Komm, wir bauen einen Spielplatz!
von Maja Klement, erschienen in Ausgabe #21/2013
Brauchen Kinder Spielplätze, um lachen und glücklich sein zu können? Diese Frage stelle ich mir jeden Tag. Sie sind ein Ersatz für verlorengegangene natürliche Spielorte. Kinder und Jugendliche erschließen sich handelnd die Welt. Dafür brauchen sie Räume, in denen sie sich erfahren, herausfordern und eine eigenständige Kultur leben können. Durch die Verdrängung aus dem öffentlichen Raum in eigens angelegte, oft umzäunte Spielghettos geht in unserem Land das für Kinder so wichtige freie Spiel auf Straßen, Plätzen und vor den Haustüren mehr und mehr verloren. Als ich von einem Verein erfahre, der Spielplätze für Kinder in Krisengebieten und strukturschwachen Ländern plant, horche ich auf. Einen bunten Ort dort zu schaffen, wo Krankheit und Armut den Alltag bestimmen, wo Kinder sich viel zu früh vom Kindsein verabschieden und sich in den Strukturen der Erwachsenen behaupten müssen, das ist etwas anderes als ein Spielghetto. Der »KuKuk Kultur e. V.« aus Stuttgart gestaltet mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Deutschland und anderen Ländern kreative Außenräume für Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, private Initiativen und Kommunen in von Krisen gezeichneten Regionen. Die Kinder und Jugendlichen, die regelmäßig mit auf solche Reisen gehen, nennen sich »KuKuk Kids«. Jährlich machen sie sich auf den Weg, um in Ländern wie Bosnien, Kroatien, Moldawien, Libanon, aber auch Nepal, Indien oder Brasilien Spielplätze zu bauen. Die Ideen für die Projekte werden meist von Privatpersonen an den Verein herangetragen. Mal sind es Mitarbeitende einer NGO wie der Caritas, die einen Spielplatz bei einem Krankenhaus realisieren wollen, nicht selten aber initiieren Schüler diese sozialen Projekte. Der KuKuk e. V. übernimmt dann die Planung und die bauliche Umsetzung. Dabei profitiert er von seiner »Verwandtschaft« mit der »KuKuk GmbH«, die sich auf den Bau kreativer Spiel-, Lern- und Erfahrungsräume spezialisiert hat. Die Belegschaft stellt dem Verein ihre Arbeitskraft ehrenamtlich zur Verfügung. Ich stelle mir die Frage, wie nachhaltig diese Projekte sind und was sie bei den Teilnehmenden bewirken. Anneli Bialek, eine Koordinatorin des Vereins, erzählt mir die Geschichte ihres jüngsten Projekts.
Eine Reise nach Mazedonien Im Mai diesen Jahres machte sich KuKuk mit mehreren Begleiterinnen und Begleitern und insgesamt 35 Kindern und Jugendlichen der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, aus dem St. Joseph Stift in Stuttgart und von den KuKuk Kids auf den langen Weg in die mazedonische Hauptstadt Skopje. Mitten im Zentrum des weltweit größten Romaviertels Shutka sollte ein Spielplatz auf dem Gelände eines Versorgungszentrums entstehen, das täglicher Anlaufpunkt für zahlreiche Straßenkinder des Viertels ist. Schon vor der letzten Bürgermeisterwahl war hier ein Spielplatz entstanden, spärlich zwar, ohne Sand, aber mit Schaukel und Wippe. Beide Geräte wurden jedoch schon innerhalb weniger Wochen von den Einwohnern abgebaut, denn das Holz ließ sich gut verheizen, und das Metall konnte man verbauen oder verkaufen. Alles, was irgendwie verwertet werden kann, bleibt hier nicht lange an Ort und Stelle. Auch bereits im Jahr 2012 entstand ein Kukuk-Spielplatz am Rand des Viertels. Ein Großteil der Elemente wurde damals aus Stein gebaut und danach farbenfroh verziert. Zwar wurde auch hier einiges abgebaut, aber insgesamt waren die Erfahrungen so gut, dass einem neuen Projekt nichts im Weg stand. Mit den Kindern von Shutka sollte auch in diesem Jahr etwas entstehen: ein Ort zum Kindsein, ein Ort mittendrin! Lange haben sich die jungen Deutschen darauf vorbereitet, haben Spendengelder akquiriert, um nun freudig empfangen zu werden. Viele Kinder, die schon das Vorjahresprojekt begleitet hatten, verbrachten nun wieder die Tage auf der Baustelle und werkelten unermüdlich mit. Auch einige ältere Roma boten ihre Hilfe an, brachten Mocca und unterstützten die zum Teil schweren Arbeiten, andere beobachteten das geschäftige Treiben. Täglich tummelten sich mehrere hundert Menschen auf der Baustelle. Ausgelassenes Spielen und fleißiges Arbeiten gingen ineinander über. Schnell wuchsen Freundschaften, und die Bauarbeiten schritten zügig voran. Am dritten Morgen hieß es plötzlich, dass nicht weitergebaut werden dürfe. Der Bürgermeister von Shutka hatte einen Baustopp verhängt, die einbetonierten Baumstämme sollten wieder herausgerissen werden. Wer die Kunstwerke von KuKuk kennt, der weiß, dass es sich bei einem Teil ihrer Arbeiten um riesige Holzstämme handelt, die schräg und sehr tief in die Erde einbetoniert werden. Der mazedonische Bürgermeister hatte so eine Art Spielplatz noch nie gesehen, und da es sich zudem noch um ein Zwischenstadium des Baus handelte, konnte er nicht wissen, dass die Kinder am Ende nicht in drei Metern Höhe spielen würden. Ein halber Tag des Wartens verging, bis alles durch zähe Verhandlungen geklärt war und es weitergehen konnte. Am fünften Tag war der Spielplatz fertig, und es wurde mit allen ein großes Einweihungsfest gefeiert. Der Koch hatte einen riesigen Topf voll Chili con Carne gekocht. Eine Gypsy-Band spielte auf. Fast 500 Menschen tanzten und feierten ausgelassen in den Abend hinein. Miriam Lampe, eine der Koordinatorinnen von KuKuk, schnappte sich die Band und zog mit ihr einmal um den Platz. Doch je später der Abend wurde, umso mehr heizte sich die Stimmung auch im negativen Sinn auf. Nach einigen unschönen Vorfällen entschied sich die KuKuk-Gruppe, das Fest vorzeitig zu verlassen.
Was bleibt Eine Arbeit in einem anderen kulturellen Kosmos bedarf großer Feinfühligkeit. Damit keine Bevormundung, sondern Zusammenarbeit auf Augenhöhe passiert, ist für KuKuk der Prozess des gemeinsamen Schaffens essenziell. Gemeinsam etwas entstehen zu lassen, ist die beste Grundlage für einen achtsamen Umgang mit dem Neuen. Hunderte junge Menschen haben in Shutka täglich gemeinsam gebaut, sich unterstützt, gespielt und gelacht. Die mazedonischen Kinder erlebten dabei Dinge, die in ihrem oft schwierigen Alltag selten sind: Sie fühlten sich gebraucht und wertgeschätzt. Sie erlebten, wie es ist, wenn man ihnen zuhört und sie ernstnimmt. Es scheint ein besonderer Moment in ihrem Leben gewesen zu sein. Viele sind voll Vorfreude auf ein neues gemeinsames Projekt, erzählt mir Anneli. Auch die Jugendlichen aus Deutschland erleben das von ihnen mitorganisierte Projekt als große Bereicherung. Die eigene Selbstwirksamkeit zu spüren, prägt sie nachhaltiger als die vielen virtuellen Abenteuer der heutigen Zeit. Mit jedem gebauten Spielplatz wachsen auch die Menschen von KuKuk, und damit ihre Erkenntnisse und Wünsche. In Zukunft soll es nicht immer bis ans gefühlte Ende der Welt gehen, was sowohl kostentechnisch als auch ökologisch zu hinterfragen ist. Auch im eigenen Land und unmittelbar hinter der Grenze gibt es Brennpunkte, die auf solches Engagement angewiesen sind. Was mit den gebauten Spielplätzen geschehen wird, ob sie genutzt, gepflegt, ausgebaut, abgebaut oder umgenutzt werden, bleibt oft ungewiss. Für die Zukunft wünscht sich KuKuk, mehr Kontakt zu den Projekten halten zu können. Was immer deutlicher wird: Es geht um den Prozess. Denn was in jedem Fall bleibt, sind die gemeinsamen Erlebnisse: die Begegnungen, die Erfahrungen, die strahlenden Augen und das Lachen der Kinder, die sich auf den Plätzen tummeln. So soll in Zukunft das Spielen noch mehr in den Vordergrund rücken. Für das nächste Projekt geht es im August nach Brasilien. Nicht nur wenige Tage, sondern zwei Wochen werden die KuKuks dort sein, um mit Kindern und Jugendlichen ein Gelände in den Favelas von São Paulo umzugestalten. Eine neue Reise beginnt. •
Maja Klement (35), Geografin, Naturpädagogin und Spielraumplanerin, engagiert sich für Kinderrechte und kindgerechte Gesellschaftsmodelle.