Gesundheit

Alles nur Einbildung?

von Harald Walach, erschienen in Ausgabe #11/2011
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Bernard Lown, der wohl berühmteste Kardiologe unserer Zeit, erzählt in seinem Buch »Die Kunst des Heilens« eine wunderbare Geschichte: Bei einer seiner Visiten kam er mit seinem Stab bei einem Patienten vorbei, dessen Zustand sehr kritisch war. Sein Herz war kurz vor dem Stillstand. Ein diagnostisches Zeichen dafür war, dass das Herz in einem sehr präzisen, raschen Rhythmus schlug, das berühmte »Galopp-Herz«. Um seinen Studenten dies zu vermitteln, ohne den Patienten zu verängstigen – damals war die Kultur noch nicht so verbreitet, Patienten die Wahrheit zu sagen –, sprach er eben mit Hilfe der medizinischen Chiffre davon, dass der Patient also nun einen galoppierenden Herzschlag habe. Der Patient war offenbar so begeistert von dieser »Diagnose«, dass er sich kurzerhand selber entließ und nach Hause ging. Nachforschungen ergaben später, dass er noch einige Jahre mit seiner Herzproblematik zufrieden weiterlebte und nicht, wie von allen erwartet, innerhalb der folgenden Tage gestorben war. Offenbar hatte bei ihm die Rede vom »galoppierenden Herzen« die Assoziation ausgelöst, sein Herz sei stark und gesund wie ein Pferd, das galoppieren kann. Und entsprechend gesundete er dann im Rahmen seiner physiologischen Möglichkeiten und lebte noch erstaunlich lange.

Menschen antworten auf Zeichen
Diese kleine Anekdote erzählt uns davon, dass wir Menschen keine Automaten sind. Vielmehr sind wir zeichenverarbeitende Systeme. Wir reagieren nicht auf Ursachen, sondern antworten auf Zeichen, wie Thure von Uexküll zu sagen pflegte. In obiger Geschichte beantwortet der Patient ein Zeichen mit seiner ureigenen Bedeutung, die er der gehörten Metapher zuschreibt: »Galopp ist Pferd, Pferd ist stark, also bin auch ich stark und gesund.« Und gesundet. Medizinische Handlungen sind oftmals einfache, kausale, mechanische Ursachen, etwa, wenn der Anästhesist eine Narkose setzt und mit ziemlicher Sicherheit das Bewusstsein des Patienten entschwindet. In den meisten Fällen sind sie aber vor allem Zeichen, die wir mit Bedeutung belegen. Diese Bedeutung hängt ab von unserer Lerngeschichte, von unseren Erwartungen, von der emotionalen Lage sowie vom kulturellen Kontext, in dem sich die Zeichengebung bewegt. Und diese Bedeutung allein ist oft in der Lage, starke physiologische Effekte auszulösen, wie die Geschichte oben zeigt. Derlei Ereignisse sind außer in Anekdoten vor allem auch in klinischen Studien sichtbar, bei denen Patienten der Kontrollgruppe sogenannte Placebos erhalten. Das sind Leerpräparate oder Scheinbehandlungen, die der echten Behandlung so weit wie möglich gleichen sollen, nur die »aktive Komponente« nicht enthalten, also die Arznei oder was auch immer man dafür hält. Dadurch, dass die echten und die Leerpräparate sich täuschend ähnlich sind, wissen die Patienten und Behandler in aller Regel nicht, wer nun welche Sub­stanz bekommt. Das hat den Vorteil, dass Patienten sich etwas unvoreingenommener beob­achten und über ihr Befinden und dessen Veränderungen wirklichkeitsgetreuer berichten. Auch Ärzte oder Krankenschwestern, die an der Messung von Verbesserungen beteiligt sind, können Ergebnisse unwissentlich verfälschen. Solche Doppelblindstudien sind seit längerer Zeit methodischer Standard innerhalb der klinischen Forschung, so dass sehr viele Daten darüber angefallen sind, was in solchen Placebogruppen passiert. Man würde ja erwarten, dass in diesen Gruppen wenig oder gar keine Veränderungen geschehen, denn die Behandlungen sind ja, technisch und pharmakologisch gesehen, »unwirksam«. Dem ist aber nicht so. Im Gegenteil: In den Placebogruppen klinischer Studien geschehen zum Teil sogar erstaunliche Verbesserungen. Warum? Das ist eben deswegen der Fall, weil Menschen nicht nur auf Ursachen, also z.  B. pharmakologische Moleküle, reagieren, sondern Zeichen beantworten. Sie antworten auf den gesamten Kontext der medizinischen Behandlung: die Versorgung innerhalb der Studie, die Betreuung durch Ärztinnen, Ärzte und Krankenschwestern, das Ausfüllen von Fragebögen, die Blutentnahmen zur Diagnostik und was sonst noch zu einer Studie gehört. All das verstehen sie als Zeichen dafür, dass man sich um sie kümmert, dass ihre Krankheit vielleicht geheilt werden könnte.
Solche Studien erzeugen hohe Erwartungen, nehmen den Patienten etwas von ihrer Hoffnungslosigkeit und Angst, geben ihnen ein gewisses Gefühl von Geborgenheit und lösen damit eine Fülle von Effekten aus. Alle diese Effekte zusammengenommen führen zu Veränderungen. Oft sagt man etwas abschätzig »Placebo-Effekte« dazu. Damit meint man dann: Effekte, die nicht wirklich ernstzunehmen sind. Denn sie sind ja nicht durch eine wirklich kausale, medizinische Intervention zustandegekommen, sondern »nur« durch die Psychologie des Kontexts, in dem eine Studie stattfindet. Dahinter steht die etwas veraltete Haltung, dass nur solche Effekte wertvoll sind, die auf einfachen, gut verstandenen Pfaden, vom Therapeuten präzise dosierbar, kausale Veränderungen bewirken. Diese Denkhaltung stammt aus der Dominanz des pharmakologischen Denkmodells, das sich seit dem Aufkommen der modernen Pharmakologie in den 40er Jahren immer mehr verbreitet hat. Die Placebo-Effekte, die wir in klinischen Studien sehen, aber auch starke Therapie-Effekte von Behandlungsweisen, deren spezifische Wirksamkeit alles andere als belegt ist – nehmen wir die Homöopathie, Akupunktur, Reiki, geistiges Heilen und viele andere Verfahren der sogenannten Komplementärmedizin –, sie alle zeigen uns, dass dieses Vorurteil offenbar falsch ist und dass diese unspezifischen Effekte, die Kontexteffekte, die Erwartungseffekte, diese unschönen Placebo-Effekte also, doch von großem Gewicht sind. Denn in ihnen zeigt sich die Macht der Bedeutung. Daher wurden Placebo-Effekte von Dan Moerman auch als »therapeutische Effekte der Bedeutung einer therapeutischen Intervention« bezeichnet. Dies ist wohl die momentan beste und am weitesten akzeptierte Definition.

Der Placebo-Effekt ist (auch) ein kulturelles Phänomen
Normale, einfache klinische Studien sind nicht immer die besten Beispiele, um solche Effekte zu studieren. Wenn eine echte Therapie mit einer Placebo-Therapie verglichen wird, stellt die Placebogruppe die Kontrolle für alle möglichen Fehlerquellen dar. Der Kontext- und Bedeutungseffekt der Therapie ist dabei nur einer. Krankheiten werden vielmehr auch von selber besser oder schwanken in ihrem Verlauf. Messinstrumente sind zuweilen unpräzise und geben manchmal vor, dass eine Verbesserung vorhanden ist, wo gar keine existiert. All diese Effekte mischen sich in solchen Studien und ihren Kontrollgruppen. Daher ist es auch nicht sonderlich klug, wie früher vorgegangen wurde und auch heute noch von vielen, schlecht informierten oder unscharf denkenden Autoren vorgegangen wird, dass man einfach die Erfolgsraten in Placebogruppen mittelt und dann Aussagen tätigt wie »30 Prozent aller Patienten bessern sich unter Placebo« oder »bei Reizdarm liegt der Placebo-Effekt bei 60 Prozent«. Das stimmt zwar rechnerisch, aber faktisch ist es eben so, dass sich hinter diesen Besserungszahlen viele Effekte verbergen. Ein Beispiel: Dan Moerman hat vor vielen Jahren einmal eine Meta-Analyse, also eine quantitative Zusammenschau aller vorhandenen Studien zu Säureblockern bei der Behandlung von Magengeschwüren durchgeführt. Interessanterweise ist die Effektivität der pharmakologischen Therapie über alle Studien hinweg ziemlich homogen und liegt ungefähr bei 60 Prozent Wirksamkeit. Das zeigt: Säureblocker wirken pharmakologisch. Nicht bei allen Leuten, aber doch in der Mehrzahl der Fälle. Das Interessante ist nun aber: Die Effekte der Placebogruppen schwanken von null bis hundert Prozent. Das heißt also, in manchen Studien gab es gar keinen Effekt in der Placebogruppe. In anderen war er sogar größer als in der Verumgruppe. Ob in einer Studie also die Arznei als wirksam belegt werden konnte oder nicht, war einzig von der Größe des Effekts in der Placebogruppe abhängig. Warum schwankt dieser Effekt so immens zwischen null und hundert Prozent? Man kommt dem ein bisschen auf die Spur, wenn man die Studien nach Ländern ordnet.

Siehe da, das Magengeschwür ist weg!
Die niedrigsten Placeboreaktionsraten finden sich in Brasilien und anderen südlichen Ländern. Die allerhöchsten in Deutschland. Dort hatten es die Säureblocker schwer, überhaupt eine Überlegenheit über Placebo zu belegen; viele Studien waren hier negativ. Hingegen war es anderswo kaum ein Problem, zu zeigen, dass der Wirkstoff der Leerbehandlung überlegen ist. Vermutlich hängt dieser Effekt damit zusammen, dass Magengeschwüre durch viele Faktoren beeinflusst werden. Rauchen etwa und Kaffeetrinken sind zwei Verhaltensfaktoren, die von Bedeutung sind. Es könnte durchaus sein, dass es in Ländern wie Spanien, Brasilien oder Italien praktisch unmöglich ist, Patienten den Kaffee oder das Rauchen auszureden. In Deutschland jedoch gehört es vielerorts zum Standard, bei solchen Krankheiten beides zu verbieten oder einzuschränken. Das würde sich natürlich als Besserung in der Placebogruppe zeigen und vielleicht einen Teil dieser Schwankung begründen. Ganz kann aber dieser Nebentherapie-Effekt die Kurve nicht erklären, denn dann würden auch in der Behandlungsgruppe, in der Diät- und pharmakologische Therapieeffekte zusammenkommen, solche Schwankungen auftreten, und die sieht man ja genau nicht. Also dürften sich auch starke kulturelle Unterschiede hinter diesen Zahlen verbergen, nämlich dahingehend, wie eine solche medizinische Behandlung aufgefasst wird. Deutsche, autoritätsgläubig und stolz auf ihre moderne Medizin, reagieren vielleicht mit innerer Begeisterung auf den Vorschlag, das Magengeschwür mit einem neuen Medikament zu behandeln, mobilisieren all ihre Patientengefügigkeit, ihre Hoffnung, sind dankbar und froh – und siehe da, auch in der Placebogruppe ist das Magengeschwür weg.
Solche Folgerungen sind natürlich in zweiarmigen Studien schwierig. Es gibt aber auch »experimentelle« Studien, bei denen der Placebo-Effekt direkt untersucht wurde, oder dreiarmige Studien, bei denen nicht nur ein Placebo mit dem entsprechenden ­Verum, sondern mit einer dritten Bedingung verglichen wurde, etwa einer anderen Behandlung oder einer Nicht-Behandlung.
Ein Beispiel hierfür sind die deutschen Akupunkturstudien, die in den 90er Jahren von den Krankenkassen angestoßen wurden. Sie wollten ihren Versicherten Akupunktur anbieten, mussten aber, so die Auflage der Aufsichtsbehörde, die Wirksamkeit zuvor in placebokontrollierten Studien nachweisen. Man entwickelte also Versuchsreihen, bei denen echte Akupunktur mit einer Scheinakupunktur, und beides mit dem Besten, was die deutsche Medizin zu bieten hatte, verglichen wurde. Dies bei Rückenschmerzen, Kniearthrose und zur Migränephrophylaxe. Die Scheinakupunktur wurde dabei so konzipiert, dass sich eine Reihe von Experten darauf einigte, welche Körperregionen garantiert keine Akupunkturpunkte enthielten. Diese Scheinpunkte wurden dann ganz flach genadelt. Aber, und das ist das Entscheidende: Den Patienten wurde vorher gesagt, dass einfach zwei verschiedene Formen von Akupunktur miteinander verglichen würden, sie wussten nichts von einer Scheinakupunktur. Das heißt: Patienten, die im Losverfahren einer der beiden Akupunkturgruppen zugeteilt wurden, glaubten, dass sie auf jeden Fall Akupunktur erhalten würden. Wenn sie in die konventionell medizinische Behandlung geschickt wurden, wussten sie: Pech gehabt, jetzt kriegst du die normale Behandlung. Das Ergebnis war verblüffend: In keiner der drei Studien war Akupunktur besser als Scheinakupunktur. In zwei der Studien waren beide, Scheinakupunktur und echte Akupunktur, doppelt so gut wie eine konventionelle Behandlung mit dem Besten, was die deutsche Medizin zu bieten hatte. In der dritten waren sie alle drei gleich gut. Das lässt nun offenbar den Schluss zu, dass die Erwartung der Patienten und vielleicht die Freude darüber, das richtige Los gezogen zu haben, auch in der Placebogruppe alle medizinischen Effekte der konventionellen Behandlung weit hinter sich lassen kann.

Stimmt tatsächlich: Starker Glaube versetzt Berge
Wie wichtig die Erwartung und der Glaube sind, das haben wir in unserer eigenen Fernheilstudie gesehen. Dort hatten wir Patienten mit chronischem Müdigkeitssyndrom in vier Gruppen aufgeteilt und sie dann von Fernheilern behandeln lassen, ohne dass die Patienten je Kontakt mit diesen Heilern hatten. In einer Gruppe wurden sie sofort behandelt und auch darüber informiert. In der zweiten Gruppe wurden sie ebenfalls sofort behandelt, aber nicht darüber informiert. Die Patienten wussten also nicht, ob eine Behandlung stattfand oder nicht; sie waren »verblindet«. Die dritte Gruppe wurde auch im Unklaren gelassen, sie wurde aber nicht behandelt, sondern mussten sechs Monate auf die Behandlung warten. Und in der vierten Gruppe mussten sie ebenfalls sechs Monate auf die Behandlung warten, wurden aber über diese Situation informiert. Am Ende zeigte sich: Die Gruppe, die wusste, dass sie nicht behandelt wurde, also die echte Kontroll­gruppe, veränderte sich gar nicht. Alle anderen drei Gruppen verbesserten sich, und zwar um einen kleinen, aber klinisch bedeutsamen Effekt, der ungefähr in der gleichen Größenordnung wie der Effekt von Antidepressiva gegenüber Placebo liegt.
Noch interessanter ist folgender Befund: Wir haben ein Jahr später nachuntersucht und dabei die Patienten auch gefragt, ob sie geglaubt hatten, behandelt worden zu sein. Wie sich herausstellte, hatten auch Patienten in der Gruppe, die nicht behandelt wurden, an eine Behandlung geglaubt; und einige aus der Gruppe, die behandelt wurde, waren davon ausgegangen, nicht behandelt worden zu sein. Anders ausgedrückt: Trotz der Information, die wir ihnen gegeben hatten, nahmen manche Patienten die Wirklichkeit anders wahr, entsprechend ihrer eigenen inneren Welt. Und siehe da: Diejenigen, die glaubten, sie würden behandelt, verbesserten sich dramatisch, und zwar völlig unabhängig davon, ob sie tatsächlich behandelt wurden oder nicht. Und diejenigen, die glaubten, man würde sie nicht behandeln, blieben unverändert, völlig unabhängig davon, ob sie behandelt wurden und diese Information hatten oder nicht. Wir haben also im Grund den Effekt des Glaubens in Reinkultur dokumentiert. Zwar haben nur etwa 10 Prozent aller Patienten diesen starken Glauben und entsprechende Verbesserungen mobilisieren können. Aber bei diesen wenigen waren die Erfolge enorm.
Ein Teil dieses Bedeutungseffekts ist offensichtlich dem positiven Gefühl und der hoffnungsvollen Erwartung geschuldet, die durch die Teilnahme an der Studie entstanden sind. Dass diese psychologischen Komponenten stoffliche Effekte erzeugen, ist mittlerweile gut belegt. Studien mit bildgebenden Verfahren, aber auch mit pharmakologischen Blockern haben gezeigt: Wird Erwartung geweckt, aktiviert sich die körpereigene Opiatproduktion. Eine typische Studie sieht so aus: Probanden erhalten experimentelle Schmerzreize oder haben klinische Schmerzen, etwa nach einer Zahnoperation. Man erklärt ihnen nun, dass ihnen gleich ein starkes Opiat über einen Venenkatheter gespritzt werde. Das kann man so ausführen, dass der Patient es sieht, also die Erwartung verstärkend. Oder man tut es verdeckt, etwa über einen Computer, so dass der Patient nicht weiß, wann die Injektion kommt. Zur Kontrolle wird aber manchen Patienten statt Opiat Kochsalzlösung gespritzt. Einer dritten Gruppe von Patienten bzw. Probanden gibt man weder das Placebo noch das Verum, sondern Naloxon, das die Morphinrezeptoren im Gehirn blockiert und es also für Opiate schwierig macht, an diese Rezeptoren zu binden. Mit solchen Studien konnte man zeigen: Placebo-Interventionen aktivieren das vom Körper produzierte Opiatnetzwerk, und zwar dasselbe, das auch von verabreichten Opiaten aktiviert wird. Durch Naloxon kann diese Placeboreaktion blockiert werden, und die Probanden empfinden wieder mehr Schmerz – ein klarer Beweis dafür, dass Opiate im Spiel sind.
Alle diese Studien zeigen: Wenn Menschen bestimmte Arten von Bedeutung generieren, Erwartungen und Hoffnungen mobilisieren oder wenn therapeutische Interventionen dies bei Menschen tun, dann werden im Gehirn entsprechende Veränderungen beobachtet, die man mit einer Reduktion von Schmerzen und der Regulation anderer relevanter Prozesse in Verbindung bringen kann, etwa der Erwartung von Verbesserung oder Entspannung.
Offenbar sind solche Effekte auch dann zu erzielen, wenn man den Patienten reinen Wein einschenkt. Ted Kaptchuk, der an der Harvard Medical School eine ganze Forschungsgruppe zu diesem Thema aufgebaut hat, legte kürzlich eine spannende Studie vor, die eigentlich eine Replikation einer ähnlichen, älteren Studie ist: Kaptchuk gab Patienten mit Reizdarm die Information, dass Zuckerkügelchen, auch Placebos genannt, pharmakologisch unwirksam sind, aber trotzdem manchmal recht gut wirken. Warum, sei noch nicht ganz klar, vermutlich spielten Lernprozesse, Erwartungen, Vertrauen ins medizinische System eine große Rolle. Er lud die Patienten ein, das auszuprobieren. Wenn sie in die Experimentalgruppe kamen, erhielten sie diese Zuckerkügelchen mit der In­struktion, sie dreimal täglich drei Wochen lang einzunehmen. In der Kon­trollgruppe erhielten sie nichts und mussten einfach nach drei Wochen wiederkommen. Die Ärzte und Schwestern, die die Patienten dann untersuchten, waren nicht informiert, in welcher Gruppe die Patienten waren. Die offene Placebogruppe hatte eine signifikante und klinisch relevante Besserung, verglichen mit der Kontrolle. Der beachtliche Effekt war ungefähr doppelt so groß wie der, den man beim Vergleich von Antidepressiva mit Placebo sieht.
Man erkennt daran, dass die Verblindung gar nicht das Entscheidende ist. Man kann solche Effekte auch dann erzeugen, wenn man den Patienten die Wahrheit sagt. Denn wirksam ist das, was die Menschen an Erwartung, Hoffnung und Entspannung in sich selber mobilisieren. Das scheint unter verschiedenen Umständen möglich zu sein und ist offensichtlich sehr individuell. Wie Patienten eine klinische Situation erleben, welche Konstruktionen sie aufbauen, ob sie Besserung erwarten oder nicht, kann von minimalen Kommunikationsstrategien beeinflusst werden. Insofern ist das, was heilt, das Wort. Placebo-Effekte und Effekte der Bedeutung zeigen das deutlich. Das Wort vom »galoppierenden Herzen«, das Wort von der möglichen Heilung – es geht um die richtigen Worte. 


Harald Walach (54) ist Professor für Forschungsmethodik komplementärer Medizin und Heilkunde sowie Leiter des Instituts für transkulturelle ­Gesundheitsforschung an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder.

Hier finden Sie weitere Zusammenhänge
• Bernard Lown: Die verlorene Kunst des Heilens. Anleitung zum Umdenken. Verlag Schattauer, 2002 

• Harald Walach: Spiritualität. Warum wir die Aufklärung weiterführen müssen. Drachen Verlag, 2011

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