Ulrike Meissner nimmt ein Produkt, das als Wegwerfartikel gilt, unter die Lupe: Windeln. Sollen sie aus Plastik oder Stoff sein? Geht es windelfrei?von Ulrike Meißner, erschienen in Ausgabe #18/2013
Mit Stoff wickeln ist einfach: Quadratische Baumwolltücher, sogenannte Mullwindeln, werden zu einem Dreieck mit dickem Steg gefaltet. Dann wird eine Baumwolleinlage aus Moltontuch eingelegt, und darüber kommen Wollwindelhosen. Zu Beginn nutzte ich auch Zellulose-Windelvlies, das in die Windel eingelegt den gröbsten Schmutz aufnehmen sollte. Das wird unnötig, wenn man das Baby regelmäßig beim Wickeln abhält und so das große Geschäft im Töpfchen landet. Das habe ich allerdings erst bei meiner zweiten Tochter herausgefunden. Angesichts der großen Anzahl der Kinder in Pampers in meinem Umfeld wollte ich es mit der Weltverträglichkeit des Windelns auf diese und jene Weise dann doch genauer wissen – und entdeckte bei mir zahlreiche Wissenslücken.
Eine Mullwindel ist ein Stück Baumwollstoff. Anders als vorgeformte Stoffwindeln mit Klett- und Gummizug ist es wenig verarbeitet, kostet damit in der Herstellung wenig Energie, kann gewaschen werden, trocknet an der Leine unvergleichlich schnell, macht auch zwei, drei (oder mehr?) Kinder mit und kann als Putzlappen dienen, bevor es schließlich im Kompost verrotten darf. Selbstverständlich machen das Waschen, Aufhängen und Wieder-Zusammenlegen Arbeit. Jeden dritten Tag eine 60-Grad-Wäsche, und das 19 Monate lang, brachte es für meine erste Tochter auf ein Minimum von 8450 Litern Wasserverbrauch und einen Energiebedarf von 163 kWh. Wir waschen in der Regel mit Trinkwasser, was eine ganze Kette von Trinkwasseraufbereitungstechniken mit sich bringt, verbrauchen Waschmittel und produzieren Abwasser. Selbst die industrielle Produktion von Ökowaschmitteln hinterlässt ihren wohl nicht unerheblichen ökologischen Fußabdruck, ganz zu schweigen vom Import indischer Waschnüsse. Könnten selbstgezogene »effektive Mikroorganismen« oder heimische Rosskastanien mit ihrem hohen Saponingehalt hier echte Alternativen sein? Ich bin froh, im Internet zu lesen, dass die Baumwolle unserer Mullwindeln aus türkischem Bioanbau stammt. Der Stoff hat also »nur« 2000 Kilometer Luftlinie zurückgelegt. Wieviel Energie kostet wohl so eine Windelherstellung mit Kämmen, Spinnen und Weben? Ob sich nicht auch heimische Fasern zu Windeln verarbeiten ließen? Flachs, Hanf, Brennnessel, Wolle – könnten wir daraus nicht eine »lokale« Windel herstellen? Noch viel mehr offene Fragen tun sich beim genaueren Betrachten der Wegwerfwindeln auf. Ihre hohen Entsorgungskosten haben beispielsweise die Stadt Wien oder den Landkreis Bayreuth dazu bewegt, werdende Eltern beim Kauf von wiederverwendbaren Windeln finanziell zu unterstützen. Das Außenmaterial von Wegwerfwindeln ist aus Polyethylen oder Polypropylen gefertigt, innen befindet sich ein Saugkörper aus Zellstoff und Superabsorber. Das Holz für den Zellstoff stammt nur bei Öko-Wegwerfwindeln aus FSC-zertifizierten Wäldern und wird auch nur hier garantiert ohne Chlorverbindungen aufgeschlossen. Die Herstellung des Zellstoffs wie auch der anderen Materialien braucht die Produktionsketten der chemischen Industrie und vielfältige Technik. Polyethylen wird aus petrochemischen Stoffen oder Ethanol hergestellt. Die Superabsorber sind Kunststoffe aus Polymersalzen, für deren Herstellung Acrylsäure und Natriumhydroxid benötigt werden. Als Nutzerin von Wegwerfwindeln kann ich das Produkt nicht beeinflussen, während es bei der Mullwindel z. B. in meiner Hand liegt, wie heiß ich sie wasche, wie ich sie trockne und wie oft ich sie wiederverwende. Windel hin, Windel her – die beste Windel ist die, die wir nicht brauchen. Es geht nämlich auch ganz ohne Windeln, aber das setzt voraus, dass Bedürfnisse und Rhythmen der Kinder Priorität haben, dass kindliche Kommunikation gehört und beantwortet und nicht vom Rauschen der industrialisierten Welt übertönt wird. Für mich persönlich ist ein Leben ganz im Rhythmus der Kinder noch nicht möglich. Was ich aber vielfach beobachte: Stoffwindel-Babys sind ein gutes Stück früher windelfrei unterwegs. Vielleicht liegt das daran, dass sie eher die Gelegenheit haben, das eigene Körpergefühl für »Nass-Sein« zu entwickeln.