Titelthema

Kreislauf statt Endstation

Über den Kreislauf der erneuerbaren Ressource Phosphor in unseren Städten.von Svenja Nette, erschienen in Ausgabe #16/2012
Photo
© businesslinktz.com

 »Es braucht keinen sonderlich hellen Kopf, um zu verstehen, dass es nicht sehr ­clever ist, wenn sich unsere gesamte Existenz auf den Abbau und die Verwendung von Materialien gründet, die sich nicht erneuern und die in ziemlich überschaubarer Zeit nicht mehr verfügbar sind.« So drückt der bekannte amerikanische Autor Richard Heinberg seine Fassungslosigkeit über den sorglosen Ressourcenverbrauch unserer Gesellschaft aus. Heinberg popularisierte den Begriff »Peak Everything«, der bewusstmachen will, dass nicht nur »Peak Oil« überschritten ist, also der Anfang vom Ende der steigenden Ölfördermengen, sondern auch viele andere Rohstoffe ihr Fördermaximum erreicht haben oder bald haben werden. Dazu gehören seltene Erden, fruchtbares Ackerland und sauberes Wasser und viele weitere Grundbausteine für den Lebensunterhalt. Allen Voraussagen nach wird unser Bedarf an vielen dieser Ressourcen innerhalb der nächsten fünf Jahrzehnte das verfügbare Angebot überschreiten. Die Folgen lassen sich nur grob einschätzen, werden aber mit Sicherheit höchst destabilisierend auf unsere Art zu leben wirken.
Ein Peak, von dem erstaunlich wenig gesprochen wird, ist derjenige von Phosphor. Zum Stichwort Phosphor fällt vielen ein, dass dieser Stoff in Salamis steckt, dass er leuchten kann oder Gewässer verschmutzt. Häufig unbekannt ist seine essenzielle Rolle: In Form von Phosphatverbindungen ist er einer der Bausteine des Lebens, Bestandteil der DNS und ein im Zell­energiehaushalt jedes Lebewesens durch nichts zu ersetzender Stoff.
Lebensmittelproduktion ist ohne Phosphor ausgeschlossen. Da trifft es sich schlecht, dass ein Großteil der globalen Landwirtschaft auf Kunstdünger mit Phosphor aus Mineralphosphaten basiert. Dieser wird aus Mineralvorkommen synthetisiert, die mittlerweile zum Großteil in der von Marokko annektierten Westsahara abgebaut werden. Den jüngsten Studien nach werden mineralische Phosphorquellen in den nächsten drei Jahrzehnten ihren Zenit erreichen, ihre Fördermenge wird also stetig sinken. Das bedeutet kein abruptes Ende der Nahrungsproduktion, aber instabile und stetig steigende Preise für Düngemittel und folglich auch für Nahrungsmittel.
Was Phosphor positiv von Mineralöl unterscheidet, ist seine recht simple Rückgewinnung. Der Großteil des »beweglichen« Phosphors steckt in unserer Nahrung und somit auch in unseren Ausscheidungen und denen unserer Nutztiere. Es gilt also, die Kreisläufe zwischen dem, was wir essen, und dem, was wir ausscheiden, zu schließen. Geschlossene Nährstoffkreisläufe sind im letzten Jahrhundert zur Rarität geworden, insbesondere in der Stadt. Das war nicht immer so.

Phosphor-Kreisläufe
Europas Städte waren schon zu Zeiten der Industrialisierung Ballungsräume für Nährstoffe. Mit den Fäkalien der stetig wachsenden urbanen Bevölkerung wurden Mitte des neunzehnten Jahrhunderts noch großflächig die Felder des Umlands mit recyceltem Phosphor versorgt. Seit allerdings Alexander von Humboldt Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Kunde der herausragenden Düngewirkung von peruanischem Guano (den damals bis zu knietiefen Ansammlungen von Vogelexkrementen) nach Europa brachte, war das Zeitalter der importierten landwirtschaftlichen Nährstoffe angebrochen. Guano wurde zeitweise eines der wichtigsten Welthandelsgüter – und nach seinem relativ schnellen Versiegen durch geschürftes und synthetisiertes Phosphatgestein ersetzt.
Lokale Nährstoffkreisläufe, die Gülle und Fäkalien, Nahrungsmittelreste und Urinstein wiederverwendeten, wurden damit unterbrochen. Eine Hauptbruchstelle im städtischen Phosphorkreislauf sind die menschlichen Ausscheidungen: Pro Tag und Mensch scheiden wir rund 1,5 Gramm Phosphor aus, von dem statistisch etwa ein Viertel wieder in den Nahrungskreislauf gelangt, hauptsächlich in Form von Klärschlamm als Düngemittel. Der Rest landet als Schlacke in Verbrennungsanlagen, Müllkippen oder Gewässern. Wenn diese durch Phosphoreinträge »umkippen«, wird das Leben dort unmöglich, wie zum Beispiel großflächig in der Ostsee.
Hohe Transportkosten zwischen Stadt und Land sowie gesundheitliche Bedenken zur Ausbringung von Fäkalien mit häufig unbekannten Medikamenten- und Schwermetallbelastungen begrenzen die Wiederverwertung von Klärschlamm. Es lohnt sich also, Möglichkeiten zu erkunden, Nährstoffe an Ort und Stelle in angemessener Qualität in lokale Kreisläufe zurückzuführen.
Die japanische Künstlerin Ayumi Matsuzaka realisierte das Projekt »All My Cycle«. Über eineinhalb Jahre sammelte sie ihren Urin, düngte damit Gemüse, das sie in den Berliner Prinzessinnengärten anbaute, verzehrte es und begann damit den Kreislauf von vorne.
Die Fermentation der Fäkalien durch Milchsäurebakterien sei derzeit die vielversprechendste Art, menschliche Ausscheidungen in sauberer Form wieder aufs Land zu bringen, meint Ralf Otterpohl, der an der Universität Hamburg-Harburg zu ökologischer Abwasserwirtschaft und Terra Preta forscht (siehe Oya, Ausgabe 12). In Deutschland werden diverse Ökosanitärmodelle in Neubauanlagen auf ihre großflächige Eignung getestet. Für den großen Durchbruch braucht es allerdings eine unkomplizierte Technologie, die die unbeliebte Trenntoi­lette ablösen kann. Die Verwertung des gesamten Fäkaliengemischs durch Laktofermentation könnte die Lösung sein.

Pilze und Gurkensuppe statt Abfall
Wieviel ungenutze Ressourcen in den 20 Millionen Tonnen Lebensmitteln stecken, die in Deutschland jährlich im Abfall landen, mag man sich gar nicht vorstellen – nach menschlichen Fäkalien ist dies die zweitgrößte Phosphorquelle. Abgesehen von verschiedenen Kompostierungslösungen gibt es mittlerweile viele weitere spannende Ansätze, die Wiederverwertung von städtischen Nährstoffen auf Touren zu bringen. So zum Beispiel von »Chido’s Mushrooms«, einer Firma aus Berlin Kreuzberg, die seit 2010 in Kellern Speisepilze auf Kaffeesatz anbaut. Per Fahrrad sammelt sie monatlich gut vier Tonnen verbrauchtes Kaffeepulver ein, das nach seinem Leben als Pilzsubstrat per Wurmkompost zu verkaufsfähigem Dünger weiterverarbeitet wird.
Die »Abfallküche Berlin« wiederum kocht häufig mit Supermarkt-Lebensmitteln, die sonst im Müll gelandet wären. »Wir verstehen das als Gegenbewegung zur Wegwerfmentalität unserer heutigen Gesellschaft«, sagt Pippa Chase, die seit Januar dabei ist. Auf Veranstaltungen gibt die Abfallküche das Essen gegen Spende aus.
Als »Culinary Misfits« verwerten die beiden Designerinnen Lea Brumsack und Tanja Krakowski Gemüse, das es nicht mal in den Handel schafft, weil es zu krumm, zu klein oder schlicht nicht sehr hübsch ist. Sie sammeln es von zwei kooperierenden Biohöfen in Brandenburg und servieren das »Krumme Gurkensüppchen« und andere kreative Gerichte auf Tagungen oder Messen, wie zum Beispiel Anfang Juli bei der Ethical Fashion Week Berlin.
Den Kühlschrank durchforsten nach älterem Essen, sich einen Wurmkomposter in die Küche stellen oder mal beim Bauern des Vertrauens Erntereste einsammeln? Solche Möglichkeit stehen allen offen.
Phosphor sei hier nur beispielhaft als einer der vielen Rohstoffe genannt, die wir in unserem urbanisierten Lebensstil verwenden und die in den nächsten Jahrzehnten ihren Peak erreichen. Erdöl, Kohle und Erdgas sind die Ausgangsprodukte der allgegenwärtigen Kunststoffe, die im Haushalt ebenso im Müll landen wie Aluminium, das große Umweltschäden anrichtet und bei dessen Extraktion aus der Erde enorm viel Energie verbraucht wird. Das Schwinden dieser Ressourcen wird zuerst die ärmeren Länder hart treffen – ironischerweise die größten Exporteure jener Stoffe, die wir so fest in unseren Alltag eingebaut haben.
Als die weltweiten Guano-Ansammlungen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts weitgehend erschöpft waren, wurde das neu nutzbare Phosphatgestein als unendlich angesehen. Dem riskanten Irrglauben an die Unendlichkeit von Ressourcen können wir nur durch das Wirtschaften in Kreisläufen begegnen. 


Svenja Nette (26) studierte Qualitative Forschung im Bereich Landwirtschaft und Umwelt, schrieb ihre Masterarbeit zu urbaner Landwirtschaft in Südafrika und lebt seit 2011 in Berlin, wo sie in den Prinzessinnengärten aktiv ist.

 

Round and round and round it goes …
www.ayumi-matsuzaka.com
www.chidos.org
www.culinarymisfits.de
www.facebook.com/AbfallKucheBerlin
www.foodsharing.de
www.tastethewaste.com
Literatur:
Richard Heinberg: Jenseits des Scheitelpunkts. ­Aufbruch in das Jahrhundert der Ressourcenerschöpfung.­ Manuscriptum Verlag, 2012

weitere Artikel aus Ausgabe #16

Gärtnern & Landwirtschaftvon Anke Plehn

Wir machen Leipzig essbar

Anke Plehn Stefan und Jakob, ihr seid beide als Gärtner in unterschiedlichen Projekten aktiv, obwohl ihr einen anderen Beruf gelernt habt. Wie kam es dazu?Jakob Ottilinger Ich habe in Leipzig Kultur- und Medienpädagogik studiert und wusste danach nicht so recht, was ich wollte,

Regional- & Stadtentwicklungvon Stefanie Müller-Frank

Ausbau Ost

Die Wächterhäuser bewahren nicht nur Leipzigs Gründer­zeiterbe vor dem Verfall. Das Konzept einer legalen, konstruk­tiven Hausbesetzung macht auch vor, wie Stadtentwicklung ohne Großinvestoren funktionieren kann.

Gärtnern & Landwirtschaftvon Erik Dreher

Obenauf, doch zwischen allen Stühlen

Als ich vor einigen Wochen in den Stadtteil Limmer kam, traf ich auf eine zierliche Dame. Sie ritt auf einem rosa Elefanten und hielt ein übergroßes Nadelkissen vor sich. Von ihrer erhabenen Position aus schaute sie auf einen Garten von Transition Town Hannover. Der Elefant und die Dame

Ausgabe #16
Stadt Leben

Cover OYA-Ausgabe 16
Neuigkeiten aus der Redaktion