Fragiler Freiraum
Wenn eine Stadt ein neues Siedlungsgelände plant, ist die Reaktion darauf entweder Gleichgültigkeit oder Protest. In Aspern bei Wien sucht ein Künstlerkollektiv im Freiraum vor Baubeginn einen dritten Weg.
In der Schokoladenfabrik bin ich mit Bea Fünfrocken verabredet: In ihrem »Blaumann« kommt die gelernte Elektrikerin aus den Kellerräumen. Seit 1999 ist sie hier Hausmeisterin. Mit einem herzlichen Lachen, die Haare an den Seiten abrasiert, zieht sie mich gleich in ihren Bann; ein bewegtes Leben und die Hausbesetzerzeit stehen ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Angefangen hat sie als Hauswirtschaftlerin, hat dann eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin und schließlich eine Schule für Elektroinstallation absolviert – all diese Kompetenzen sind nun in der Hausmeisterinnentätigkeit vereint. Als Lesbe und Feministin verkörpert sie Eigenständigkeit: Nicht lange warten, selber anpacken!
Aus diesem Impuls entstand auch die Genossinnenschaft der Schokofabrik. Sie gibt dem Projekt aus der Zeit der Hausbesetzer- und Frauenbewegung heute den äußeren Rahmen, lerne ich von Bea. Was unter dem Dach der »Schoko« stattfindet, tragen verschiedene Vereine. Sie organisieren eine Kita, eine Tischlereiwerkstatt, ein Frauenkrisentelefon und das Frauenzentrum mit den Schwerpunkten Bildung, Beratung, Sport, Hamam und Treffpunkt. Viele Frauen der Genossinnenschaft engagieren sich hier ehrenamtlich.
Auf eigenen Beinen
Bevor es die Vereinsstruktur gab, trafen sich die Beteiligten des Projekts regelmäßig zu Plenumssitzungen, um gemeinsame Entscheidungen zu treffen. »Das war eine gute Struktur, die sich aber in einem Rechtsstreit als juristisch nicht untermauert herausgestellt hat. Seitdem gibt es einen Vorstand aus Vertreterinnen verschiedener Bereiche des Hauses«, erklärt Bea.
Seit dem Hauskauf 2004 durch die Genossinnenschaft engagiert sich Bea im Aufsichtsrat. »Dort kann ich einerseits meine Kompetenzen als Handwerkerin einbringen, andererseits sind die Beratungen von Vorstand und Aufsichtsrat das Forum, das Veränderungen innerhalb des Frauenzentrums möglich macht, wo Utopien und Träume gesponnen werden«, schwärmt sie. Ob sich das Gebäude in Selbstverwaltung übernehmen lassen würde, war zu Beginn ein unsicheres Unterfangen. Aber weil die Frauen diesen Schritt gewagt haben, entstand Raum, eigene Ideen unabhängig von öffentlicher Förderung zu entwickeln. Gewerbliche Bereiche des Projekts, wie das beliebte türkische Dampfbad, fördern andere, die unkommerziell bleiben sollen, wie zum Beispiel Angebote für Bildung, Sport oder Beratung. »Derartige Kombinationen werden aber heute durch die Förderpolitik der öffentlichen Hand zunehmend unmöglich gemacht. So wird sich die ›Schoko‹ bald neuen Veränderungen stellen müssen«, meint Bea.
Zu Beginn war die »Schoko« vor allem ein Anlaufpunkt für türkische Bürgerinnen und auch Lesben. »Der erste Lesben-Standardtanzkurs wurde in der ›Schoko‹ angeboten«, erzählt Bea stolz. Ursprünglich nur ein Frauenstadtteilzentrum für Kreuzberg, wurde es bald ein Frauenzentrum für ganz Berlin.
Bea führt mich durch das Kellergewölbe des Hamams, das derzeit eine Baustelle ist. Die riesige Anlage mit Wärmeraum oder Schaummassage in versteckten Winkeln bei wohligem Licht lässt Vertrautheit und entspannte Gespräche erahnen. Bea schwingt ihren großen Schlüsselbund und schließt mir alle Türen auf, um ein paar Blicke auf das Innenleben der »Schoko« zu erhaschen. Man merkt, dass sie hier zu Hause ist, auch wenn sie die Angebote kaum in Anspruch nimmt, sondern lieber dafür sorgt, dass sich die Frauen wohlfühlen. In mir steigt Bewunderung auf: So viele Frauen haben mit wenig Geld eine so große gemeinsame Sache aufgebaut! Gewiss, es gab auch heftige Konflikte in der Vergangenheit, aber was hier entstanden ist, spricht für die Kraft der Gemeinsamkeit. Wie sich das Projekt auf Grundlage der Genossinnenschaft weiterentwickeln wird, bleibt abzuwarten. Bea ist bereits jetzt von einem spannenden Prozess überzeugt.
www.schokofabrik.de
www.crassa-minerva.de
Wenn eine Stadt ein neues Siedlungsgelände plant, ist die Reaktion darauf entweder Gleichgültigkeit oder Protest. In Aspern bei Wien sucht ein Künstlerkollektiv im Freiraum vor Baubeginn einen dritten Weg.
Weltweit steigt die Zahl der depressiven Erkrankungen. Sie sind ebenso weitverbreitet wie ihre Ursachen vielfältig sind. Auch der australische Lyriker Les Murray ist davon betroffen. In einem radikal offenen Buch schreibt er, wie er lernte, mit dem »schwarzen Hund« zu leben.
Die Mengen an kompostierbarem Abfall, die eine Stadt täglich produziert, sprengen die Vorstellungskraft. Sie bergen große Schätze, wie den Lebensbaustein Phosphor.