Sie studieren Theaterwissenschaft, und ihr Beitrag zum öffentlichen Straßentheater ist nicht zu übersehen. Als »Rausfrauen« bestricken sie eine ganze Stadt.von Caroline Claudius, erschienen in Ausgabe #21/2013
Stricken ist ja nicht unbedingt ein hochpolitischer Akt. Eher irgendwie wirklichkeitsflüchtig. Dachte ich. Zu meinem zeigefingerwackelnden Seelenglück bin ich aber mal wieder eines Besseren belehrt worden. Von Sissi und Hermine, den Rausfrauen. Mit einem von ihnen installierten rosafarbenen Puschel am stählernen Po einer armlosen Monumentalskulptur mit dem schönen Namen »Gebückter Mensch, der nach unten schaut«. Sissi und Hermine sind Teil einer Bewegung, die sich mal Craftivism, mal Yarn Bombing, mal Guerilla Knitting nennt: die Durchbrechung der städtischen Tristesse mit Umstrickungen, Behäkelungen und anderen herkömmlichen hausfraulichen Aktivitäten. Die außerdem als Clownin und Puppenspielerin arbeitenden Frauen bestücken in ihrer Freiheits-Zeit den urbanen Raum mit quietschbunten Handwerksarbeiten, denen mit dem Wort »liebevoll« noch herbe unrecht getan würde. Da taucht ein grün bestrickter Baumstamm vor dir auf und lässt dich diesem mutigen Stück Natur Achtung zollen. Auf einer Parkbank sitzt eine dickbusige Schneefrau und stellt konventionelle Geschlechterrollen infrage, die schon Kinderhände unbedacht weiter tradieren. Bürokratisch-grau vor sich hinrostende Poller tragen pink leuchtende Bommelmützen. Und japanische Oktoberfest-Touristen bekommen Lebkuchenpenisse in die Hand gedrückt, die das Heile-Welt-Heidi-Image ganz schön knirschen lassen. So wie sie die Stadt verkleiden, sind auch die Rausfrauen höchstselbst in wunderbarst irritierendem Inkognito unterwegs – mal im bestrapsten Dirndl, mal mit wollenen Schnurrbärten, immer als zwei lebende Implosionen jedweder Hirnschubladen.
Die Zerbrechlichkeit des gestrickten Augenblicks »Der Begriff ›Rausfrauen‹ bezeichnet auch das Austreten aus dem konventionellen, binär gedachten Geschlechterverhältnis, in dem so die zwar diskutierte, aber nach wie vor weitgehend akzeptierte Opposition von weiblich-häuslich-privat und männlich-öffentlich-politisch unterlaufen und für ein spielerisches und humorvolles Neudenken geöffnet wird.« So die Theorie auf dem Rausfrauen-Blog. Boah. In der Praxis sind die Häkeldeckchen auf Stromkästen nicht das kleinste Bisschen moralisierend. Sondern – funktionierend! Du hältst an. Du guckst. Du guckst nochmal. Dann lächelst du. Oder lachst laut auf. Du kannst nicht anders. Auf einmal spürst du dich selbst: kichernd, mitten in der Stadt. Verführt von einem Stück Selbstgemachtem im öffentlichen Raum, das sich jeder konsumistischen Verfügbarkeit entzieht. »Es ist wichtig, dass die Stadt als ein Lebens- und Erlebensraum wahrgenommen werden kann, der nicht nur den Modeschaufenstern überlassen wird. Wir greifen dabei nicht in die bestehende Substanz ein und verändern sie dauerhaft. Wir nutzen die Leerstellen und zeigen so, was alles noch möglich ist, ohne etwas zu zerstören. Diese additive konstruktive Energie ist eine wichtige Triebkraft für uns«, beschreibt Sissi diese neue Wiederaneignung des uns allen Zustehenden. Zwar sind die kleinen Yarn-Wesen auf ihre eigentümliche Weise sehr präsent, bunt, stark – aber auch fragil und schutzlos dem commonalen Behandeln überlassen. Etwas in mir möchte sie unter eine Glasglocke stellen. Die Rausfrauen sind da einen zen-buddhistischen Schritt weiter: »Es ist Teil unserer Arbeit, etwas mit sehr viel Zeitaufwand zu schaffen, was dann in die Obhut aller gegeben wird«, erklärt Sissi. »Wenn es jemand einfach wegwerfen will, dann ist auch das Teil des Prozesses. Nichts ist dauerhaft. Unsere Objekte machen diese Fragilität des Augenblicks so evident.« Das Rausfrauenprojekt ist mit einer gutmütigen Subversivität am Werk, die über das Plötzlich-lachen-Müssen die seltsame Akzeptanz des Grauen, Lebensfeindlichen und Unlustigen unserer eigenen Städte aufstört. Darum geht es seit der ersten Aktion der Rausfrauen, die mit einem genähten Straßenschild-Überzug, Scheibschrift und Glitzer die »Dultstraße« zur »Duldstraße« machte. Lachen ist universell. Es ist amoralisch. Deshalb hat es soviel Macht. Wie kann jeder von uns diese Macht weitertragen? Sissi sagt bescheiden: »Wir fragen uns immer: Was möchte ich selbst sehen? Das ist meist ein ganz guter Anfangspunkt. Alles weitere, wie Techniken und Materialien, findet sich dann überall leicht in der Welt oder im Internet.«