Erstmals in der Neuzeit könnte jetzt die Generation der Kinder schlechtere Zukunfts-Chancen haben als die ihrer Eltern. Der Planet Erde ist für die Wirtschaftsformen und Lebensweisen der »Global Consumer Class« zu klein geworden.von Wolfgang Pekny, erschienen in Ausgabe #18/2013
Würden alle Menschen so verschwenderisch leben wollen wie wir es in Europa tun, so bräuchte es mindestens drei Planeten von der Qualität der Erde. Die wird es kaum geben! Wie kein zweites naturwissenschaftliches Maß erlaubt der ökologische Fußabdruck, den ökologischen mit dem sozialen Imperativ zu verbinden. Mit etwa 5 globalen Hektar (gha) liegen die Menschen in Europa weit über dem fairen Maß von 1,7 gha und leben damit systematisch auf Kosten ärmerer Mitmenschen, auf Kosten der Natur und auf Kosten ihrer eigenen Kinder. Der ökologische Fußabdruck misst die Summe der durch den Konsum von Waren, Energie und Dienstleistungen in einem Jahr in Anspruch genommen Biokapazität, das heißt der produktiven Land- und Wasserflächen, gleich, wo auf der Welt diese Inanspruchnahme passiert. Er kann für einen Bauernhof, ein Land oder den Planeten Erde berechnet werden. Wird mehr Kapazität beansprucht, als jeweils vorhanden ist, spricht man vom »Overshoot«, dem Abgleiten in die ökologische Verschuldung. Heute ist die Welt als Ganze bereits zu rund 50 Prozent im Overshoot, die Menschheit beansprucht also trotz weitverbreiteter Armut und Not um die Hälfte mehr, als der Planet in einem Jahr zur Verfügung stellt. Entsprechend fiel der »Welt-Erschöpfungstag« (World Overshoot Day) im Jahr 2012 bereits auf den 22. August. Den Rest des Jahres lebten wir auf Pump. Um die Übernutzung zu beenden und zugleich dem Gros der Passagiere im »Raumschiff Erde« ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen, braucht es eine weitere »große Transformation«, einen Wandel, der jenem der neolithischen und industriellen Revolution um nichts nachstehen wird. Dabei ist mehr gefragt als sozial und ökologisch verbesserte Produkte in »klimafreundlichen« Kaufhäusern – nämlich ein neues Verständnis von der Komplexität unserer »kleinen Welt«, ein Globalverstand. Dieser Globalverstand – als Schwester des Hausverstands – ist uns freilich nicht mitgegeben. Über Äonen hinweg war das Globale keine Denk- oder Handlungskategorie für den Menschen. Erst seit relativ kurzer Zeit wissen wir, dass die Welt nicht unbegrenzt ist. Sie ist auch keine Wildnis mehr, sondern längst eine Farm – unser »Raumschiff Erde« ist ein sehr schlecht geführter Bauernhof, und auf diesem Raumschiff herrscht noch nicht einmal »Rauchverbot«. Wie verrückt müsste eine Astronautin sein, in der internationalen Raumstation Zigarre zu rauchen? Das wäre keine Frage des Umweltschutzes und keine Frage der Ethik. Es ist eine Frage des gesunden Hausverstands! Die zentrale Frage des 21. Jahrhunderts lautet demnach: Wie kann ein »gutes Leben« mit einem fairen Anteil an der Welt für möglichst alle Erdenbürgerinnen und Erdenbürger verwirklicht werden? Die gute Nachricht: Physikalisch spricht nichts dagegen, auch für 10 Milliarden Menschen genug Energie und Nahrung bereitzustellen, ohne den Planeten dabei zu überfordern. Dabei müsste gar nicht auf halbsynthetische Nahrung auf Algenbasis zurückgegriffen werden. Bei heutiger Kenntnis der Landbewirtschaftung kann in passenden Rahmenbedingungen für mindestens zehn Milliarden Menschen Nahrung erzeugt werden. Über die nötigen Schritte dahin herrscht weitgehend Konsens: ein Stopp weiterer Rodungen für die Landwirtschaft, Steigerung der Bodenerträge vor allem in den wirtschaftlich schwächsten Ländern, Reduktion der Ernteverluste, Vermeidung des Wegwerfens und des Missbrauchs von Lebensmitteln, sowie – allem voran – eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten in Richtung weniger Fleisch und tierische Produkte. Damit können die Menge der verfügbaren Nahrung verdoppelt und Umweltauswirkungen reduziert werden. Über die Frage, ob diese Schritte besser in kleinen oder großen Produktionseinheiten, durch Permakultur oder fossile Inputs, durch regionale oder globale Zusammenarbeit erreicht werden können, herrscht allerdings noch wenig Einigkeit. Diese Ungewissheit muss jedoch kein Nachteil sein, denn es ist gerade die Vielfalt – in der Biologie genauso wie in Gesellschaften und bei Wirtschaftsweisen –, die die beste Garantin für Evolution und Fortschritt ist. Einfalt und Monokultur waren noch nie Basis für Weiterentwicklung.
Bedingungen einer ökologischen Wirtschaft Während also einerseits kaum vorstellbar ist, wie das »Wirtschaften« der Zukunft aussehen wird, sind die Rahmenbedingungen im Raumschiff Erde bereits klar: Die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit ist eine Conditio sine qua non. Die soziale Dimension sollte dazu gleichberechtigt betrachtet werden, die ökonomische dagegen ist keine Bedingung, sondern letztlich ein Ergebnis. Ökonomisch zukunftsfähig kann nur sein, was die ökologische und soziale Zukunftsfähigkeit fördert. Für die ökologische Zukunftsfähigkeit gibt es dabei zumindest ein Quartett von Bedingungen: Konsistenz, Effizienz, Suffizienz und Resilienz. → Unter Konsistenz-Bedingung verstehen wir die Notwendigkeit, alle Tätigkeiten so zu gestalten, dass sie sich mittelfristig in natürliche Kreisläufe einfügen können, also etwa Schadfreiheit (Gifte und Klimagase) sowie vollständige Wiederverwertbarkeit. → Die Effizienz-Bedingung formuliert die Notwendigkeit, möglichst viel Nutzen durch eine Ressource zu erzielen, da diese Güter begrenzt sind. Dabei ist vor allem der »Nutzen« von den Mitgliedern der Gesellschaft stets neu zu definieren, und vieles wird sich bei genauer Betrachtung als nutzlos erweisen. → Die Suffizienz-Bedingung fordert, mit dem physisch Vorhandenen auszukommen, insbesondere auch mit der sehr begrenzten Biokapazität, und genau das kann mit dem ökologischen Fußabdruck gemessen werden. → Unter Resilienz-Bedingung wird die Notwendigkeit verstanden, das Puffervermögen unserer Systeme – natürliche, technische wie wirtschaftliche – soweit zu festigen, dass sie auch bei Störungen und Veränderungen halbwegs stabil bleiben. Zur Resilienz der Ökosysteme tragen entscheidend Artenvielfalt, Boden- und Wasserqualität bei. Auch bei technischen und wirtschaftlichen Systemen wirkt Vielfalt stabilisierend, ebenso wie Transparenz und der Beteiligungsgrad aller Betroffenen. Die Suffizienz-Bedingung ist die »Mutter aller Nachhaltigkeit«, eine unbedingt notwendige, wenngleich nicht hinreichende Bedingung für eine zukunftsfähige Entwicklung. Zukunftsfähige Gesellschaften liegen irgendwo zwischen regionaler Selbständigkeit und globaler Vernetzung, zwischen technischer Effizienz und Erneuerbarkeit einerseits und kluger Genügsamkeit andererseits. Öko-Romantikern sei ins Stammbuch geschrieben: Ein wirklich subsistentes und resilientes »Leben vom eigenen Acker« ist für bald acht Milliarden Menschen auf der begrenzten Erde nicht möglich. Man stelle sich nur vor, von den 230 Menschen, die in Deutschland im Schnitt auf einem Quadratkilometer leben, wolle jeder ein Ökodorf-Häuschen im Grünen. In kompakten Ansammlungen lassen sich die kulturellen Bedürfnisse einer modernen Gesellschaft effizienter und konsistenter gestalten. Bei höherer Besiedlungsdichte ist der Aufwand pro Kopf deutlich geringer, Gebäude, Kanalisation, Wasser, Stromversorgung und Mobilität bereitzustellen. Zugleich bleibt auch mehr Freiraum für die Natur. Und obwohl große Städte heute noch kaum »ökologischer« oder »sozialer« sind als ein »Leben auf dem Lande«, wird sich der Trend zu kompakten menschlichen Siedlungsstätten langfristig als vorteilhaft erweisen. In vielen Vergleichen schneiden Städte schlechter ab, weil der »graue Fußabdruck« der zentralen gesellschaftlichen Leistungen wie Regierungssitze, Krankenhäuser oder Universitäten nicht auf die Dorfbewohner umgelegt wird.
Small ist eben nicht immer beautiful Intuitiv erscheint das Leben am und vom Lande nachhaltiger. Der eigene Biogarten oder das Leben in der Wildnis bleibt für viele eine verlockende Vision – jedoch eine trügerische, denn nicht alles, was für wenige nachhaltig wäre, ist es auch für die gesamte Menschheit. In einer fairen, friedlichen, arbeitsteiligen Welt muss nicht jeder Mensch, jede Dorfgemeinschaft, jede Region und auch nicht jedes Land auf sich selbst gestellt sein. Wichtiger als vermeintliche Autarkie ist, Frieden und globalen Austausch zu gewährleisten. Ein angenehmes Überleben in isolierten Gemeinschaften ist so wenig wahrscheinlich, wie es Sinn ergibt, auf einem Schiff auf Kollisionskurs »Rettet meine Kabine!« zu schreien. Es braucht einen Kurswechsel für alle »Passagiere«. Damit sollen lokale, ortsgebundene Initiativen nicht abgewertet werden. Sozial betrachtet, sind sie die Keimzellen für Veränderung, bieten Rückendeckung und eine Gruppe Gleichgesinnter, die attraktive Vorbilder für zukunftsfähige Lebensstile realisieren kann. Dies kann auf dem Land genauso wie in Städten passieren, ist weniger von außen als von der Gruppe selbst bestimmt. Die lokale Selbstversorgung zu erhöhen, ist sicher förderlich für die Resilienz. Wenn aber vor lauter Autarkiestreben der Globalverstand verlorengeht, kommt es zu einer Rettungsboot-Mentalität auf Kosten globaler Effizienzpotenziale. Small ist eben nicht immer beautiful. Die notwendige »große Transformation« verlangt nach dem gesamten Innovationspotenzial der Menschen: Gefragt ist ein kluges Zusammenwirken technologischer, sozialer, persönlicher und (wirtschafts)politischer Veränderungen – »Fortschritt« im eigentlichen Sinn. Dabei besteht Fortschritt eben auch aus der gerne vergessenen Exnovation – der Fähigkeit, Dinge, Haltungen und Gebräuche wieder aufzugeben, wenn sie sich als irrig erweisen sollten. Ein Beispiel für radikale Exnovation wäre das Überflüssigmachen eines Großteils des Flugbetriebs durch Entschleunigung der Gesellschaft. So wie heute kaum jemand die überschallschnelle Concorde vermisst, weil niemand mehr für einen Vertragsabschluss über Nacht nach New York »muss«, so wenig wird jemand einen Jumbo-Jet vermissen, wenn er oder sie den viermonatigen Karibik-»Urlaub« mit einem modernen Segelschiff antreten kann. Freilich werden es kaum die Regierungen, nicht die transnationalen Konzerne und nicht die Expertinnen und Experten auf den Klimakonferenzen sein, die den Wandel einleiten. Wir sind es, Menschen und Gemeinschaften. Wirtschaft und Politik werden in funktionierenden Demokratien letztlich den Vorstellungen der Menschen folgen. Mehr als Energie, Ressourcen oder Finanzmittel fehlt uns im Moment die Fantasie, uns eine andere Welt vorzustellen. Experimente und Spiele sind gefragt, wie die Simulation »Gut leben von einem Hektar« (siehe die umseitige Grafik), die dieser Fantasie wieder Raum geben. Zumindest in der Simulation geht das gute Leben vergleichsweise einfach. Wer vermisst »Heizöl« in einem Nullenergiehaus? Wer vermisst fünf Tonnen CO2, die Röntgen-Dosis und die grobe Behandlung auf einem Flughafen, wenn eine entschleunigte Halbtagsgesellschaft all das überflüssig macht? Der Weg zur Entschleunigung erfordert allerdings die Einsicht, dass ewiges Güterwachstum in einer begrenzten Welt nicht möglich ist. Das passt zwar noch in kein gängiges Wirtschafts- oder Politikkonzept, ist aber trotzdem attraktiv, denn immer mehr Menschen begreifen, dass sehr vieles von dem, was uns wirklich wichtig ist, bestehen kann – oder gar erst durch »weniger arbeiten«, durch »Sein statt Haben« möglich wird. Schrumpfen muss schließlich nur unsere Inanspruchnahme der physischen Welt. Reale Beispiele des »guten Lebens mit fairem Anteil« werden um vieles rascher wirken als alle Appelle zur Mäßigung oder weltdiplomatische Schuldzuweisungen. Nicht Zuhören, sondern Nachäffen ist die Stärke des Menschen. Zeigen wir Globalverstand! •
Wolfgang Pekny (56), Chemiker, Biologe, war 20 Jahre Kampagnen-Direktor bei Greenpeace und ist heute Geschäftsführer der »Plattform Footprint«. 2010 gründete er die Forschungsinitiative »Netzwerk Footprinting«.
Was können wir tun? So wie Kant mit der »Goldenen Regel« unsere Vorstellung von individueller Freiheit konkretisiert hat, so beschreibt der »Ökologische Kategorische Imperativ« die neuen Grenzen: Unsere Freiheit, einen beliebigen Lebensstil zu wählen, endet dort, wo dieser die Freiheit anderer beschneidet, ein menschenwürdiges Leben zu führen – oder überhaupt zu überleben! Für Bewohner reifer Volkswirtschaften sind die ökologischen Eckpfeiler für dieses »gute Leben mit fairem Anteil« mit der »5-F-Regel« treffsicher beschrieben:
◆ F wie »Fliegen«: Fliegen – besser nie! Schon ein Hin- und Rückflug nach Thailand oder Kalifornien verursacht ein Mehrfaches unseres fairen Anteils von 1,7 gha und kann in einem Jahr an anderer Stelle nicht eingespart werden. ◆ F wie »Fleisch«: Weniger Fleisch und tierische Produkte essen! Eine deutliche Verringerung zeigt eine große, sofortige Wirkung. So hinterlässt ein Kilogramm Rindfleisch einen größeren Fußabdruck als die Verwendung eines mit Ökostrom betriebenen Computers für ein ganzes Jahr, einschließlich anteiliger Herstellung und Internet-Services. ◆ F wie »Fahren«: Weniger mit dem Auto fahren! Sofortige Reduktion der zurückgelegten Strecken, geringere Geschwindigkeiten und höhere Besetzungsgrade verringern den Fußabdruck deutlich. Die verbliebenen Individualverkehrskilometer sollten möglichst bald auf Elektroauto mit Sonnenstrom umgestellt werden. ◆ F wie Wohnen wie mit »Fell«: Thermische Sanierung, kleinere oder geteilte Wohneinheiten und Energieversorgung aus zukunftssicheren Quellen erlauben Reduktionen von über 90 Prozent des Energieverbrauchs. ◆ F wie »Freude« an einem zukunftsfähigen Lebensstil: Der Antrieb für zukunftsfähiges Handeln ist der Gewinn an Lebensqualität. Es ist ein gutes Gefühl, nicht – oder zumindest weniger – auf Kosten anderer zu leben. Mehr Zeit zum Leben, mehr Freunde, mehr Freude, mehr Wissen, mehr Weisheit, mehr Spaß …
Das »ethisch korrekte Leben« ohne Auto und Flugreisen etc. wird gerne als hart oder gar unmöglich porträtiert. Umweltschutz beim Konsumenten wurde lange Zeit als Liste von »du sollst« dargestellt: Du sollst Müll trennen, Plastiktüten und phosphathaltige Waschmittel meiden, mehr mit dem Rad fahren und so weiter. Über die Jahre wurden die Listen länger und länger, unüberschaubar lang – eine Belastung. Zwar ist kaum einer der vielen Vorschläge prinzipiell falsch, aber allesamt sind sie doch hinderlich, weil sie den Blick auf die größere Aufgabe verstellen: Du sollst weniger konsumieren, dafür mehr leben!