Permakultur

Erfahrungen aus erster Hand

An den Wurzeln der Permakulturbewegung:
Drei Wochen zu Besuch bei David Holmgren und Su Dennett.
von Hermann Paulenz, erschienen in Ausgabe #21/2013
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Im Februar 2013 verbrachte ich drei Wochen in Melliodora. Das ist der Name des kleinen Stücks Land, auf dem David Holmgren ausprobieren wollte, ob die von Bill Mollison und ihm entwickelte Permakultur wirklich funktioniert.
Das Gelände ist nur etwas mehr als einen Hektar klein und befindet sich in Hepburn Springs, einem Mineralwasserheilbad im Goldrauschgebiet Victorias im Süden Australiens. Eingebettet in eine Landschaft vulkanischen Ursprungs und umgeben von Eukalyptuswald, ist das Gebiet für australische Verhältnisse einigermaßen fruchtbar – und außerordentlich buschbrandgefährdet.
Eukalyptus entwickelte sich zusammen mit der bevorzugten Managementmethode der Aborigines: Feuer. Viele Bäume dieser Gattung öffnen ihre Samenkapseln nur unter großer Hitze und versuchen daher, durch jährliches Abwerfen der Borke Buschbrände zu fördern. Dabei brennt nur das angesammelte Altholz auf dem Waldboden, selten gehen ganze Bäume in Flammen auf. Da Eukalyptus besonders reich an Ölen ist – daher rührt übrigens der Hustendropsgeruch! –, ist das Holz besonders leicht entflammbar. Was gut ist für die Pflanzen, ist für menschliche Behausungen nicht besonders erfreulich. Daher gilt es, regelmäßig alles brennbare Material auf dem Boden zu entfernen.

Tag 1 – Hungriger Hausputz
Gleich am ersten Tag – es herrschten um die 32 Grad – durfte ich den Straßenrand um Davids Grundstück kehren. Ich war hungrig und verstand zu dem Zeitpunkt noch nicht, worin der Sinn bestehen sollte, einen Wald zu kehren.
Die Belohnung kam mit der ersten Mahlzeit: Sie war absolut fantastisch. David und seine Partnerin Su essen hauptsächlich, was auf dem Gelände angebaut wird; nur Getreide und Salz werden zugekauft sowie ein paar andere Gewürze und Sojasoße, die dann aber von persönlich bekannten Bauern in großen Mengen geordert werden. Ihr Haus fungiert auch als Abholstation für die Gemüse-Abokisten eines befreundeten Bauern und für den Verkauf von dessen Getreide. Diese Vermarktung von Getreide und überzähligem Obst stellt neben einer Permakulturberatung (die momentan keine Aufträge annimmt) und Davids Autoren- und Vortragstätigkeit das einzige Einkommen dar. Eines Abends veranschaulichte mir David seine Geldstrategie: »Wir versuchen seit 15 Jahren, so wenig zu verdienen, dass wir keine Steuern zahlen müssen.«

Tag 3 – Kartoffelernte unter Pfirsichbäumen
Das Klima in Victoria ähnelt dem von Südspanien: heiße, trockene Sommer, milde Winter. Hier lassen sich Nutzpflanzen wie Gurken und Tomaten ohne Gewächshaus anbauen, außerdem verwilderte Kartoffeln, Pfirsich, Macadamia und andere – eher exotische – Pflanzen wie Feijoa (Ananas-Guave)oder Babaco (Berg-Papaya).
Wie am vorigen Tag stehe ich gegen 7 Uhr auf und heize den Holzofen an, auf dem der allmorgendliche Haferbrei und Tee gekocht wird. Letzterer besteht entweder aus frischen oder getrockneten Gartenkräutern, von denen es Unmengen verschiedenster Sorten gibt, oder aus getrockneten Löwenzahnwurzeln. Das Frühstück kann sich je nach Davids Gesprächslaune über eine Stunde hinziehen, danach wird bis zur Teepause um 11 Uhr gearbeitet. Das Mittagessen um 13 Uhr ist selbstverständlich immer außerordentlich vielfältig und frisch. Mindestens acht Schälchen mit Salaten, Ziegenkäse, Bohnenpüree, Tahin und anderen Köstlichkeiten kommen zusammen mit Sauerteigbrot oder Kartoffeln auf den Tisch. Wie gut, dass ich zur Erntezeit gekommen bin! Im Frühjahr ernährt sich die Familie wohl hauptsächlich von Spargel und Artischocken. Auch nicht schlecht.

Tag 5 – Es ist Nektarinenzeit
Wir ernten die ersten drei Bäume mit weißen Nektarinen, die zufällig nahe am Haus gewachsen sind, weil die Kerne beim Essen auf der Terrasse über die Jahre dorthin flogen. Im Gegensatz zu Äpfeln können aus Kernen von Nektarinen und Pfirsichen eher schmackhafte Sorten entstehen. Die von diversen Papageien angefressenen Früchte werden kleingeschnitten und eingekocht, die ­guten gegessen oder an Nachbarn verkauft.

Tag 8 – Besuch beim Bauern
Wir fahren zu Rod May, einem Freund der Familie, den David davon überzeugt hat, Gemüsebauer zu werden. Rod hat eine relativ kleine, jedoch sehr vielfältige Farm mit einer Gemüsekisten-Auslieferung, Maronen, Äpfeln, Wein und Ziegenkäse. David hilft ihm dabei, die Farm ganzjährig produktiv und unabhängig von globalen Märkten zu machen. Es gibt nur sehr wenig Farmland in Südaus­tralien, das für den Anbau von »hungrigem« Gemüse geeignet ist; meist ist die benutzte Erde »red dirt« – also vulkanischen Ursprungs – oder sie besteht aus Sedimentgestein.

Tag 10 – Zeit, das öffentliche Land zu pflegen
Das Grundstück Su und David liegt in der Nähe eines Allmen-de­gebiets, des »Hepburn Regional Park«. Dieser Park ist altes Goldgräbergebiet mit »historischen« (lies: 100 Jahre alten) Mäuerchen und Mineneingängen sowie einem kleinen Bach. Wir schlagen den Weg durch die Brombeeren, den David vor langer Zeit angelegt hat, frei und gelangen an den Bach im Tal. Dort hat er – ohne Erlaubnis – ein paar Bäume gepflanzt, die in der Zukunft Erträge in Form von schwarzen Walnüssen, Holunderbeeren und Äpfeln liefern werden. Andere Bäume, wie Weiden und Pappeln, sind natürlich dort gewachsen. So wird das Tal, das von den Goldgräbern bis auf den blanken Stein weggewaschen wurde, Jahr für Jahr weiter renaturiert. Während im restlichen Australien Weiden und Pappeln als »Umwelt-Unholz« vergiftet werden, sieht David auch ihre positiven Auswirkungen: Wenn man die Weiden einfach nur abholzte, würde das ganze Flussufer weggeschwemmt werden, da diese Bäume eine ganz besondere Wurzelmatte entwickeln, die das Erdreich festhält. Ohne Kontrolle verbreiten sie sich aber viel schneller als alle eingeborenen Spezies und verdrängen diese. Interessant finde ich die generelle Verwahrlosung der Allmende, auf der vor 100 Jahren noch die Kühe des Dorfs grasten und die jetzt größtenteils ungenutzt verwildert. Nun ist wenigstens eine Ernte von Brombeeren und Holunderbeeren wieder möglich.

Tag 11 – Gespräche am Mittagstisch
Alle Mahlzeiten im Haus beinhalten – je nach Hintergrund der gerade anwesenden Helfer – bestimmte Gesprächsthemen, die besonders zu Mittag und beim Abendbrot ausführlich besprochen werden. Die Rolle der Gäste beschränkt sich meist darauf, staunend zu schweigen, auch wenn gelegentliche Fragen natürlich erlaubt sind. Es sind die Tiefe und die Ausführlichkeit in Davids Nachdenken über verschiedene Themen, die fesseln. Immer versucht er, die verborgenen ökologischen und evolutionären Gründe für Abläufe in der Natur zu finden.
In Anlehnung an sein letztes Buch »Future Scenarios« aus dem Jahr 2009, in dem er vier verschiedene mögliche Zukunftsvisionen begründet und durchspielt, geht es bei seinen Ausführungen hauptsächlich um Entwicklungen, die in eines der von ihm beschriebenen Muster passen. In »Future Scenarios« zeigt David sehr unterschiedliche Perspektiven. Die Spanne reicht von mildem bis zu destruktivem Klimawandel, kombiniert mit langsamem oder schnellem Energieabstieg. Daraus ergeben sich Bilder vom relativ gutartigen »Green Tech«-Szenario bis zum katastrophalen »Rettungsboote«-Szenario. Wie die Entwicklung verlaufen wird, hängt laut David unter anderem davon ab, wie schnell die Weltöffentlichkeit auf die nahenden Probleme reagiert. Dass dies erfahrungsgemäß langsam sein wird und wir auf die Katastrophe zulaufen, beunruhigt ihn sehr.
Der Aspekt, der mich am meisten bewegt, betrifft die Macht und Ohnmacht der kleinen Leute: Das zentralisierte Versorgungssystem baut auf der Partizipation aller auf. Hängt man als einzelner von den vielen Leistungen wie Job, Auto, Supermarkt, aber auch Bildung und Gesundheit ab, ist es schwierig, am großen Machtsystem etwas zu verändern. Wer aber nicht mehr am großen Geldspiel teilnimmt, sondern sich als Selbstversorger möglichst unabhängig von einem Einkommen und dem zentralen Versorgungssystem einrichtet, hat dabei eine viel stärkere Position, um Veränderungen einzufordern. Das muss und kann nicht von allen Mitgliedern einer Gesellschaft verlangt werden. Die Achillesferse des Wirtschaftssystems ist der Zwang zum Wachstum, das derzeit nur wenige Prozent pro Jahr ausmacht – wenn überhaupt. Würde sich nun eine kleine Minderheit von vielleicht 10 Prozent der Gesellschaft größtenteils dem Konsum verweigern, könnte das Wachstumsziel nicht mehr erreicht werden. Und diese 10 Prozent könnten dann, so David, ihre Position der Stärke nutzen, um bestimmte Veränderungen einzufordern.

Tag 15 – Besuch im Ökodorf
Wir fahren zu Davids Sohn Oliver nach Fryer’s Forest. »Fryer’s« ist ein Ökodorf, das David geplant und auf den Weg gebracht hat. Es liegt 30 Kilometer nördlich mitten in einem Eukalyptuswald. Oliver baut dort eine Werkstatt in eine Wohnwerkstatt um, und wir sollen helfen, die Hütte feuerdicht zu machen, damit er dort einziehen kann. Das bedeutet, ringsherum alles Brennbare aufzusammeln, alle Ritzen zuzustopfen – und auf das Beste zu hoffen. Bisher war das Gebäude nur ein ziemlich hoher Unterstand, jetzt kommen Fenster und Wände hinein. Eukalyptuswälder sind, zumindest bei 35 °C, nicht unbedingt das, was ein Europäer sich unter Wald vorstellt. Zur jetzigen Jahreszeit ist Fryer’s knochentrocken, der Boden nur wenig mehr als nackter Fels, und Schatten spenden die hohen, aber lichten Bäume auch nicht. Da die Eukalypten so genügsam sind, entziehen sie dem sparsam fallenden Laub sämtliche Nährstoffe, und es kommt zu fast keinem Bodenwachstum. Nach den zwei Tagen im »Wald« freue ich mich jedenfalls auf die Rückkehr nach Hepburn, auch wenn der künstlich angelegte See für Abkühlung gesorgt hat.

Tag 17 – Tiere machen Arbeit
Ich darf die Ziegen nun schon eine Weile zu ihren außerhalb des Grundstücks gelegenen Arbeitsfeldern geleiten. Sie werden dort zur Dezimierung von Brombeeren eingesetzt. Zusätzlich schneide ich hier und da Weidenzweige ab, die dann auch verfüttert werden – gute Milch kommt schließlich nicht von Luft und Liebe. David hat auf seinem Grundstück und im Umfeld jede Menge Bäume gepflanzt, die von Tieren gefressen werden können. Diese Gehölze bringen eine ganz neue Dimension in die sonst eintönigen Graswiesen. Viele der Arten sind in Australien heimisch, wie Coprosma repens (Mirror bush) oder Acacia dealbata (Silver wattle), es gibt aber auch eingeführte Spezies, wie Chamae­cytisus palmensis (Tagasaste).

Tag 20 – Per Anhalter nach Hause
Auch die schönste Erfahrung geht vorüber. Ich bin immer noch beeindruckt, mit welch gedanklicher Tiefe David alle Teile seines Grundstücks durchgeplant hat. Su ist die treibende Kraft, die den Haushalt, die Tiere und die Verarbeitung am Laufen hält, während David den Überblick über saisonale Arbeiten wahrt und Kommentare und Artikel schreibt.
Wenn man das Grundstück sieht und erfährt, wie gut alles ineinandergreift, ist die Schlussfolgerung klar: Permakultur funktioniert sehr gut, ganz speziell in kleinen, intensiven Systemen!
Nach einem abschließenden Didgeridoo-Konzert von und mit Oliver und Cyrano, einem kanadischen Besucher, ist es Zeit, »Goodbye« zu sagen und die Rückreise nach Melbourne anzutreten. An der Hauptstraße muss nur kurz der Daumen rausgehalten werden, und nach nur 20 Sekunden hält das erste Auto an. Der nette Mann muss zwar nicht dorthin, wo ich hin muss, fährt mich aber trotzdem an mein Ziel. Man will ja helfen.•


Hermann Paulenz (25) lebt als Umweltingenieur seit kurzem in Melbourne. Neben seiner Tätigkeit für CERES, ein Zentrum für Bildung und Erforschung von Umweltstrategien, gestaltet er Gärten mit dem Perma­blitz-Kollektiv der Stadt. www.permablitz.net


David Holmgrens Welt erforschen
http://holmgren.com.au
www.futurescenarios.org
http://permacultureprinciples.com
 

Davids Hauptwerk, demnächst auf Deutsch!
»Permaculture – Principles and Pathways beyond sustainability«
Die deutsche Übersetzung »Permakultur – Gestaltungsprinzipien für zukunftsfähige Lebensweisen« erscheint im November im Drachen Verlag. 

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