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Lumbung erzählen (Buchbesprechung)

von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #71/2022
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»Lumbung erzählen« heißt ein schmaler Begleitband zur »documenta fifteen«. Die alle fünf Jahre in Kassel stattfindende Kunstausstellung wurde erstmals nicht von ein oder zwei kuratierenden Personen verantwortet, sondern von dem indonesischen Kollektiv ruangrupa (siehe Seite 17 und 69).

Auch dieser Erzählband wurde von einem Kollektiv namens -»harriet c. brown« -herausgegeben. In dessen »Wir sind-in-Gemeinschaft« betitelter Ein-führung wird die Entstehung des Buchs ausführlich beschrieben, ist dieses doch selbst ein Beispiel für Gemeinschaffen: Das in sieben Sprachen übersetzte Buch ist zeitgleich bei acht unabhängigen Verlagen aus vier Kontinenten in je eigener Ausstattung erschienen. Die Beiträge wurden von den Schreibenden in ihrer eigenen Sprache verfasst und dann jeweils in die anderen Sprachen übersetzt. In allen Beiträgen geht es um am jeweiligen Ort heimische Begriffe, die dem indonesichen Begriff lumbung ähneln – ein Grundton der documenta fifteen, der sowohl eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune als auch eine Praktik gemeinschaftlichen Wirtschaftens und Arbeitens beschreibt.

Die Anthologie enthält sieben Texte, die sich essayistisch, erzählerisch, -experimentell oder mit verschiedenen Commoning-Formen befassen, benannt als lumbung (Indonesien), tequio -(Mexiko), auzolan (Baskenland), minga (Südamerika), ubuntu (südliches Afrika), gadugi (Cherokee), talkoot (Finnland), guanxi (China), fa’zaa (Arabisch) oder eben »Allmende«. Der abschließende Essay »WTF are Commons?« der Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal gibt einen persönlichen Überblick über Commons in Mitteleuropa. Darin widerlegt sie die angebliche »Tragik der Allmende« und zitiert Mitglieder des Commons-Instituts, darunter Oya-Rätin Friederike Habermann (Seite 54) und Simon Sutterlütti.

Das Buch schließt eine Lücke, denn auf der documenta selbst war das »Commoning« oder »Gemeinschaffen«, von dem wir in Oya seit 71 Ausgaben schreiben, merkwürdig abwesend. Warum nur, so fragte ich mich, wurde in der Öffentlichkeitsarbeit der documenta die historische Land-Allmende mit keinem Wort erwähnt? Warum wurden keine Bezüge zu den Forschungen Elinor Ostroms oder Silke Helfrichs hergestellt? Vielleicht sind es aber genau diese bohrenden Fragen, die ich mir als weißer europäischer documenta-Besucher stelle, die mir letztlich meine eigene eurozentristische Sichtweise vor Augen führen. Während es Menschen von vielen anderen, in der Weltökonomie randständigen Orten gewohnt sind, dass ihre Gedanken und Theorieproduktion unbeachtet bleiben, ist das für uns hierzulande eine neue Erfahrung. Neben diesem durchaus erhellenden Effekt spielt möglicherweise noch eine zweite Fremdheit hinein: Politische Diskussionen und künstlerische Diskurse finden bisweilen in zwei getrennten Universen statt.

Wie gut, dass dieser Band versucht, diese Kluft zu überwinden. »Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten« ist ein zentrales Muster des Commoning, und ganz ähnlich sehen es auch harriet c. brown: »Alle -lebenden Organismen basieren auf Vielfalt, deshalb benötigen wir Pluralität und Diversität in unseren erzählten und niedergeschriebenen Geschichten – um zu leben.«  


Lumbung erzählen
documenta fifteen.
harriet c. brown (Hrsg.)
Hatje Cantz, 2022
190 Seiten
ISBN 978-3775752862
22,00 Euro

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