In natürlichen Systemen spielen kleinste Tiere große Rollen.von Markus Gastl, erschienen in Ausgabe #12/2012
Von der Bedeutung des Regenwurms für die Bodenfruchtbarkeit wird viel gesprochen, doch die Hauptarbeit bei der organischen Zersetzung und dem Humusaufbau leisten Insekten. Und sie können noch viel mehr. Kaum haben sich die Blätter der Pflanzen entrollt und strecken sich dem Sonnenlicht entgegen, beginnt schon der Zerfall. Schmetterlingsraupen und Käferlarven, Heuschrecken und anderes Getier aus dem Reich der Insekten nagen, raspeln, beißen, schneiden, was das Zeug hält. Sie zerkleinern die Biomasse oder fressen sie komplett und scheiden den ersten guten Humus aus. Fallen dann im Herbst die übrigen Blätter auf den Boden, stürzen sich Asseln, Milben, Ohrwürmer, Springschwänze und Schnurfüßer auf die Reste und durchlöchern die Blätter zu filigranen Gebilden. Erst jetzt kommt der Regenwurm und zieht die Blattgerippe in den Boden – und erntet allein unseren Dank. Die immense Bedeutung der Insekten und ihre unglaubliche Vielfalt werden von uns Menschen meist nicht wahrgenommen und nur selten gewürdigt. Die schiere Arten-Übermacht von allein in Deutschland etwa 175 Tagfalter-, 3000 Nachtschmetterlings-, 6000 Käfer-, je 80 verschiedenen Libellen- und Heuschrecken-, je 1000 Wanzen- und Pflanzenlaus-, 7000 Mücken- und Fliegen- sowie 11 000 Hautflüglerarten (zu denen auch Bienen, Hummeln, Wespen und Ameisen zählen) leistet einen unersetzlichen Beitrag im vernetzten Naturhaushalt. Doch die Vielfalt ist hochgradig bedroht. Insekten nehmen in rasantem Tempo in Artenvielfalt und Menge ab. Noch vor zehn Jahren musste man nach einer sommerlichen Autofahrt die Scheiben und Scheinwerfer von den getöteten Insekten säubern. Heute ist das kaum noch nötig. Unsere Atmosphäre ist nahezu insektenleer geworden, und auf Wiesen, in Wäldern und Gärten sieht es meist nicht besser aus. Das Schlagwort »Bienensterben« ist in aller Munde – zu Recht, denn wer soll die Blumen und Blüten bestäuben, damit sie Früchte und Samen bilden, wenn die Biene nicht mehr ist? Meist wird dabei nur an die Honigbiene gedacht, doch fliegt diese nur die größten, für das Bienenvolk einträglichen Trachten wie Obstbäume, Rapsfelder oder Löwenzahnwiesen an. Seltene Blumen und spezielle Blütenformen sind bei der Bestäubung auf Wildbienen oder besonders angepasste Nachtfalter angewiesen. Etliche Pflanzen sind hier evolutionär mit nur einem einzigen Insekt verbunden und sterben im Extremfall mit diesem gemeinsam aus. Unentbehrlich sind Insekten übrigens auch bei der Schädlingsregulation. Gut entwickelte Insektenpopulationen halten sich gegenseitig in Schach und vermindern durch Räuber-Beute-Beziehungen den Schaden auf ein akzeptables Maß. Die ökologischen Verknüpfungen und Wechselwirkungen aber werden nur selten verstanden. Wie beeinflussen sich die Kontrahenten z. B. im Jahresverlauf? Das populärste Beispiel derartiger Beziehungsgeflechte ist das von Marienkäfer und Blattlaus. Nach der Winterruhe, die die Käfer in teils großer Anzahl gemeinsam verbringen, haben die Blattlausräuber erstmal richtig Hunger. Auf dem Gemüsebeet ist aber noch nichts gepflanzt, was Blattläusen schmecken könnte, und so müssen die Käfer zunächst woanders Fressbares suchen: Nur in wilden Ecken oder naturbelassenen Gartenbereichen haben auch Blattläuse überlebt. Hier wächst dann auch die erste Käfer-Generation des neuen Jahrs heran, die später als Blattlausfresser zur Stelle ist, wenn die ersten Salatpflanzen auf unseren Beeten wachsen. Marienkäfer sind relativ flugfaul und bleiben in der näheren Umgebung, in der sie aufgewachsen sind. Blattläuse kommen per Windverfrachtung überall hin. Die oft gestellte Frage der Gärtner, warum in ihren sterilen Gärten trotz all der Blattläuse keine Marienkäfer leben, dürfte damit beantwortet sein.
Die Augen nach unten! Insekten sind also ein wesentlicher Teil des Naturhaushalts und hochinteressante Lebewesen. Dies zu verstehen, sie als Lebewesen wahrzunehmen und den Garten und das Umfeld insektenfreundlich zu gestalten, sind grundsätzliche Schritte zu einer nachhaltigen Landnutzung. Das bedeutet, die erforderlichen Gestaltungselemente einzurichten oder zu erhalten. Totholz, wilde Ecken, Reisighaufen, Magerstandorte mit Blütenreichtum, Sandflächen und Trockenmauern oder speziell geschaffene Nisthilfen und Überwinterungsmöglichkeiten fördern die Insekten in ihrer Qualität und Quantität. Dies alles soll bei der Anlage meines »Hortus Insectorum« – zu deutsch: Garten für die Insekten – berücksichtigt werden. Viele Jahre dachte ich, Natur- und Artenschutz bedeute, Nistkästen für Vögel und Fledermäuse aufzuhängen, Amphibien über die Straße zu tragen und Orchideen-Wiesen mit der Hand zu mähen – bis mir während einer Fahrradreise von Feuerland nach Alaska klar wurde, dass die Natur schon eine Etage weiter unten, an der Basis der Nahrungspyramiden, bedroht ist. Die unendliche Öde und Weite Patagoniens, das monotone Treten auf dem Rad lenkte auf den ersten 3000 Kilometern meinen Blick oft auf den Boden, zu den kleinen Dingen, zum vermeintlich Unbedeutenden. Ich verstand, dass auch das Allergrößte zunächst aus einer Vielzahl des Kleinen besteht. Hier kam mir die Idee von einem Garten, der gänzlich auf das Kleine zugeschnitten sein sollte. Wie würde der aussehen? Auf einem 7500 Quadratmeter großen Wiesengrundstück nehme ich nun seit 2007 die Umsetzung meiner Vision in Angriff. Insektenreichtum ist das oberste Gebot. Die meisten Schmetterlinge, Heuschrecken, Käfer und Hautflügler kommen in unserer Landschaft in mageren Bereichen wie Steinbrüchen, Sandgruben, Magerwiesen und Ruderalstellen vor, denn sie sind auf die dort wachsenden, meist schon sehr selten gewordenen Pflanzen angewiesen. Also bereitete ich dem Einheitsgrün der Fettwiese kurzerhand ein Ende. Den Wiesenhumus verschenkte ich an Gemüsegärtner, und an seine Stelle brachte ich Kalkschotter, Sand, Steine und Bauschutt aufs Grundstück. Der Vielfalt an verlorenen einheimischen Blumen und Blüten helfe ich durch Aussaat und Pflanzung nach. Mit dieser Nahrungsgrundlage an Nektar, Pollen und seltenem Grünzeug kehren die Insekten zurück, vermehren sich und bilden wiederum die Nahrung für die nachfolgenden Fressfeinde. Nach fünf Jahren Entwicklungszeit sind im Hortus Insectorum neben den zahlreichen Insekten auch wieder Laubfrösche, Grasfrösche, Erdkröten und Gelbbauchunken zu finden. Im Zentrum des Grundstücks liegt ein großer Gemüsegarten. Wie eng Nachhaltigkeit und Insektenschutz verbunden sind, zeigt sich auch daran, dass dieser ungemein von dieser Vielfalt und dem dichten Netz an regulierenden Beziehungen profitiert. Nacktschnecken und sonstige Nahrungskonkurrenten haben, eingebettet in diese Vielfalt, kaum Möglichkeiten, Schaden anzurichten. Zu hoch ist der Feinddruck, der von den umgebenden Strukturen aufrechterhalten wird. Was kann man also tun im Garten? Die Vielfalt wahrnehmen und mit Hilfe von Bestimmungsbüchern kennenlernen; die Lebenszyklen der Insekten verstehen und dann im Jahresverlauf stabilisieren, indem man notwendige Strukturen (Nahrung, Überwinterungs- und Nistmöglichkeiten) schafft und in den Garten integriert. Als Einstieg für alle Interessierten sind Wildbienen am besten geeignet. Nahezu überall sind diese ungefährlichen Insekten zu finden, auch in Städten. Eine Nisthilfe kann einfach selbst gebaut und an jedem sonnigen Ort aufgehängt werden. Die Nahrung in Form von einheimischen Blumen lässt sich in jedem Balkonkasten aussäen. Auf was also noch warten? Fangen wir beim Kleinen an, um Großes zu schaffen!
Markus Gastl (43) ist nach siebenjähriger Weltreise davon überzeugt, dass die Vielfalt Hilfe braucht. Er begleitet als Führer Menschen durch die Natur in seinem Garten und darüber hinaus. www.hortus-insectorum.de
Hier summt und brummt, kriecht und kraucht es www.wildbienen.info www.lepiforum.de Literatur: • Michael Chinery: Pareys Buch der Insekten. Kosmos Verlag, 2004 • Christian Stettmer, Markus Bräu, Patrick Gros, Otmar Wanninger: Die Tagfalter Bayerns und Österreichs. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege, 2007