Anette Jensen besuchte einen Workshop im Bauraum für Low-Tech-Ideen in Berlin, der sich der Herstellung von sinnvollen Produkten unter geringstmöglicher ökologischer Last widmet.von Anette Jensen, erschienen in Ausgabe #18/2013
Auf dem Tisch liegen leere Konserven- und Getränkebüchsen und ein kleines Bündel Fahrradspeichen. Daraus sollen binnen Stundenfrist funktionsfähige Campingkocher werden, verspricht Natalie Rzehak. Die 27-Jährige verteilt eine handgefertigte Zeichnung, und sofort greifen die ersten Leute zu Zange und Hammer und beginnen zu werkeln. »Wir quatschen nicht viel, sondern sagen am Anfang nur kurz an, wie was gemacht wird«, erklärt Natalie, die an der TU Berlin Technischen Umweltschutz studiert und zusammen mit einigen Kommilitonen den »Bauraum für Low-Tech-Ideen« auf die Beine gestellt hat. Gut zwei Dutzend Studentinnen und Studenten besuchen den freiwilligen Uni-Kurs im Keller eines Moabiter Stadtteilzentrums, denn an der Universität existieren keine Räume mit traditionellen Werkzeugen wie Handsägen und Bohrern. Manchmal steht auch eine Exkursion auf der Tagesordnung: Nächste Woche wollen die Low-Techis eine Recycling-Werkstatt besuchen und dort lernen, wie man Holzverzapfungen herstellt. »Ich finde es wichtig, mit den Händen zu arbeiten. Das lernen wir ja sonst gar nicht«, meint die angehende Architektin Tanya Valkanova, die gerade einen Handbohrer aus abgeflachten Fahrradspeichen herstellt. Die meisten aus der Initiatorengruppe haben einen technischen Hintergrund. Dass sich die Pflichtkurse in ihren Studiengängen fast ausschließlich auf industrielle Fertigungsmethoden beziehen, geht den Low-Techis gegen den Strich. Zum einen sehen sie darin eine naive Fortschrittsgläubigkeit, die die ökologischen und sozialen Gefahren vieler Großtechniken schlicht ignoriert. Zum anderen wollen sie eine Wirtschaft mitgestalten, die sich an den jeweiligen Bedürfnissen und Gegebenheiten vor Ort orientiert und nicht gleiche Lösungen für die ganze Welt propagiert. »In Deutschland ist es selbstverständlich, dass man auf die Klospülung drückt, und alles ist weg«, kritisiert Natalie Rzehak, die sich bei »Ingenieure ohne Grenzen« engagiert und mehrfach einige Monate in Afrika verbracht hat. Ein solcher Umgang mit menschlichen Exkrementen sei schon hierzulande fragwürdig, in wasserarmen Gegenden aber völlig unakzeptabel. Sie experimentierte in Tansania mit Trenntoiletten, deren fester Inhalt zunächst getrocknet und anschließend bei 80 Grad in einem Lehmofen hygienisiert wird. Die Berliner Low-Tech-Gruppe konstruierte eine Kloschüssel mit Solarkammer und nutzte für den Prototyp Beton; später in Tansania soll Lehm zum Einsatz kommen. »Beton ist ja nicht gerade ein nachwachsender Rohstoff. Sobald man in der Werkstatt steht, wird klar, wie schwer es ist, die eigenen Ansprüche umzusetzen«, räumt Natalie Rzehak ein. So wird auch nicht darauf beharrt, ganz ohne Strom auszukommen. »Als wir in Gatschow eine Solardusche bauten, waren eine Kreissäge und ein Akkuschrauber im Einsatz – und das war auch gut, wir hatten wenig Zeit«, sagt Felix Lettow. Ihm ist es wichtig, nur Ressourcen einzusetzen, die gerade vor Ort zu finden sind. In vielen Fällen ist das schlicht Abfall der Konsumgesellschaft, wie die Konservendosen für die Campingkocher. Low-Tech-Initiativen gibt es weltweit. Via Internet – also High-Tech – werden die Ideen verbreitet. Doch die Berliner Gruppe reiste auch nach Maastricht, wo in einer alten Fabriketage viel im Zeichen von Low-Tech passiert. Was alles unter diesem Begriff zu fassen ist, lässt sich nur vage umreißen: Auf jeden Fall müssen die Produkte leicht verständlich, vor Ort herstellbar und reparabel sein. Sie sollten aus nachwachsenden oder recycelten und kostengünstigen Materialien bestehen und einen kleinstmöglichen ökologischen Schaden anrichten. Ob Langlebigkeit zum Konzept gehört, darüber sind sich offenbar nicht alle einig. »So einen Kocher kann man ja gut aus ein paar Dosen auf dem Campingplatz zusammenbauen und anschließend wegschmeißen«, meint ein Ingenieurstudent. Fürs Studium könne er Low-Tech nicht gebrauchen. »Aber es macht Spaß, etwas Mechanisches selbst zu bauen.«