In ihrer Arbeit macht die Biologin und Künstlerin Florianne Koechlin das Wesen von Pflanzen und Böden sinnlich erfahrbar. Ihre Malerei ist in dieser Ausgabe zu bewundern. Grit Fröhlich sprach mit ihr.von Grit Fröhlich, Florianne Koechlin, erschienen in Ausgabe #67/2022
Grit Fröhlich: Schön, dass du dir Zeit für ein Gespräch nimmst, Florianne! In den letzten Jahren wurde der Zusammenhang zwischen Klima und Artenvielfalt immer deutlicher: Steigende Temperaturen führen nicht nur zum Artensterben, sondern der Erhalt von Artenvielfalt hat auch positive Rückwirkungen aufs Klima. Als Biologin hast du dich viel mit den Beziehungsnetzen zwischen Lebewesen beschäftigt. Wo sind dir Zusammenhänge begegnet, die eine Rückkopplung mit dem Klima haben und der Erhitzung entgegenwirken? Florianne Koechlin: Natürlich überall. Schon ganz banal, wenn ich in den Wald gehe: Im heißen Sommer ist es im Wald sofort kühl. Das können wir alle beobachten. Pflanzen sind die Sonnenenergieverwender. Mit Hilfe der Sonnenenergie holen sie CO2 aus der Atmosphäre und speichern den Kohlenstoff im Boden, in den Wurzeln. Überall, wo eine Pflanzenvielfalt wächst, wird CO2 aus dem Kreislauf geholt. Ein sehr eindrucksvolles, völlig anderes Beispiel habe ich in Indien erlebt, wo im Bundesstaat Andhra Pradesh die weltweit größte Umstellung auf Biolandwirtschaft läuft. Das fand ich wirklich unglaublich: Ein ganzer Staat, sechs Millionen bäuerliche Familien sollen bis 2031 ganz auf Bio umstellen – diese leuchtenden, glücklichen Gesichter dank der florierenden essbaren Gärten, die in ganz kurzer Zeit entstanden und die auch das Klima abkühlen. Wir waren auf einem kleinen Landwirtschaftsbetrieb, der ein essbarer Wald war. Der Vater des jungen Bauern Sabarinathan hatte früher auf diesem Landstück eine Kokosplantage gehabt: eine Ernte pro Jahr, zehn Mal gespritzt, trockener Boden. Und jetzt kamen wir aus der Hitze – es waren 36 Grad – in diesen Waldgarten mit 27 verschiedenen Kulturpflanzen. Sie haben ihn auf fünf Etagen angelegt und hatten bereits nach einem Jahr viel Ertrag. Es war kühl, der Boden hat sich wieder aufgebaut, null Pestizide, null Abhängigkeit – und immer etwas zu ernten! In diesem Stil ließe sich überall auf der Welt enorm viel machen.
In deinem neuen Buch kommen auch Kühe als Beispiel vor, die ja sonst eher als »Klimakiller« diffamiert werden. In den Alpen kann die Kuh eine aktive Klimaschützerin sein. Weltweit ist ein großer Teil der Landwirtschaftsfläche Grasland, dort, wo sonst nichts wächst, weil es beispielsweise zu steinig oder zu steil ist – in der Schweiz trifft das auf zwei Drittel der landwirtschaftlichen Fläche zu. Wir Menschen können ja kein Gras essen, können es nicht verdauen. Wir brauchen die Wiederkäuer, um wertvolles Gras in wertvolle Proteine wie Fleisch und Milch zu verwandeln. Das ist ein Kreislauf in den Alpen: Die Kühe, die Schafe, die Geißen halten die Alpweiden offen, etwa frei von der Grünerle, die Lachgas – ein Treibhausgas – abgibt und die Artenvielfalt zerstört. Die Tiere fressen Gras, trampeln es nieder und düngen die Weide. Das führt zu einer großen Artenvielfalt, und die Kühe geben uns Nahrung. Im nächsten Jahr wachsen Gras, viele Blumen und Kräuter – der Kreislauf schließt sich. Wenn Kühe Gras und Heu anstatt Kraftfutter aus Brasilien fressen, dann können sie wirklich aktiv das Klima schützen, denn in Grasweiden wird über die Wurzeln sehr viel Kohlenstoff im Boden gespeichert. Die Voraussetzung dafür ist gutes Weidemanagement.
Woran liegt es, dass Kühe auf Weiden die pflanzliche Artenvielfalt erhöhen? Die Pflanzen und die Tiere haben sich über die Jahrmillionen aneinander angepasst, das ist Koevolution: Das Gras »will« gefressen werden, damit es danach wieder gut wächst.
Ist Kuhhaltung also gar nicht schädlich fürs Klima? Das Pro-blem ist, dass es zu viele, falsch gehaltene Kühe gibt, auch in Deutschland. Bei diesen riesigen Kuhherden weiß man nicht, wohin mit der Gülle, und sie werden mit Kraftfutter gefüttert – diese Herden sind echte Klimakiller, denn bei der Verdauung furzen und rülpsen die Tiere Methan. Aber wenn es weniger sind, und wenn sie gut gehalten werden, dann sieht es ganz anders aus. Eine große internationale Studie hat gezeigt, dass beweidete Alpwiesen deutlich vielfältiger bewachsen als unbeweidete sind. Viele Hochweiden werden heute jedoch nicht mehr beweidet, weil es zu aufwändig ist, und das ist für die Artenvielfalt und letztlich für das Klima nicht gut.
Kann das Wissen über die Verwobenheit von Pflanzen, Tieren, Mikroben und Pilzen angesichts der Klimakrise eine Veränderung bewirken? Dieses Wissen finde ich für die Zukunft einer Landwirtschaft, die das Land nicht ausbeutet und das Klima schützt, ungeheuer wichtig. Es geht dabei immer um das ganze System, nie um Einzellösungen – etwa um die Entfernung von CO2 –, denn die funktionieren meist nicht. So liegt zum Beispiel in Mischkulturen ein großes Potenzial. Mischkulturen, die früher gang und gäbe waren, auf neuem Niveau zu erforschen, würde enorm viel bringen – für die Landwirtschaft, für die Ernährungssicherheit, fürs Klima, für die Insekten und fürs Zusammenleben aller. Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass ein Acker immer riesig und monoton sei. Mit der Natur zu arbeiten, anstatt gegen sie, das ist ein Schlüssel!
Es wird immer deutlicher, wie verwoben wir Menschen mit anderen Wesen sind: Nicht nur dass unsere Lebensweise zum Aussterben anderer Arten führt, sondern dass diese Lebewesen auch unsere Verbündeten sein könnten beim Erhalt lebens-fördernder Bedingungen auf der Erde. Der Philosoph Báyò -Akómoláfé hält das Vorurteil, dass Menschen die einzigen seien, die Handlungsmacht (agency) hätten, für ein Grundproblem der weißen Moderne. Was könnten wir von Pflanzen, Böden, Ökosystemen lernen, wenn wir sie nicht als »unbelebte Objekte«, sondern als »gleichwürdig Handelnde« erkennen würden? Ja, das ist ein ganz anderes Gefühl dem Leben gegenüber: Wenn ich im Wald bin und weiß, dass die Bäume über mir flüstern und wispern, mit Duftstoffen kommunizieren und Nachrichten teilen; wenn ich weiß, dass unter mir Nährstoffe zwischen Baumwurzeln und Pilzen ausgetauscht werden und der Baum unendlich viele weitere Beziehungen unterhält – nicht nur zu Bäumen, sondern auch zu anderen Pflanzen, Tieren, Insekten, Bienen, Myzelen … Dann bin ich mittendrin in einem ungeheuren Beziehungsgewebe und lasse mich darauf ein – und dieses Gefühl verändert wirklich etwas in mir. Ich glaube, hier können naturwissenschaftliche Erkenntnisse viel beitragen, weil sie belegen, dass Pflanzen wirklich kommunizieren, sich vernetzen, sich aufeinander beziehen, dass sie lernen und sich erinnern. Früher – und vielfach noch heute – galten Pflanzen in den Naturwissenschaften als Objekte, die zwar Sauerstoff produzieren, ansonsten aber bloß ihr genetisches Programm abspulen und nicht von sich aus aktiv werden. Jetzt wird hingegen entdeckt, dass sie viel mehr sind. Das dreht das gängige Pflanzenbild vom Kopf auf die Füße!
Wie können wir den Anthropozentrismus hinter uns lassen, also die Vorstellung, dass Menschen das Maß aller Dinge seien und über andere Arten als Objekte verfügen könnten? Darüber haben wir in der Schweiz lange diskutiert. Es ist das einzige Land, das in der Verfassung die »Würde der Kreatur« verankert hat. Pflanzen sind »Kreaturen«, also haben sie eine Würde. Nur was heißt das konkret? Ich war damals in der Eidgenössischen Ethikkommission, wo wir das vier Jahre lang diskutiert haben. Die Hauptfrage ist: Haben Pflanzen eigene Interessen? Wenn das bejaht wird, dann ergibt »Würde« wirklich Sinn. Eine weitere wichtige Frage ist: Sind Pflanzen empfindungsfähig, fühlen sie Schmerz? Viele sagen, nur Wesen, die Schmerz oder Lust empfinden, müssen geachtet werden. Einen Stein oder meine Uhr kann ich fallen lassen, da passiert nichts. Wir wissen schlichtweg nicht, ob Pflanzen Schmerzen empfinden oder nicht. Allerdings wurden bei Pflanzen einige Hormone festgestellt, die beim menschlichen Schmerzempfinden eine Rolle spielen – es gibt also Indizien, aber keine Indizienkette. Es ist genauso spekulativ zu sagen, Pflanzen hätten Schmerzen, wie zu sagen, sie hätten keine. Wir wissen es nicht. Also gilt das Vorsorgeprinzip: Im Zweifelsfall müssen wir davon ausgehen, dass Pflanzen wahrnehmen und empfinden könnten. Es ist zwar herausfordernd, mit Nichtwissen umzugehen, aber immens wichtig. Wir sind das nicht gewohnt – das zeigt sich derzeit auch am Umgang mit dem Coronavirus.
In deinen Büchern habe ich viel neues Wissen über Pflanzen gefunden. Mein Eindruck war aber auch, dass wir darüber hinaus auch eine andere Wahrnehmung von Pflanzen und der ganzen belebten Welt brauchen. Du sprachst eben davon, sich auf die Pflanzen »einzulassen«. Wir brauchen auch den emotionalen und intuitiven Zugang, also das magische Denken – nicht nur das analytische Denken. Für mich ergänzt sich beides. Mir scheint, gerade weil Pflanzen keine »Bioautomaten« sind, sondern kommunizieren, sich aktiv vernetzen und zwischen Selbst und Nicht-Selbst unterscheiden können, werden wir sie nie nur mit den Mitteln der Biologie, Chemie und Physik ganz beschreiben können. Das sind wichtige Zugänge zu Pflanzen, keine Frage, aber es gibt noch andere! Ein wesentlicher Zugang ist für mich die Malerei – für andere mag es der »grüne Daumen« sein. Ich habe mich lange mit dem kanadischen Anthropologen Jeremy Narby ausgetauscht, der im Amazonas zu erkunden versuchte, woher schamanisch Initiierte eigentlich ihr Wissen über Pflanzen haben. Die Antwort dieser Menschen war: »Wir haben unser Wissen nicht überliefert bekommen, sondern von den Pflanzen selbst.« Die schamanische Ausbildung ist lange und hart, inklusive rituell eingebundener Erfahrungen mit psychoaktiven Pflanzensubstanzen wie Ayahuasca. Narby meinte, diese Menschen müssten dabei lernen, zu »defokussieren«, also auf ihre Intuition zu hören und sich ganz auf eine Pflanze einzulassen – dann könnten sie sich dieser durch Gesänge annähern. Es gibt also verschiedene Zugänge zu Pflanzen, verschiedene Wissenswege. Der naturwissenschaftliche ist wichtig für mich, aber die anderen sind es ebenso.
Dein aktuelles Buch heißt »Von Böden, die klingen, und Pflanzen, die tanzen«. Darin scheint auf, dass wir auch andere Wahrnehmungskanäle brauchen, dass beispielsweise Boden nicht nur in der Laboranalyse untersucht, sondern auch als klingendes Ensemble erlebt werden kann. Wie klingt denn ein Boden? Der schweizerische Umweltwissenschaftler und Musiker Marcus Maeder verstärkt Bodentöne mittels einer Sonde um das Tausendfache. Das habe ich auch in meinem Garten ausprobiert. Ich bekam ein Kästchen von der Größe eines kleinen Koffers, und steckte die Nadel in den Boden. Bei meinen sechs Tomatenpflanzen habe ich gar nichts gehört, aber nebenan im Gestrüpp, da war ein Rascheln und Rauschen, ein Knacken und Klicken zu hören – das waren Tausende Bodenlebewesen: Käfer, Würmer, Insekten ... Ich konnte nichts voneinander unterscheiden, aber Marcus Maeder sagte, ganz einfach zu erkennen seien die Ameisen, denn die seien so »wunderfitzig«, also neugierig: Sie knabbern an der Sonde, und dann knackt es. Aus dieser riesigen Kakofonie könne er inzwischen auch die Kriechgeräusche von Regenwürmern heraushören – diese wunderbare Welt direkt unter meinen Füßen war mir völlig unbekannt! Das Projekt zieht derzeit zusammen mit der NGO »Biovision« durch die Schweiz. Es richtet sich auch an Kinder und alle, die akustisch erleben wollen, wie dieser vermeintlich tote Boden unter unseren Füßen plötzlich zu leben beginnt. Der nächste Schritt ist nun, herauszufinden, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen der Lautstärke und Vielfalt an Geräuschen und der Fruchtbarkeit des Bodens gibt.
Wenn Böden klingen, wie tanzen dann Pflanzen? Ich habe mit der Kunsthistorikerin Ines Lindner gesprochen, die den kolorierten Schwarzweißfilm »Das Blumenwunder« von Max Reichmann aus dem Jahr 1926 ausgegraben hat: Wunderbare Zeitrafferaufnahmen von ganz verschiedenen Pflanzen vor künstlichem Hintergrund, die von einem Orchester und Ballett begleitet wurden. Seinerzeit lief dieser Film sechs Wochen lang in einem ausverkauften Berliner Kino mit 1200 Plätzen! Die Leute kamen zum Teil weinend heraus, weil sie zum ersten Mal erfahren hatten, dass Pflanzen Lebewesen sind, die sich bewegen, aber einen völlig anderen Zeithorizont als wir haben. Es hat auch mich tief berührt, zu sehen, dass Pflanzen wirklich tanzen, sich mit Eleganz und Rhythmus bewegen. Wie die Kletterpflanze die Stange hochklettert und sucht und versucht und plötzlich abknickt, weil sie keinen Halt findet, also: lernt.
Du sagtest, ein wichtiger Zugang zu Lebewesen sei für dich nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Malerei. Wie ergänzen sich diese beiden Sichtweisen? Kannst du beschreiben, wie sich Impulse, Erlebnisse, Wahrnehmungen anfühlen, die sich dann in deinen Bildern niederschlagen? Ein Maler meinte einmal: Wenn er das, was er male, mit Worten beschreiben könnte, dann wäre es keine Malerei. Ich zeichne und male einfach wahnsinnig gern und bin oft mit dem Skizzenblock in den Bergen unterwegs. Es fühlt sich wunderbar an, vor meinem Feigenbaum im Garten zu sitzen, zu skizzieren und das dann im Atelier in Malerei umzusetzen. Ein Freund hat mich nach meinem Buch »PflanzenPalaver« gefragt, was mich denn den Pflanzen am nächsten bringt – da war mir sofort klar: die Malerei! Ich bin begeistert von den Forschungsprojekten, die ich besuche, aber wenn ich den Pflanzen, Kühen oder wem auch immer wirklich nahekommen will, dann tue ich das über die Malerei. Dabei geht es bei mir vor allem darum, das Gehirn zu defokussieren, also dem Gefühl und der Intuition zu folgen. Wahrzunehmen, mich einzulassen, zu schauen, was es mit mir macht, nicht mit dem Kopf, sondern mit allen Sinnen in Beziehung zu treten.
Ja, deshalb passen deine Bilder auch so gut in diese Ausgabe, in der es um artenübergreifende Verwandtschaftsbeziehungen geht. Hab herzlichen Dank für das intensive Gespräch! //
Böden hören und Pflanzen tanzen sehen
Florianne Koechlin: Von Böden, die klingen, und Pflanzen, die tanzen. Neue Streifzüge durch wissenschaftliches Unterholz, Lenos, 2021.
Florianne Koechlin (73) lebt in Basel in der Schweiz. Die Biologin und Chemikerin forscht zu Pflanzenkommunikation. Als Gentechnikkritikerin gründete und berät sie zahlreiche Institutionen.
Grit Fröhlich (47) studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaft. Sie arbeitet als Autorin und Übersetzerin, ist Oya-Hütende und lebt mit ihrer Familie in Berlin.