Don’t move! Lebensfreude verboten.
Ist Tanzen nicht ein Menschenrecht? Wer im Iran modernen Tanz aufführt, läuft Gefahr, ins Gefängnis zu kommen. Die Performance »Don’t Move« holt iranische Tänzer durch Videoprojektionen auf die Bühne.
Kunst in der Natur kann mehr sein als beeindruckende Land-Art. Eco-Art führt Menschen und Land in kollektive, heilsame Prozesse.
Im Mai 2008 schickte mir der Landschaftskünstler Herman Prigann eine Reihe von Dokumenten zur Gründung eines »Instituts für ökologische Ästhetik«. Es sollte Teil des »Zukunftswerks Klein Jasedow« werden, dem Biotop an Projekten in unserem kleinen Ort, in dem auch Oya entsteht. Aber wenige Wochen später schrieb er, nun bliebe er doch zu Hause in Mallorca, seine Zeit sei zuende. Er war seit Jahrzenten von Hautkrebs gezeichnet, und im Dezember 2008 starb er.
In seinen letzten Jahren bestand Hermans Arbeitsfeld vor allem aus verlassenen Orten der Industriekultur. In stillgelegten Deponien, alten Zechen oder in einem baufälligen Wasserwerk ließ er Schönheit und Vielfalt entstehen, indem er Wildrosen oder Ginsterbüsche pflanzte oder Betonreste in archaisch-megalithische Monumente verwandelte. Seinen Traum, die großen ehemaligen Braunkohlegruben der Lausitz durch ein Zusammenwirken von Kunst, Wissenschaft und den Menschen vor Ort in ökologisch-ästhetisch-soziale Landschaftskörper zu verwandeln, hatte er als Konzept detailliert ausgearbeitet.
Poesie der Renaturierung
Wer sind die Künstlerinnen und Künstler im deutschsprachigen Raum, die Hermans Traum teilen und vielleicht in die Tat umsetzen? Mit dieser Frage recherchiere ich auf greenmuseum.org, dem Knotenpunkt der Eco-Art – dieser Begriff wird meist für solch transformative Landschaftskunst verwendet. Noch bevor ich dort ein deutsches Projekt finde, bleibe ich in England hängen. David Haley von der Manchester Metropolitan University schreibt auf seiner Seite so schön über die neue große Erzählung auf dem Weg in eine ökozentrische Kultur, dass ich zum Telefon greife.
Sein erstes ökologisches Kunstprojekt, erzählt David, sei die Befreiung eines unterirdisch kanalisierten Flüsschens gewesen. Es verlief unter dem Gebäude, in dem er sein Büro hatte. Seitdem ist Wasser ein wichtiger Fokus seiner Arbeit, insbesondere der Fluss Severn. Im Jahr 2001 trat er in der Stadt Shrewsbury wieder einmal mächtig über die Ufer, und die Regierung beschloss, den Fluss zu regulieren. David begann mit einer Recherche, ob die Fluten für die Menschen vor Ort eigentlich ein Problem seien. Das war gar nicht der Fall, stellte sich heraus, Trockenheit brachte viel größere Schwierigkeiten für die auf Eichenbalken gegründeten historischen Häuser. David Haley organisierte eine Ausstellung, zu der die Anwohner und die Regierungsverantwortlichen zahlreiche Beiträge leisteten. Daraus entstand das Projekt, am oberen Verlauf des Severn tausend Bäume zu pflanzen, die bei Regenfällen das Wasser binden.
Nach dem Gespräch mit David frage ich mich wieder einmal neu, was diesen Zauber von künstlerisch inspirierten Renaturierungs-Projekten ausmacht. Warum ist das mehr als eine pragmatische Naturschutz-Maßnahme? Vielleicht wird es deutlich, wenn ökologische Kunst kein Werk mehr kreiert, sondern schlicht Kulturlandschaft.
So ist es bei der Arbeit »Hemera«, benannt nach der griechischen Göttin des Tages, die der Amerikaner Paul Blanchard in Italien verwirklicht. Er setzt sich seit den 70er Jahren künstlerisch mit der Landschaft auseinander, zunächst in abstrakten, monochromen Bildern. Dann ersetzte er die konventionellen, mineralischen Farbpigmente durch die feinen Pigmente der aromatischen mediterranen Pflanzen, und von dort war es nur noch ein kleiner Schritt, mit dem Land selbst zu arbeiten. Warum blieb er nicht in den USA mit ihren für Kunst in der Natur prädestinierten wilden Landschaften, sondern ging in die Toskana? »In den achtzigtausend Jahren, die uns von den ersten Bewohnern des Mittelmeerraums trennen, haben sich die Beziehungen zwischen Mensch und Natur hier so intensiv entwickelt, dass es in dieser Gegend unmöglich ist, etwas Natürliches von seinen menschlichen Aspekten zu trennen«, antwortet mir Paul in einer E-Mail. »Der Mittelmeerraum ist ein Spiegel, der uns Menschen reflektiert, und wir sind wie unendlich viele Spiegel, die im Licht der Reflexionen auf seinen Wassern erglänzen.«
In diesem Sinn nahm Paul Blanchard im Jahr 2003 das Gespräch mit örtlichen Bauern in seiner Region Torrente Sora bei Siena auf. Es sind kleine Familienbetriebe, die um ihre wirtschaftliche Existenz ringen. Oft stellt sich für die junge Generation die Frage, ob sich der Einsatz, den Acker zu bestellen, überhaupt noch lohne. Paul Blanchard fragte, was den Bauern das Land bedeutete, fragte nach dem, was sie hier als schön empfanden. Er machte ihnen bewusst, dass sie mit ihrer traditionellen Landwirtschaft ein »öffentliches Gut« kreierten, das die südliche Toskana erst so wertvoll und berühmt macht. Das sei doch der eigentlich Wert ihrer Arbeit. Sie seien doch nicht in erster Linie Produzenten von Marktfrüchten, sondern von Landschaft. Erst hielten sie ihn für ein bisschen plemplem, aber dann konnten sie sich auf seine Vorschläge einlassen: Wie ließe sich das Land auf ökologische Weise so bewirtschaften, dass die Schönheit der Landschaft in allergrößtem Maß zum Tragen kommt? Zum Beispiel könnte man Luzerne anbauen. Wie alle Hülsenfrüchte reichert sie den Boden mit Stickstoff an. Dass ein Luzernenfeld zu einem Meer aus lila Blüten wird, spiegelt für Paul Blanchard die vulkanische Vergangenheit der örtlichen Geologie. Mit den Bauern überlegte er, wie die Felder angeordnet sein könnten, damit sich über die Jahreszeiten hinweg ein grau-braun-grün-gelb-violettes Farbenspiel entfalte. Im Jahr 2007 dokumentierte er, wie 1000 Hektar auf solche Weise bewirtschaftet wurden – und sie werden es noch heute.
Die Bauern führen hier nicht den Plan eines Designers aus. Ihr Wissen und ihre Praxis sind essenzieller Bestandteil des Projekts. Es gibt kein Honorar außer der Befriedigung, eine gute Arbeit zu machen und den kommenden Generationen ein fruchtbares Land zu hinterlassen. Kein Wunder, dass vor allem die jungen Bauern für diese Art des Wirtschaftens Feuer gefangen haben. Ihr Land zu verkaufen, steht nicht mehr zur Debatte. Paul Blanchard arbeitet daran, dass sich das Projekt über weitere Höfe hinweg ausbreitet, dass sein Team aus beratenden Künstlern, Wissenschaftlern und Landschaftsarchitekten wächst und mehr und mehr Landwirte es zu ihrer eigenen Sache machen.
Diaspora für wirksame Kunst?
Es dauert, bis ich deutschsprachige Künstlerinnen und Künstler aufgespürt habe, die etwas ähnlich Wunderbares in Bewegung setzen. Aber es gibt sie!
Zum Beispiel Insa Winkler, die seit 25 Jahren als ökologische Landschaftskünstlerin unterwegs ist. Eine ihrer Arbeiten ist das »Eichelschwein«, die künstlerische Regeneration eines Modells für die tierfreundliche Haltung von Schweinen, die wie früher mit Eicheln gefüttert werden. Insa erarbeitete mit den intelligenten Tieren soziale Gemeinschaftsspiele wie ein Eichelschweinrennen und produzierte hervorragenden Schinken.
Ich erwische sie auf dem Sprung nach Rhodos. Mit einem interdisziplinären Team des griechischen Umweltkunstprojekts Poiein kai Prattein (»Erschaffen und Handeln«) wird sie dort über die Frischwasser-Ressourcen und über die Fragen der ökologischen Entwicklung der griechischen Insel arbeiten. Nachdem ein Flussbett auf Rhodos ausschließlich zum Betonlieferant und zur Müllkippe wurde, gibt es dort keine Fische mehr. So wird es eine der Arbeiten sein, mit Kindern in einem Bodenmosaik aus Flusskieseln einen symbolischen Fischschwarm darzustellen. Kleinmaschige Fischernetze, mit denen die umgebende Ägäis leergefischt wird, ist Gestaltungsmaterial für einen gemeinschaftlichen Film über das Projekt. All das mündet in ein großes ökologisches Festival.
Da sich in Deutschland weder die Kulturministerien noch die Umweltministerien durch solche Projekte angesprochen fühlen, denkt sie über Graswurzel-Strategien nach, und hat zum Beispiel das Projekt »Route der Artenvielfalt« angeschoben: Ökologisch interessierte Gruppen oder Schulen zeichnen Karten von den Wegen und Straßen ihrer Region und dokumentieren die biologische Vielfalt entlang dieser Routen. Daraus entstehen neue Karten und Wandgemälde und, wie sie hofft, ein neues Bewusstsein für ökologische Landschaftskorridore. Außerdem gestalten sie das Straßengeflecht künstlerisch als Zeichnung einer Wurzel, so dass deutlich wird, wie sehr diese Artenvielfalt unsere Lebenswurzel ist. Das Projekt wird sie auf der Weltkonferenz der Society of Ecological Restoration in Mexiko vorstellen.
In Deutschland Wege zu finden, Kunst und Wissenschaft in praktischen Renaturierungs-Projekten zu verbinden, ist eine große Herausforderung, erklärt mir auch Georg Dietzler. Schon in den 80er Jahren arbeitete er künstlerisch zu Themen wie erneuerbaren Energien oder grüner Architektur. Bekannt sind seine Installationen mit Austernpilz-Kulturen, die kontaminierte Erde entgiften. Wie Herman Prigann hat er fertige Konzepte für eine künstlerische Verwandlung von Industriebrachen in der Schublade.
Höchste Zeit also für ein »Institut für ökologische Ästhetik« zur Förderung von Kunst, die die Welt verwandelt. Wäre das nicht ein ideales Feld für junge Künstlerinnen und Künstler? Ein Lichtblick ist, dass sich im Jahr 2007 in Deutschland das internationale Netzwerk »Cultura21« gegründet hat und hier die Fäden zukunftsweisender öko-künstlerisch-sozialer Interventionen zusammenlaufen. Einer der Initiatoren ist Sacha Kagan, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Leuphana Universität Lüneburg. Von ihm ist soeben ein Buch über »Kultur(en) der Nachhaltigkeit«, zukunftsweisende wissenschaftliche und ökophilosophische Ansätze und Eco-Art erschienen. Aber, und das ist bezeichnend: auf Englisch. Wer will es übersetzen?
Spuren zur Eco-Art
www.greenmuseum.org
www.insawinkler.de
www.dietzlerge.org
www.cultura21.net/de
Literatur:
• Heike Strelow (Hrsg.): Ökologische Ästhetik. Birkhäuser, 2004
• Sacha Kagan: Art and Sustainability: Connecting Patterns for a Culture of Complexity. transcript Verlag, 2011
Ist Tanzen nicht ein Menschenrecht? Wer im Iran modernen Tanz aufführt, läuft Gefahr, ins Gefängnis zu kommen. Die Performance »Don’t Move« holt iranische Tänzer durch Videoprojektionen auf die Bühne.
Die heute mehrheitlich praktizierte Form der industrialisierten Landwirtschaft führt über kurz oder lang in den Abgrund. Anhänger der Vision einer »Regenerativen Landwirtschaft« sind sich sicher, dass man die agrarischen Probleme mit guten Ideen in eine positiv wirksame Landbearbeitung verwandeln kann.
Geh zur Panke und schöpfe Wasser! Diese Aufforderung richtete eine Installation an die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung »Zur Nachahmung empfohlen«, die im Herbst 2010 erstmals in den Uferhallen Berlin zu sehen war.