Titelthema

Neustart in Niederbayern

Der Traum vom Leben auf dem Land changiert zwischen Idylle und der Angst vor Einsamkeit und Tristesse. Sylvia Buttler hat den Traum Wirklichkeit werden lassen.von Sylvia Buttler, erschienen in Ausgabe #12/2012
Photo
© Stephan Buttler

Ungläubige Gesichter sahen wir in unserem Freundes- und Bekanntenkreis öfter, als wir erzählten, dass wir aufs Land gehen. Seit drei Jahren hatten wir in der Großstadt gewohnt und nach einem kleinen Hof auf dem Land gesucht, auf dem wir wieder Tiere halten könnten. Dass wir als kinderloses Paar in den letzten Winkel Bayerns, ins Grenzgebiet zu Österreich und Tschechien, ziehen wollten, war für die meisten unverständlich. Zu provinziell sollte es dort sein, die Einheimischen seien angeblich misstrauisch gegenüber Zugezogenen und eigenbrötlerisch. Wir dagegen gingen den Umzug optimistisch an, schließlich hatten wir jahrelang auf dem Land gelebt – wenn auch nicht in Bayern.
Das größte Problem zu Anfang war die Sprache; ich fühlte mich, als ob ich in ein fernes Land ausgewandert wäre. Der Dialekt überforderte mich als Nichtbayerin völlig. Wenn ich das zu Beginn eines jeden Gesprächs sagte, breitete sich auf dem Gesicht der Angesprochenen oft ein spitzbübisches Grinsen aus. Aber man erklärte mir bereitwillig auch zwei- oder dreimal etwas. Dass man sich hier sofort und überall duzt, machte die ersten Kontakte einfacher.

Eiertausch mit dem Postboten
Der erste Dorfbewohner, den wir kennenlernten, war unser Postbote. Wir hatten anfangs noch keinen Briefkasten, und so kam er jeden Tag hupend den Hügel hinaufgefahren und händigte mir Briefe und Pakete persönlich aus. Ihm waren wohl verschiedene Absender aus der Biobranche aufgefallen, denn er hielt mir eines Tages eine Unterschriftenliste für den Protest gegen Gentechnik unter die Nase mit der Bemerkung, ich sei doch sicher auch dagegen. So erfuhr ich, dass seine Frau Biolandwirtin ist. Milchkühe und Hühner hat sie auf ihrem Hof. Da zeigte ich dem Postboten unsere Hühner, eine seltene, alte Rasse, Deutsche Sperber, und am nächsten Tag stand seine Frau vor der Tür. Ihre Henne brüte gerade, ob wir Bruteier tauschen könnten? Na klar.
Der Frühsommer kam, und wir lernten unsere neue Heimat immer besser kennen. Eines Morgens stand ich um halb sieben bei einer Bäuerin im Stall, die mir beibrachte, ein Huhn zu schlachten. Sie erzählte, dass sie sich auch nach mehreren Jahrzenten nicht an diese Arbeit gewöhnt habe. Danach lud sie mich zum Familienfrühstück ein. Ein Mitarbeiter vom Bund Naturschutz besuchte uns. Er hätte von unseren Schafen gehört, ob wir Interesse an einem Waldweideprojekt hätten? Als ich eine Autopanne hatte, hielten in einer halben Stunde acht Autofahrer an, um mir zu helfen.
Kurz gesagt, nach wenigen Monaten schon fühlten wir uns eingebunden in das rege nachbarschaftliche Netzwerk. Aber wie konnte es sein, dass unser Erleben so sehr von der Außenansicht abwich? Ein Dorfbewohner klärte mich auf: Zum einen würden vermögende Münchner oder »Preußen« hier Häuser kaufen, die sie nur in den Ferien bewohnten. Die würden für sich bleiben. Und viele von denjenigen, die ganz herziehen, »würden alles besser wissen«. In solchen Fällen werden die Einheimischen auch schon mal grantig. Wir gaben zu, von Landwirtschaft in niederbayerischen Landen nicht viel Ahnung zu haben, und sahen uns erst einmal an, was hier wie gemacht wird. So hielt man uns von Beginn an zugute, dass wir uns ehrlich interessierten und uns Rat einholten. Bald kamen Nachbarn und gaben uns Tipps, wie wir – und vor allem unsere Tiere - den langen Winter überstehen würden. Ohne diese Hinweise hätten wir sicherlich mehr Probleme gehabt, denn Schnee von November bis Ostern, zeitweise meterhoch, kannten wir bis dahin nicht. Wir bekamen Äpfel und Gemüse geschenkt, ein Bauer mähte als Willkommensgruß unsere Weide und fuhr das Heu ein.
An diese Seiten des Landlebens haben wir uns gerne und schnell gewöhnt. Aber ein wenig bin ich immer noch erstaunt über unsere neue Heimat, wenn ich einmal in der Woche in unserem Dorf zum Yoga gehe. Yogakurse im niederbayerischen Dorf – das hatte ich wirklich nicht erwartet.  

weitere Artikel aus Ausgabe #12

Gärtnern & Landwirtschaftvon Petra Steinberger

Bodenlos

Der Sturm war schuld. Die Erde war schuld. Am 8. April vergangenen Jahres rasten auf der A 19 bei Rostock 82 Fahrzeuge ineinander, acht Menschen starben bei der Massenkarambolage. Der Deutsche Wetterdienst erklärte, dass »Sandstürme in dieser Jahreszeit und in diesem Gebiet

Photo
von Grit Fröhlich

Bodenlos (Buchbesprechung)

Es kommt nicht oft vor, dass Philosophen über den Boden unter ihren Füßen nachdenken. Intellektuelle beschäftigen sich derzeit lieber mit dem Gehirn – auch das ein Symptom für den verlorenen Bodenkontakt von Wissenschaft heute. Umso fruchtbarer ist dieses Buch, das

Bildungvon Margret Rasfeld

Das Lernen der Zukunft

Kinder sind naturgegebene Lerner. Wie kann unser Bildungssystem dem gerecht werden? Eine Berliner Schule nahm die Frage ernst und revolutionierte den Lernalltag – mit Erfolg.

Ausgabe #12
Bodenhaftung

Cover OYA-Ausgabe 12Neuigkeiten aus der Redaktion