Titelthema

Geld: Selbermachen!

von Norbert Rost, erschienen in Ausgabe #8/2011
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Geld regiert die Welt« heißt es. Demokratiekompatibel sind diese vier Wörter nicht: Der Souverän sind nicht wir, die Menschen, sondern es, das Finanzmittel.
Als Mitteleuropa noch fürstlich regiert wurde, war Geld das, was der Fürst in Ausübung seines Münzrechts prägte. Mit der Gründung der Nationalstaaten wurde Geldschöpfung staatliches Monopol. Heute geht die Zeit der Nationalstaaten zuende: Die deutsche Bundesbank ist Teil des europäischen Systems der Zentralbanken. Das Metall ist dem Geld spätestens zu Zeiten des Vietnamkriegs verlorengegangen. Von dem damals noch ans Gold gebundenen Dollar brauchte die US-Regierung so große Mengen zur Kriegsführung, dass die Goldbindung ab 1971 nicht mehr beibehalten werden konnte. Heute steht auf den Banknoten nicht mehr, dass man für sie ein Pfund Silber oder Gold eintauschen kann. Heute steht dort: »In God we Trust« – wir bauen auf Gott. Modernes Geld ist heute digital, mehr ein Produkt der doppelten Buchführung als des Bergbaus.
Und nun kommen sie daher: Alle möglichen Leute, die dem Geld die Macht entziehen wollen. Sie wollen Geld selbermachen, das anderen Spielregeln folgt. Ihre Motivation ist unterschiedlich. Die einen sehen die Ablösung des Geldes vom Metall als Ursache für Inflation und Währungskrisen, wollen deshalb Geld wieder ans Gold binden. Die anderen haben Silvio Gesells Geldkritik (zu seinen Zeiten gab es allerdings noch den Goldstandard) verinnerlicht und wollen Geld flüssiger gestalten nach dem Motto: Wer es dem Wirtschaftskreislauf nicht durch Konsum oder Kreditvergabe zur Verfügung stellt, soll durch eine Gebühr, die den Kontostand abschmelzen lässt, daran erinnert werden. Wieder andere übertragen das Prinzip des Wettbewerbs auf das Geld und hinterfragen, ob das staatliche Geldmonopol noch zeitgemäß ist. Gemeinsam ist diesen und anderen Gruppierungen, dass ihr Vertrauen ins bestehende Geldsystem schwindet, und sie sich nach Alternativen umschauen. »In money we don’t trust« – auf Geld bauen wir nicht.
Der letzte Schritt der Dezentralisation wird die Privatisierung der ›Mutter aller Monopole‹ sein, der nationalen Währungen«, schreibt der Zukunftsforscher John Naisbitt. »Die Zukunft des Geldes ist komplementär zu betrachten, der freien Wahl und dem freien Wettbewerb unterworfen.«

Wie funktioniert eine »eurogedeckte« Regionalwährung?
Am vitalsten zeigte sich in den vergangenen Jahren die Regio­geld-Bewegung. Sie ist nicht nur Experimentierfeld, in dem unterschiedliche Geldkonstruktionen ausprobiert werden, sie hantiert auch mit konkret umsetzbaren Werkzeugen und ist zugleich »Werkzeugmacher«. Der Ansatz, Geld für das regionale Umfeld zu gestalten, hat einen großen Vorteil: Er liegt im eigenen Einflussbereich. Statt sich in Appellen und Forderungen an die Politik zu erschöpfen, die weder zuhört noch handelt, konzentriert man sich auf das im wahrsten Sinn des Worts Naheliegende und knüpft an der Keimzelle dessen an, woher Politik überhaupt kommt: aus der Polis. Als Christian Gelleri 2003 den Chiemgauer mit sechs Wirtschaftsschülerinnen an der Priener Waldorfschule startete, war das ein Signal und Vorbild für eine Vielzahl anderer Initiativen. Wer mit Chiemgauern einkaufen wollte, tauschte sie bei Ausgabestellen gegen Euro ein. Wer Chiemgauer einnahm und sie nicht weitergeben konnte oder wollte, konnte den umgekehrten Weg gehen und sie gegen einen Abschlag von 5 Prozent wieder zurücktauschen. Diese Koppelung des Regiogelds an den Euro ist auch heute noch Grundlage des Chiemgauer Modells und wird als »Eurodeckung« bezeichnet. Etwa 600 Unternehmen, 3000 Privatpersonen und mehr als 200 Vereine sind Teil des Systems und bezahlen und verrechnen untereinander in Chiemgauer. Die integrierte Vereinsförderung spülte den Initiativen der Region 170 000 Regios in die Kasse, die Unternehmen machten 2010 geschätzte fünf Millionen Umsatz mit dem System. Neue Geschäftsverbindungen werden geknüpft, das Bewusstsein für Regionalität und die Besonderheiten neuer Geldformen wächst. Die Chiemgauer-Macher entwickeln ihr System ständig weiter. Inzwischen ist die Trägergenossenschaft ein zertifizierter Mikrofinanzierer und vergibt auf diesem Weg zinsfreie Regiogeld-Kredite zur Investition für lokale Unternehmen. Und die meisten Chiemgauer sind inzwischen elektronisch unterwegs, auf »mutierten Bankkonten« bei Sparkasse, Volksbank oder auch der Triodos-Nachhaltigkeitsbank. Bezahlt wird mit Karte am Terminal an der Kasse, Unternehmen überweisen per Formular oder Online-Banking – die Handhabung des Geldtransfers unterscheidet sich kaum noch von dem, was alle kennen.

Und was ist eine »leistungsgedeckte« Währung?
Im Jahr 2004 war es der Urstromtaler in Sachsen-Anhalt. Er ist nicht mit Euro hinterlegt. Ein Rücktausch der Scheine in Euro ist nicht möglich, weil es gar keinen Hintausch gibt. Wie aber kommt das Geld in die Welt? Womit ist es »gedeckt«? Der Initiator Frank Jansky hatte ein klares Bild vor Augen: Der Wert des Geldes ist das, was man dafür kaufen kann. Gold in einen Tresor zu legen, um dann Papierscheine auszugeben, die einen Anspruch auf dieses Gold dokumentieren, ergibt ja nur Sinn, wenn jemand das zugrundeliegende Metall wieder abholen will. Genau das soll beim Regiogeld aber nicht passieren, es soll ja in der Region bleiben. Fließt es zur ausgebenden Stelle zurück, statt von Wirtschaftsakteur zu Wirtschaftsakteur, ist sein Zweck unterbrochen. Der Urstromtaler begründete deshalb die »Leistungsdeckung« und bildet eine Art »Vertragsgeld«. Die Idee: Wenn eine Gruppe von Menschen sich per Vertrag gegenseitig garantieren, etwas als Zahlungsmittel für eigene Waren und Leistungen zu akzeptieren, so benötigt solch ein Geld keine explizite Deckung. Hinter dem Geld steht die Fähigkeit, etwas zu leisten.
Gelddeckung und Geldschöpfung hängen stark zusammen. Beim Chiemgauer kommt das Geld durch Verkauf gegen Euro in die Welt, beim leistungsgedeckten Ansatz durch Vertragsunterzeichnung und entsprechenden »Kontokorrentkredit«. Das heißt: Wer sich vertraglich zur Teilnahme an dem System bindet und das Regiogeld von anderen Teilnehmern akzeptiert, darf Regiogeld an seine Kunden ausgeben oder damit seine Lieferanten bezahlen, obwohl er es noch nicht verdient hat: Beim Einkauf geht das Konto des Käufers ins Minus und das Verkäufer-Konto ins Plus, eine klassische »Überweisung«. Was danach auf dem einen Konto als negativer Betrag den Kredit anzeigt, hebt das andere Konto spiegelbildlich ins Plus. Dieses Plus wird dann »Geld« genannt. Auf solche Weise entstandenes Geld braucht zu seiner »Schöpfung« keinen Euro. Der »Kreditrahmen«, den jedes Unternehmen bekommt, wenn es neu bei einer solchen Währung mitmacht, ist »gedeckt« durch seine Fähigkeit, dieses Geld auch wieder zu verdienen. Deshalb ist der erste Schritt des Unternehmens, das Geld seinerseits in Umlauf zu bringen, indem es seine Lieferanten bezahlt oder Gutscheine an seine Kunden verteilt, die dann im gesamten Netzwerk einlösbar sind.
Ob Euro- oder Leistungsdeckung, beide Modelle verfolgen das gleiche Ziel: die Kaufkraft in der Region halten, regionale Wirtschaftskontakte herstellen und intensivieren, den regionalen Selbstversorgungsgrad erhöhen – und natürlich: neue Geldformen ausprobieren und entwickeln. Das Argument der kurzen Transportwege bekommt mit der Bedrohung durch das globale Ölfördermaximum (Peak Oil) künftig eine starke Relevanz, weshalb die Idee lokaler Währungen auch ins Transition-Town-Umfeld einzog.
Aber wird mit Regiogeld »alles gut«? Werden die Mechanismen wie Wachstumszwang, Arm-Reich-Spaltung und Umweltzerstörung sich damit erübrigen? Werden nun alle zu bewusst einkaufenden Verbrauchern und ökologisch produzierenden Unternehmerinnen und Unternehmern? Verhindert Regiogeld die Übernutzung lokaler Ressourcen? Ein Ja auf diese Fragen wäre eine schöne, einfache Antwort, die sich in so manchem Theoriegebäude auch gut macht. Bislang liegen zur Beurteilung der Wirkung von Regiogeld keine ausreichenden Daten vor; diese Geldsysteme brauchen noch viel mehr Mitmacherinnen und Mitmacher. Wir wissen deshalb nicht wirklich, wie hoch das Zinsniveau in solchen Systemen wäre. Wir wissen auch nicht, wie sich reife Regiogeld-Systeme hinsichtlich ihrer Wachstumsdynamiken verhalten, kein einziges Regiogeld-Projekt hat bislang jene kritische Größe erreicht, die das den Systemen innewohnende Potenzial zur Eigendynamik freisetzt. Wir betreten hier Neuland. Geld-Spiel­regeln werden neu definiert, Diskussionen und das Denken werden angeregt, und regionalen Produkten wird eine ganz besondere Bühne gebaut. Nicht auszuschließen ist, dass in diesem evolutionären Prozess die Spezies »Regiogeld« auch wieder ausstirbt – sie unterliegt einem ständigen Lern- und Weiterentwicklungsprozess.

Die Demokratisierung des Geldes
Durch die Digitalisierung des Geldes ist es nur eine Frage der Zeit, bis andere auf den Zug neuer Währungssysteme aufspringen. eBay hat Paypal gekauft, Facebook denkt ebenso wie Google über ein systeminternes Verrechnungssystem nach, die Betreiber des Payback-Rabattkartensystems Loyalty Partner könnten ihre »Punkte« künftig umlauffähig machen. Dass der US-Dollar beschädigt ist, weiß jeder, der sich die Verschuldungszahlen der USA anschaut. Die Causa Griechenland zeigte uns, wie anfällig auch der Euro ist. Naisbitts Vorhersage über das Aufkommen privater Währungen lässt sich deshalb leicht bestätigen. Genau wie MP3-Dateien ist das moderne Geld digital und grenzüberschreitend, die Technik bestimmt die Verbreitungsregeln, nicht die nationale Politik. In der Gefahr, dass wieder einmal große Konzerne sich den Fortschritt unter den Nagel reißen, liegt zugleich auch Potenzial. Denn die digitale Welt, das zeigt eben das Beispiel der MP3-Tauschbörsen, steht ebenso den demokratischeren Strukturen offen. Es ist kein Wunder, dass die meisten Regiogeld-Initiativen als Vereine oder Genossenschaften organisiert sind. Der Genossenschaftsgedanke, die Mitglieder breit an Entscheidungen zu beteiligen, ist beim Geld essenziell. Denn Geld ist auch ein Machtmittel. Wer darüber entscheidet, dass jemand als kreditwürdig gilt oder nicht, hat einen entscheidenden Hebel in der Hand.
In der Zeit des demokratisierten Geldes bestimmen die Geldnutzer die Geldregeln. Über die Höhe einer Geldhaltegebühr, die Deckung, die Vertragsausgestaltung, die angestrebte geografische Ausdehnung, den Namen des Zahlungsmittels oder auch über Ausschlusskriterien entscheidet in einer demokratischen Geldwelt der teilnehmende Mensch. Ein Wettbewerb der Währungen, bei dem wir ausprobieren können, was funktioniert und was nicht, wäre die Folge. Wahrscheinlich wird letztlich die Praxis zeigen, welches Geld wirklich funktioniert, denn nur auf der Theorieebene durchdachte Modelle reichen nicht aus. Was 1932 in Wörgl noch galt, als der Bürgermeister der österreichischen Kleinstadt mit selbstgemachten »Arbeitswertscheinen« einen lokalen Aufschwung mitten in der Wirtschaftskrise zustandebrachte, muss im globalisierten digitalen Zeitalter längst nicht mehr gelten. Was liegt also näher, als allen zu sagen: Zeigt uns, dass euer Modell das beste ist! Es steht dann jedem frei, zu wählen, auszuprobieren und jene Gelder zu nutzen, die ihm am besten passen – als freier Mensch.

In Zukunft anders
Vergleiche hinken. Dennoch: Wer das Fundament eines Gebäudes dreieckig anlegt, wird darauf kein viereckiges Haus bauen können. Das Fundament prägt die darauf aufgebaute Struktur. Geld ist das Fundament des heutigen ökonomischen Lebens, seine Regeln beeinflussen jegliche wirtschaftliche Aktivitäten. Auf der heutigen Konstruktion des Geldes gründet die Finanzwirtschaft, und sie kultiviert das aus diesem Fundament resultierende Prinzip, dass jener viel kriegt, der schon viel hat – den Sparzins –, und jener noch zahlen muss, der sich etwas borgt – den Kreditzins. Ein selbstverstärkender Ansatz, der als Dämpfung nur das Wachstum der Wirtschaft als Ganzer oder die schmerzhafte Aufrechnung von überbordenden Vermögen und Schulden per »Crash«, Währungsreform oder Schuldenschnitt kennt. Wie soll ein global verträglicher ökologischer Fußabdruck erreicht werden, wenn die monetären Spielregeln das Permanentwachstum als unverhandelbare Rahmenbedingung voraussetzen?
Die Häuser, die auf neuartigen Geld-Fundamenten entstehen, könnten einer ganz anderen, bislang unbekannten Architektur folgen. Regionales Geld lässt Regionalökonomien entstehen, Bildungswährungen erwecken neue Formen von Akademien zum Leben, energiegedeckte Währungen könnten den Weg ins post­atomare Zeitalter ebnen.
All das ist nicht im Handstreich getan, sondern eine große Herausforderung. In meinem eigenen Umfeld bereitet ein engagiertes Team seit 2003 die Gründung einer komplementären Währung für den Raum Dresden vor, den »Elbtalber«. Wir wollten uns Zeit lassen, um etwas Solides zu entwickeln, etwas, das dieser Region entspricht. Inzwischen wird an einer Internet-Software namens RegionalAtlas programmiert. Dort werden zukünftige Orte, wo man mit Elbtaler bezahlen kann, auf einer Landkarte zu finden sein. Zugleich dient das System zur Kontoführung. Wir wollen regionalen Unternehmen auch eine Plattform bieten, auf der sie sich zeigen können. Eine Genossenschaft als wirtschaftlicher Träger soll helfen, die städtische Anonymität aufzulösen, mit der wir in der Großstadt durchaus zu kämpfen haben. Erst danach sollen die nächsten Schritte kommen: Regiogeld-Scheine und eine regionale Produktemarke für die Gegend von Dresden.
Ich bin überzeugt, dass eine größere Vielfalt an Währungen zu einer größeren Vielfalt an ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen führt. Der Selbstzweck muss dem Geld genommen werden, es soll ein Werkzeug werden, das wir formen, dessen passgenauer Einsatz in unserer Macht liegt – und das wir dort weglassen, wo es auch ohne geht. 


Norbert Rost (35), Wirtschaftsinformatiker, lebt mit ­seiner Partnerin und zwei Kindern in Dresden und betreibt die beiden informativen Internetseiten www.peak-oil.com und
 
www.regionalentwicklung.de.


Lust auf regionale Geld-Bewegung?
www.monneta.org
www.regiogeld.de
Die Elbtalter-Genossenschaft sucht noch Mitmacher, Unternehmen ebenso wie Privatpersonen: www.elbtaler.de
Literatur:
• Christian Eigner, Christian Krotscheck u. a.: Zukunft: Regionalwirtschaft! Ein Plädoyer. Studienverlag, 2009 

• John Naisbitt: Mind Set! Wir wir die Zukunft entschlüsseln. Hanser, 2007 
• Fritz Schwarz: Das Experiment von Wörgl. Ein Weg aus der Wirtschaftskrise. Synergia, 2007

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