Wie man mit Stroh und Holz gemeinschaftlich bauen kann.
von Lea Gathen, erschienen in Ausgabe #18/2013
Wie ein liegendes Wagenrad thront das Gebäude auf der Anhöhe im Tal. Er blickt darauf – Tag für Tag. Sieht, wie die nackte Holzkonstruktion mit dem Aufgang der Sonne in helles Morgenlicht getaucht wird, blickt auf den Wald dahinter und erinnert sich, wie sie die Bäume für die tragenden Säulen holten. Er ist der Beschützer des Gebäudes, das hier neu entsteht. Er, den sie aus dem alten Ast einer Zwetschge schufen und Leo Michaeli tauften, dem sie Lederhose und Weste umlegten und ein rotes Herz auf die hölzerne Brust nagelten. Seit Baubeginn steht Leo Michaeli über dem Eingang des Tals in Stallwang bei Regensburg. Unter ihm erstreckt sich das Gelände des Krafthofs: wilde Wiesen mit jungen Obstbäumen, Beerenhecken und Mulchbeete, aus denen rote Büschel Amaranth ragen. Heute bietet sich ein anderer Blick als sonst. Fünfzehn Erwachsene bilden an diesem Morgen ein menschliches Knäuel aus verknoteten Händen. »Gordischer Knoten« heißt das Spiel zur Einstimmung in den Tag. Jörg und Astrid aus München, Pablo und Jacek aus Polen – alle sind sie angereist, um das leere Holzgerüst mit goldgelbem Leben zu füllen. Sie wollen miteinander arbeiten, feiern und mehr lernen – wie man mit so gut wie nichts als gepresstem Stroh baut. Wie jeden Morgen teilt Friederike Fuchs die Gruppe in Zweierteams auf. Sie ist Ingenieurin und Strohballenbau-Spezialistin. Neben ihr steht Zimmermann Cato Räuchle. Gemeinsam leiten sie die Bauwoche, haben im Blick, dass keiner umhersteht und immer genügend Werkzeug da ist, zeigen Tricks und Kniffe, wenn es mal hakt. »Flache Hierarchien sind mir wichtig«, sagt Friederike, die jeden Sommer zwei bis drei solcher Projekte durchführt. Binnen weniger Tage wachsen da die Wände in die Höhe. Es muss schnell gehen, damit die feuchtigkeitsempfindlichen Ballen schnell ihre schützende Hülle aus Lehmputz erhalten. »Los geht’s, an die Arbeit!« Die Teilnehmer strömen ins Zentrum des runden Gebäudes, wo die Werkzeuge liegen: Zollstöcke, Spanngurte, Wagenheber, elektrische Heckenscheren und sogenannte Strohnadeln. Das ist alles, was in dieser Bauphase benötigt wird. Dann sucht sich jedes Team seinen Platz an der Außenwand, die noch aus rechteckigen Fächern aus Holzbalken besteht; im Lauf der nächsten vier Tage sollen sie alle mit Stroh gefüllt werden. Jörg und Simone haben ihre Ballen abgemessen und auf die richtige Größe gebracht, haben sie gestapelt und mit Spanngurten zusammengezurrt. Das System ist einfach. Strohballenbau ist laientauglich wie kaum eine andere Bauweise. »Verstehen kommt beim Machen«, sagt Jörg. Für den Mann mit den Dreadlocks und dem sonnigen Gemüt ist es die erste Strohbaustelle. Inspiriert hatte ihn damals ein Gebäude in Südtirol. »Diese Akustik …« Sein sonnengebräuntes Gesicht nimmt einen schwärmerischen Ausdruck an. »Ich war auch verblüfft, wie warm die Wände waren.« Dann klappen seine kräftigen Hände den Zollstock auseinander, um einen der Ballen abzumessen. »48 Zentimeter«, ruft er zu Simone. »Nein, eher 52. Der hat ja ungleiche Seiten!« Stroh passt in keine DIN-Norm, wie es von europäischer Seite für sämtliche Baustoffe erwartet wird. Getreideart, Boden, Witterung, Klima, Erntezeitpunkt und Pressvariante – viele Faktoren bestimmen die fertigen Ballen. Wer sich auf Stroh einlässt, entscheidet sich für Leben mit all seiner Vielfalt und Unberechenbarkeit.
Eine andere Art, zu bauen Ungerade hin oder her – »Passt!«, sagt Simone, die an diesem Tag Jörgs Teampartnerin ist. Sie zögert nicht lange und packt sich den Ballen. Simone ist klein und alles andere als ein Muskelpaket. Frauen wie sie sind auf normalen Baustellen nicht anzutreffen. Beim Strohballenbau aber entscheiden weder Muskelkraft noch Größe. Simone sammelte bereits Erfahrungen auf Strohbaustellen in Tschechien und England. Es lief nach dem bewährten Prinzip »Arbeitskraft für Kost und Logis«. Was sie überraschte, waren die Einstellungen der Menschen auf den Baustellen im Ausland: »Da wird irgendwie pragmatischer rangegangen.« In Deutschland, dem Land der Vorschriften und Regeln, fehle oft das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Auf einer Baustelle der »Amazonails«, einer von Frauen geleiteten, gemeinnützigen Organisation für ökologisches Bauen in England, begegneten ihr Menschen mit vielfältigem Lebenshintergrund. Die Amazonails hätten Bauen als offenen, partizipativen Prozess verstanden, erzählt sie. Auch Friederike hat bei ihnen gelernt. »Geschafft!« Simone und Jörg haben das Fach ausgefüllt und prüfen jetzt auf Beulen. »Hau nochmals links drauf – ich halt’ gegen«, dringt Simones Stimme gedämpft durch das Stroh. Jörg steht draußen und vertraut ihr blind. »Bauen ist die pure Kooperationsübung«, findet er. Bei dieser Arbeit treffen individuelle Vorgehensweisen aufeinander, Unterschiede werden sichtbar. Ob intuitiv oder strukturiert, experimentierfreudig oder planungsaffin – am Ende führen alle Wege zur stabilen Wand. »Stroh ist eben flexibel«, sagt Simone.
Sinnlichkeit erfahren Fast alle Teilnehmer sind mit den Ausfachungen beschäftigt. Zwischen ihnen fegt Astrid geduldig loses Stroh zusammen. Ein paar Halme haben sich in ihren graugesträhnten Locken verfangen. »Mit Stroh zu arbeiten hat so etwas Sinnliches.« Sie greift ein Büschel heraus und strahlt über beide roten Wangen. »Hör doch mal … das Geraschel des Strohs, das Gemurmel des Aufeinander-Abstimmens, und dann der Wind, der durch die Baulücken pfeift.« Störend wirkt nur das Geräusch der Heckenscheren zum »Rasieren« der Ballen. Es ist das einzige Werkzeug, das auf dieser Baustelle Strom benötigt. Seit Ende 2008 wohnen Anja und Marco Kraft hier in Stallwang im alten Bauernhaus mit Scheune, Stall und sieben Hektar Gelände. Geomantie und Permakultur sind ihre wichtigsten Werkzeuge, um die gemeinsame Vision zu verwirklichen: einen Ort, an dem ein achtsamer und liebevoller Umgang mit der lebendigen Welt kultiviert wird. Was Anja und Marco an Wissen aus ihren individuellen Werdegängen mitgenommen haben, fließt in die Gestaltung vom Krafthof ein: Marco bringt seine langjährigen Erfahrungen mit Nahrungspflanzen ein; Architektin Anja entwarf das Strohballengebäude. Die Sonne steht hoch. Nach dreieinhalb Stunden zwischen Schweiß und Stroh schlendert die Baugruppe zum Mittagessen. Nur Leo Michaeli bleibt – der Zwetschgengeist mit den großen Augen, die wirken, als wachten sie schützend über jeden Arbeitsschritt. In seinem Rücken liegt der Acker, auf dem der Roggen wuchs und von dem sie im August das Roggenstroh einfuhren. Genug Stroh für den Bau, aus einem einzigen Körnersack Saat gewachsen. Von der Scheune, wo das Stroh zwischengelagert war, hört Leo Michaeli jetzt Stimmen. Noch hocken die Workshop-Teilnehmer dort auf alten Holzbänken beisammen. Ist der Strohballenbau einmal fertig, wird im neuen Gemeinschaftsraum gegessen werden, zwischen Stroh und dem warmen Erdton lehmverputzter Wände. Vor gar nicht langer Zeit brachte das Errichten jedes neuen Gebäudes Menschen zusammen. Freunde, Familien, Nachbarn – alle trugen ihren Teil bei. Kein Vergleich zu den streng durchgeplanten Baustellen der heutigen Zeit, wo sich zig Subunternehmer streng getaktet die Klinke in die Hand geben und für ihre Arbeit einen anonymen Geldbetrag erhalten. Friederike Fuchs sagt: »Die Leute wollen, dass ihre Eier von glücklichen Hühnern kommen. Manchmal frage ich mich: Warum denken sie so nicht über ihre Häuser?«
Tag der offenen Tür An einem Nachmittag in der Mitte der Woche rollen Autos über den Hang hinweg an Leo Michaeli vorbei. Der Krafthof hat die Öffentlichkeit eingeladen. »Ein Haus aus Stroh?« Sich wundernd, schreiten Nachbarn, Lokalpresse, Freunde und Interessierte zwischen den Wänden umher. In das Holzgerippe, durch das vor zwei Tagen noch der Wind fegte, sind Ruhe und Wärme eingezogen. Strohballen dienen als Sitzgelegenheit. Anja erzählt von der Vision des Krafthofs, vom Anliegen einer »liebevollen Landwirtschaft« und der Symbolik im Gebäudedesign. Das liegende Wagenrad ist außen ein Rund, innen formen Speichen ein Neuneck. »Die Neun als letzte einstellige Zahl spiegelt unser Verständnis dieser Zeit. Wir sehen es so, dass wir kurz vor dem Übergang in eine neue Zeit stehen.« Im Anschluss an die Präsentation gibt es Raum für Fragen: Mäuse, Ungeziefer, Brandgefahr und Schimmel – für alle Zweifel gibt es eine geduldige Antwort: Faserige Halme ohne Korn stellen keine attraktive Nahrung dar, verdichtetes Stroh ist nicht gut brennbar, und Schimmel bildet sich nicht, wenn die Feuchtigkeit der Ballen sorgfältig geprüft wurde. Es sind typische Bedenken. Friederike Fuchs kennt sie aus ihrer Erfahrung mit über fünfzehn realisierten Stroh-Gebäuden. Diese Ängste sind verständlich: Wer ist nicht mit Baumaterialien vom Fließband aufgewachsen? Vertrauen in die fortschrittliche Rückbesinnung braucht Zeit. Draußen weht der Wind, zerrt an Leo Michaelis Weste. Er schaut zum Wald, aus dem das Holz stammt, blickt auf die mächtigen Baumwipfel, die in den rotgefärbten Abendhimmel ragen. In seinem Rücken liegt der umgepflügte Roggenacker mit seiner braunen Krume, vor ihm das Gebäude mit seinen Wänden aus gelbem Stroh. Ein liegendes Wagenrad mit goldenem Rand. Noch wartet es auf seinen Lehmmantel als Schutz vor Regen und Kälte. Leo Michaeli weiß: Irgendwann in ferner Zukunft, wenn kein Mensch mehr Sorge trägt, werden Stroh, Lehm und Holz vergehen, werden wieder zum Land werden, das ihn umgibt. Bis dahin aber bleibt viel Zeit für Gemeinschaft in den heiligen Hallen der Halme. •
Lea Gathen (21) machte ein Jahr Freiwilligendienst in der internationalen Gemeinschaft Auroville in Indien, studierte Umweltwissenschaften in Lüneburg und ist auf der Suche nach selbstbestimmten Lernwegen.
Wen das Stroh ruft, der findet hier Einstiege • Krafthof Stallwang: www.erdenkraft.net • Fachverband für Strohballenbau: www.fasba.de • Friederike Fuchs: www.stroh-unlimited.de • Zertifizierte Baustrohballen: www.baustroh.de Literatur: Astrid und Herbert Gruber: Neues Bauen mit Stroh. Ökobuch Verlag, 2003
Der nachwachsende Baustoff Stroh Strohballenbau beinhaltet zwei Techniken: Entweder wird das Stroh, wie im Beispiel in diesem Artikel, für Ausfachungen in einem Holzständerwerk verwendet, oder die Ballen werden wie große Mauersteine in einer Wand aufgestapelt, so dass sie auch die Last eines Dachs tragen können. Für letztere Technik gibt es in Deutschland noch keinen klaren gesetzlichen Rahmen. Ein paar Daten:
◆ Das älteste selbsttragende Strohballenhaus (ohne Holzständerwerk) stammt aus dem Jahr 1903. ◆ Durch seine rohrförmige Struktur ist Stroh sehr reißfest und elastisch. Die Lufträume im gepressten Stroh sorgen für gute bis sehr gute Wärmedämmung. Zellulose, Lignin und Kieselerde verleihen den Halmen ihre natürliche Stabilität. ◆ Stroh ist vollständig kompostierbar und trägt damit zur Verminderung der enormen Mengen Bauabfall bei. 70 Prozent des gesamten Abfallaufkommens in Deutschland fällt durch Baustellen an. ◆ Stroh wächst binnen eines Jahres nach, ist überall regional verfügbar und stellt im Anbau keine Nahrungsmittelkonkurrenz dar. Bauaufsichtlich zugelassene Strohballen gibt es bei der Firma Baustroh Ltd., die ein deutschlandweites Erzeugernetzwerk aufbaut. ◆ Holz und Stroh binden CO2. Die Herstellung von Beton ist dagegen für 7 Prozent aller menschengemachten Emissionen verantwortlich. Zement, der Grundstoff für die Herstellung von Beton, besteht aus Kalkstein, Ton, Sand und Eisenerz. Bei der Herstellung von beispielsweise konventionellem Portland-Zement werden Temperaturen von 1450 Grad Celsius benötigt. ◆ Fast die Hälfte, nämlich 45 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs, sind auf die Herstellung und den Transport von Baustoffen zurückzuführen. ◆ Mit Wärmedämmwerten zwischen 0,12 und 0,15 Wm2K eignen sich Strohballen für den Passivhausbau.
Wissen über Strohballenbau wird freigiebig weitervermittelt. Wer den Umgang mit Stroh, Lehm und Holz als Baustoffen lernen möchte, kann auf der Internetseite des Fachverbands für Strohballenbau www.fasba.de unter »Mithelfen und Lernen« Kontakt zu aktuellen Bauprojekten herstellen.