Auf Spurensuche nach Natürlichkeit (Buchbesprechung)
von Jochen Schilk, erschienen in Ausgabe #70/2022
An seiner jahrelangen »Spurensuche nach Natürlichkeit« lässt der Wildnispädagoge und Therapeut Bastian Barucker die Leserinnen und Leser teilhaben. Unter Natürlichkeit versteht der Autor dabei eine Art von Konstante nicht zuletzt im sozialen Leben von uns Menschen. Während 99 Prozent der Menschheitsgeschichte waren kleine Gruppen von Wildbeutern in der Natur unterwegs – eine Erfahrung, die unsere Körper und Psychen noch immer erwarten, wenn wir hier auf Erden inkarnieren! Barucker selbst hat diese Art ursprüngliches (Clan-)Leben ganz praktisch unter anderem im Rahmen eines einjährigen Non-Stop-Outdoor-Jahrestrainings im nordamerikanischen Wald erforscht; er hat sich zum Wildnispädagogen ausbilden lassen und einige Zeit bei Menschen im südwestlichen Afrika verbracht, die sich die ursprüngliche Wildbeuter-Lebensweise erhalten konnten. In seinem Buch weiß er ausführlich über den so wesentlichen Wert von Verbundenheit zu den Mitmenschen (Stichwort Gemeinschaftsfähigkeit), zur mehr-als-menschlichen Welt sowie nicht zuletzt zu sich selbst – zum eigenen Innenleben – zu erzählen. Wie lassen sich diese essenziellen Bande in der heutigen Welt stärken? Barucker sieht sich bei seiner Lösungssuche natürlich insbesondere bei indigenen Gesellschaften um. Etwas weiter führt zudem sein interessantes Kapitel über die Ursprünge der demokratischen Werte im Großen Gesetz des Friedens des nordamerikanischen Irokesenbunds.
Der zweite große Strang von des Autors Erkenntnisweg betrifft die nicht weniger abenteuerliche Spurensuche im Inneren. Ihn trieb die Frage um, warum bestimmte psychische Muster ihn quasi automatisch zu Haltungen und Handlungen brachten, die er eigentlich als nicht lebensdienlich empfand. Wo hatten diese Muster ihren Ursprung – und warum war es so schmerzhaft, dort hinzusehen? Nachdem das Wildnis-Clan-Experiment erste Antworten geliefert hatte, vertiefte Barucker seine persönlichen Forschungen in der »Gefühls- und Körperarbeit nach Willi Maurer«. Dabei stieß er auf die Erkenntnis, dass der – wenn man so will – Naturzustand individueller und kollektiver psychischer Gesundheit mindestens das Ermöglichen einer emotional und physisch sicheren, artgerechten Kindheit voraussetzt. Andernfalls würden massive und massenhafte frühkindliche Traumatisierungen stets dazu führen, dass wir die zutiefst gewaltsamen, zerstörerischen, frustrierenden Strukturen patriarchaler Gesellschaften aufs Neue errichten.
Das im Münchener massel-Verlag erschienene Buch ist grafisch sehr ansprechend gestaltet. Außerdem hat des Autors Botschaft Gewicht. Doch umso größer ist der Kontrast, was das leider ziemlich mangelhafte Textlektorat betrifft. Meinen diesbezüglichen Ansprüchen konnte allein das Kapitel mit dem Nachdruck eines Oya-Interviews, das ich mit Bastian Barucker über sein Wildnis-Jahr in Wisconsin für die Ausgabe 5 führte, gerecht werden.
Auf Spurensuche nach Natürlichkeit Vom Leben in der Wildnis und der Reise zu sich selbst. Bastian Barucker massel, 2022 224 Seiten ISBN 978-3948576042 19,50 Euro