höre ich Autorauschen und Fernsehstimmen. Es laufen die Nachrichten über Waldsterben, Flut, Hitze, Dürre. Ich höre das, doch ich fühle nichts.
Wo gibt es noch Orte der Stille, um bei mir anzukommen ohne Ablenkung vom Außen? Ich setze mich in den Garten. Endlich Stille. Doch es hört sich eher nach Totenstille an. Keine surrende Mücke, keine brummende Biene, kein singender Vogel.
Ich lausche in mich hinein und entdecke wachsende Dürre. Sie ist trocken. Sie ist weit.
Gedankenblitze tauchen auf, von Menschen, die sterben, -hungern, verdursten – still, heimlich unbemerkt. Der Sandsturm umhüllt sie.
Ich lebe noch. Ich lebe noch. Doch ich vertrockne von innen.
Ich laufe durch die Straßen. Ich sehe Menschen, doch ich spüre sie nicht. Ich erzähle ihnen von der toten Stille, von der sich nahenden Dürre. Sie hören zu, aber sie wollen jetzt weitergehen. Es erreicht sie nicht. Sie fühlen es nicht.
Ich laufe durch die Straßen. Angestrengt suche ich nach Farben. Graue Dürre umgibt mich. Heiße Luft steigt von den Straßen auf. Ich laufe von einem Baumschatten zum nächsten. Unter den kleinen Oasen sammeln sich Menschentrauben. Menschen, die ähnlich wie ich einen Moment Grün und Kühle genießen. Einen Moment der Lebendigkeit. Einander wahrnehmen. Kontakt. Für einen Augenblick entsteht in mir ein leichter Sommerregen.
Drumherum Ödnis. Den Lärm ertragen. Die Hitze ertragen. Den Beton ertragen. Die Sinnlosigkeit ertragen. Die Taubheit ertragen. Mich an die Dürre anpassen, anstatt zu schreien. Der Schrei vertrocknet in meiner Kehle. Immer anstrengender wird das Laufen. Lohnt es sich noch, nach Wasser zu suchen? Ich höre auf zu suchen, und lausche in mich hinein. Dort höre ich das Wasser rauschen.
Oya im Ohr Diesen Beitrag gibt es auch als Hörstück.